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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie?

selbst nach sich zieht. Indessen ist zu beachten, daß in den Hansestädten Lübeck
und Bremen die Kompetenzen der Handelskammern nicht so umfassend sind wie
in den anderen Bundesstaaten, insofern sich ihre Tätigkeit nur auf Handels- und
Schiffahrtsinteressen erstreckt, und daß auch die ganze Frage sür die Hansestädte
weniger Bedeutung hat, weil deren Handelskammern aus staatlichen Mitteln
erhalten werden.


!!. "Fabrik und Handwerk" in den Entscheidungen des Reichsgerichts

Das Reichsgericht hat aufGrund der verschiedensten gesetzlichen Bestimmungen,
vor allem der Strafbestimmungen der Konkursordnung und der Gewerbeordnung,
Gelegenheit gehabt, zu der Frage, wann ein Betrieb als "Handwerk" und wann
er als "Fabrik" anzusehen ist, Stellung zu nehmen. Es hat für diese Unter¬
scheidung eine Anzahl Merkmale aufgestellt, die es im Laufe der Jahre, ent¬
sprechend den Änderungen des Wirtschaftslebens, zum Teil anders ausgestaltet
hat. Nach seiner heutigen Rechtsprechung ist für den Begriff der "Fabrik"
wesentlich, daß der Umfang der Herstellung und der Einrichtung der Fabrik
eine gewisse Größe hat, daß die Produktion auf einen? weitentwickelten System
der Arbeitsteilung beruht, daß der Unternehmer sich in der Hauptsache auf die
Leitung beschränkt und sich der Betrieb in Räumen, die vom Unternehmer
bereit gestellt sind, vollzieht.

Nicht direkt ausschlaggebend, wenn auch für die Kennzeichnung des Betriebes
immerhin von Wert, sind nach Ansicht des Reichsgerichts noch folgende Momente:
die Zahl der Arbeiter, die Verwendung von Maschinen, der Umstand, daß ent¬
weder aus Bestellung oder Vorrat gearbeitet wird, und der Umfang des Ab¬
satzes. Diese Kriterien, auch die wesentlichen, brauchen indessen nicht alle
zusammenzutreffen,- es genügt, wenn mehrere entscheidende Merkmale vorliegen,
um einen Betrieb als "Fabrik" zu kennzeichnen.

Diesen Standpunkt des Reichsgerichts wird man jedenfalls als einen
zutreffenden anerkennen und aus ihm den Leitsatz ableiten können, daß alle
genannten Unterscheidungsmerkmale sich aus der Art und dem Umfange des
Betriebes heraus entwickeln lassen. Würde einheitlich nach diesen Grundsätzen
verfahren, so wäre die Frage der Abgrenzung der Begriffe "Fabrik" und
"Handwerk" nicht eine so brennende, ihr Umfang nicht so erheblich geworden.
Da aber nach den vorstehenden Ausführungen die verschiedenartigsten Behörden
über diese Frage zu entscheiden haben: die Verwaltungsbehörden der
sämtlichen Bundesstaaten von der Polizei- und Stadtbehörde ab bis zur
Ministerialinstanz, die Verwaltungsgerichtsbehörden, die Handelskammern, die
Einzelrichter, Landgerichte, Oberlandesgerichte, das Kammergericht und endlich das
Reichsgericht, und da ferner diese Behörden zum großen Teile gänzlich unab¬
hängig voneinander sind, so ist es nicht verwunderlich, wenn auf demselben
Gebiete die widersprechendsten Entscheidungen gefällt und der gleiche Betrieb
von der einen Behörde als "Handwerk", von der anderen als "Fabrik" an-


Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie?

selbst nach sich zieht. Indessen ist zu beachten, daß in den Hansestädten Lübeck
und Bremen die Kompetenzen der Handelskammern nicht so umfassend sind wie
in den anderen Bundesstaaten, insofern sich ihre Tätigkeit nur auf Handels- und
Schiffahrtsinteressen erstreckt, und daß auch die ganze Frage sür die Hansestädte
weniger Bedeutung hat, weil deren Handelskammern aus staatlichen Mitteln
erhalten werden.


!!. „Fabrik und Handwerk" in den Entscheidungen des Reichsgerichts

Das Reichsgericht hat aufGrund der verschiedensten gesetzlichen Bestimmungen,
vor allem der Strafbestimmungen der Konkursordnung und der Gewerbeordnung,
Gelegenheit gehabt, zu der Frage, wann ein Betrieb als „Handwerk" und wann
er als „Fabrik" anzusehen ist, Stellung zu nehmen. Es hat für diese Unter¬
scheidung eine Anzahl Merkmale aufgestellt, die es im Laufe der Jahre, ent¬
sprechend den Änderungen des Wirtschaftslebens, zum Teil anders ausgestaltet
hat. Nach seiner heutigen Rechtsprechung ist für den Begriff der „Fabrik"
wesentlich, daß der Umfang der Herstellung und der Einrichtung der Fabrik
eine gewisse Größe hat, daß die Produktion auf einen? weitentwickelten System
der Arbeitsteilung beruht, daß der Unternehmer sich in der Hauptsache auf die
Leitung beschränkt und sich der Betrieb in Räumen, die vom Unternehmer
bereit gestellt sind, vollzieht.

