Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.Reichsspiegel Sport, Luxus, Wehrfragen Der Untergang der Titnnic -- Sport und Lurus -- Die Sicherheit auf deutschen Schiffen -- Notwendigkeit schärferer internationaler Kontrolle -- Kriegerische Stimmung -- Frankreich in Marokko -- Kriegstreiberei in Deutschland -- Der Wert des Vertrages vom 4, November 1911 -- Die Wehrborlnge im Reichstag -- Die DeckungSfrage -- Herrn Wermuths Aufsatz in letzter Stunde Leid verbindet. Ein Unglück, eine Katastrophe, ivie sie durch menschliche Die Katastrophe hat uns zwei Übertreibungen unserer Kultur so grell Reichsspiegel Sport, Luxus, Wehrfragen Der Untergang der Titnnic — Sport und Lurus — Die Sicherheit auf deutschen Schiffen — Notwendigkeit schärferer internationaler Kontrolle — Kriegerische Stimmung — Frankreich in Marokko — Kriegstreiberei in Deutschland — Der Wert des Vertrages vom 4, November 1911 — Die Wehrborlnge im Reichstag — Die DeckungSfrage — Herrn Wermuths Aufsatz in letzter Stunde Leid verbindet. Ein Unglück, eine Katastrophe, ivie sie durch menschliche Die Katastrophe hat uns zwei Übertreibungen unserer Kultur so grell <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0207" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321290"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341895_321082/figures/grenzboten_341895_321082_321290_000.jpg"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Reichsspiegel<lb/></head><lb/> <div n="2"> <head> Sport, Luxus, Wehrfragen</head><lb/> <note type="argument"> Der Untergang der Titnnic — Sport und Lurus — Die Sicherheit auf deutschen<lb/> Schiffen — Notwendigkeit schärferer internationaler Kontrolle — Kriegerische<lb/> Stimmung — Frankreich in Marokko — Kriegstreiberei in Deutschland — Der<lb/> Wert des Vertrages vom 4, November 1911 — Die Wehrborlnge im Reichstag<lb/> — Die DeckungSfrage — Herrn Wermuths Aufsatz in letzter Stunde</note><lb/> <p xml:id="ID_846"> Leid verbindet. Ein Unglück, eine Katastrophe, ivie sie durch menschliche<lb/> Schuld wohl noch nie in der Geschichte des Menschengeschlechts verursacht wurde,<lb/> richtete die Gedanken vieler hundert Millionen Erdenbewohner, soweit sie dem<lb/> gebändigten elektrischen Funken erreichbar, für Stunden, ja Tage auf ein einziges<lb/> Ereignis: auf den Untergang der Titanic. Was menschliche Kunst vermag,<lb/> war aufgewendet worden, um der White Star Line ein Schiffsungetüm von bis<lb/> dahin unerreichten Abmessungen und Leistungen zu bauen, um lebenswilligen<lb/> Menschen in unerhörter Zahl die Möglichkeit zu geben, neuen Hoffnungen, neuen<lb/> Gestaden zuzueilen. An den ehernen Gesetzen der Natur barst tollkühnes Wollen,<lb/> und fast zweitausend Lebensfroher mußten unwürdig, wie junge Katzen, die der<lb/> Vorsehung spielende Knecht im Sacke in den Teich wirft, hinunter in die Tiefe<lb/> des Todes. Leid verbindet. Millionen Menschen aller Zonen und Nassen<lb/> stehen an diesem entsetzlichen Massengrabe und bekennen erschüttert, daß es etwas<lb/> Mächtigeres gibt als menschlichen Geist und menschlichen Willen.</p><lb/> <p xml:id="ID_847" next="#ID_848"> Die Katastrophe hat uns zwei Übertreibungen unserer Kultur so grell<lb/> beleuchtet, daß wir ein dem Untergange geweihtes Geschlecht sein müßten, wollten<lb/> wir nicht aus ihm Lehren ziehen: Sport und Luxus. Die Durchquerung<lb/> des atlantischen Ozeans ist zum Sport der beteiligten Schiffahrtsgesellschaften<lb/> geworden! Die Kapitäne haben nicht mehr die alleinige Aufgabe, die ihnen<lb/> anvertrauten Menschen nud Güter wohlbehalten über das Meer zu führen;<lb/> unsere hastende Zeit fordert von ihnen die Überbietung jeder erreichten Ge¬<lb/> schwindigkeit und stachelt dadurch ihren Wagemut bis ins Unendliche. Nach<lb/> allen bisher ernst zu nehmenden Nachrichten darf man das sportliche Moment,<lb/> die Nekordwut, als die wesentlichste Ursache des Unglücks bezeichnen. Für den<lb/> Umfang der Katastrophe aber tritt ein weiteres Moment hinzu: das Luxus¬<lb/> bedürfnis und die Erziehung des Publikums zum Luxus durch die miteinander</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0207]
[Abbildung]
Reichsspiegel
Sport, Luxus, Wehrfragen
Der Untergang der Titnnic — Sport und Lurus — Die Sicherheit auf deutschen
Schiffen — Notwendigkeit schärferer internationaler Kontrolle — Kriegerische
Stimmung — Frankreich in Marokko — Kriegstreiberei in Deutschland — Der
Wert des Vertrages vom 4, November 1911 — Die Wehrborlnge im Reichstag
— Die DeckungSfrage — Herrn Wermuths Aufsatz in letzter Stunde
Leid verbindet. Ein Unglück, eine Katastrophe, ivie sie durch menschliche
Schuld wohl noch nie in der Geschichte des Menschengeschlechts verursacht wurde,
richtete die Gedanken vieler hundert Millionen Erdenbewohner, soweit sie dem
gebändigten elektrischen Funken erreichbar, für Stunden, ja Tage auf ein einziges
Ereignis: auf den Untergang der Titanic. Was menschliche Kunst vermag,
war aufgewendet worden, um der White Star Line ein Schiffsungetüm von bis
dahin unerreichten Abmessungen und Leistungen zu bauen, um lebenswilligen
Menschen in unerhörter Zahl die Möglichkeit zu geben, neuen Hoffnungen, neuen
Gestaden zuzueilen. An den ehernen Gesetzen der Natur barst tollkühnes Wollen,
und fast zweitausend Lebensfroher mußten unwürdig, wie junge Katzen, die der
Vorsehung spielende Knecht im Sacke in den Teich wirft, hinunter in die Tiefe
des Todes. Leid verbindet. Millionen Menschen aller Zonen und Nassen
stehen an diesem entsetzlichen Massengrabe und bekennen erschüttert, daß