Nicht direkt ausschlaggebend, wenn auch für die Kennzeichnung des Betriebes
immerhin von Wert, sind nach Ansicht des Reichsgerichts noch folgende Momente:
die Zahl der Arbeiter, die Verwendung von Maschinen, der Umstand, daß ent¬
weder aus Bestellung oder Vorrat gearbeitet wird, und der Umfang des Ab¬
satzes. Diese Kriterien, auch die wesentlichen, brauchen indessen nicht alle
zusammenzutreffen,- es genügt, wenn mehrere entscheidende Merkmale vorliegen,
um einen Betrieb als „Fabrik" zu kennzeichnen.

Diesen Standpunkt des Reichsgerichts wird man jedenfalls als einen
zutreffenden anerkennen und aus ihm den Leitsatz ableiten können, daß alle
genannten Unterscheidungsmerkmale sich aus der Art und dem Umfange des
Betriebes heraus entwickeln lassen. Würde einheitlich nach diesen Grundsätzen
verfahren, so wäre die Frage der Abgrenzung der Begriffe „Fabrik" und
„Handwerk" nicht eine so brennende, ihr Umfang nicht so erheblich geworden.
Da aber nach den vorstehenden Ausführungen die verschiedenartigsten Behörden
über diese Frage zu entscheiden haben: die Verwaltungsbehörden der
sämtlichen Bundesstaaten von der Polizei- und Stadtbehörde ab bis zur
Ministerialinstanz, die Verwaltungsgerichtsbehörden, die Handelskammern, die
Einzelrichter, Landgerichte, Oberlandesgerichte, das Kammergericht und endlich das
Reichsgericht, und da ferner diese Behörden zum großen Teile gänzlich unab¬
hängig voneinander sind, so ist es nicht verwunderlich, wenn auf demselben
Gebiete die widersprechendsten Entscheidungen gefällt und der gleiche Betrieb
von der einen Behörde als „Handwerk", von der anderen als „Fabrik" an-


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[0183] Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie? selbst nach sich zieht. Indessen ist zu beachten, daß in den Hansestädten Lübeck und Bremen die Kompetenzen der Handelskammern nicht so umfassend sind wie in den anderen Bundesstaaten, insofern sich ihre Tätigkeit nur auf Handels- und Schiffahrtsinteressen erstreckt, und daß auch die ganze Frage sür die Hansestädte weniger Bedeutung hat, weil deren Handelskammern aus staatlichen Mitteln erhalten werden. !!. „Fabrik und Handwerk" in den Entscheidungen des Reichsgerichts Das Reichsgericht hat aufGrund der verschiedensten gesetzlichen Bestimmungen, vor allem der Strafbestimmungen der Konkursordnung und der Gewerbeordnung, Gelegenheit gehabt, zu der Frage, wann ein Betrieb als „Handwerk" und wann er als „Fabrik" anzusehen ist, Stellung zu nehmen. Es hat für diese Unter¬ scheidung eine Anzahl Merkmale aufgestellt, die es im Laufe der Jahre, ent¬ sprechend den Änderungen des Wirtschaftslebens, zum Teil anders ausgestaltet hat. Nach seiner heutigen Rechtsprechung ist für den Begriff der „Fabrik" wesentlich, daß der Umfang der Herstellung und der Einrichtung der Fabrik eine gewisse Größe hat, daß die Produktion auf einen? weitentwickelten System der Arbeitsteilung beruht, daß der Unternehmer sich in der Hauptsache auf die Leitung beschränkt und sich der Betrieb in Räumen, die vom Unternehmer bereit gestellt sind, vollzieht. Nicht direkt ausschlaggebend, wenn auch für die Kennzeichnung des Betriebes immerhin von Wert, sind nach Ansicht des Reichsgerichts noch folgende Momente: die Zahl der Arbeiter, die Verwendung von Maschinen, der Umstand, daß ent¬ weder aus Bestellung oder Vorrat gearbeitet wird, und der Umfang des Ab¬ satzes. Diese Kriterien, auch die wesentlichen, brauchen indessen nicht alle zusammenzutreffen,- es genügt, wenn mehrere entscheidende Merkmale vorliegen, um einen Betrieb als „Fabrik" zu kennzeichnen. Diesen Standpunkt des Reichsgerichts wird man jedenfalls als einen zutreffenden anerkennen und aus ihm den Leitsatz ableiten können, daß alle genannten Unterscheidungsmerkmale sich aus der Art und dem Umfange des Betriebes heraus entwickeln lassen. Würde einheitlich nach diesen Grundsätzen verfahren, so wäre die Frage der Abgrenzung der Begriffe „Fabrik" und „Handwerk" nicht eine so brennende, ihr Umfang nicht so erheblich geworden. Da aber nach den vorstehenden Ausführungen die verschiedenartigsten Behörden über diese Frage zu entscheiden haben: die Verwaltungsbehörden der sämtlichen Bundesstaaten von der Polizei- und Stadtbehörde ab bis zur Ministerialinstanz, die Verwaltungsgerichtsbehörden, die Handelskammern, die Einzelrichter, Landgerichte, Oberlandesgerichte, das Kammergericht und endlich das Reichsgericht, und da ferner diese Behörden zum großen Teile gänzlich unab¬ hängig voneinander sind, so ist es nicht verwunderlich, wenn auf demselben Gebiete die widersprechendsten Entscheidungen gefällt und der gleiche Betrieb von der einen Behörde als „Handwerk", von der anderen als „Fabrik" an-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/183>, abgerufen am 19.05.2024.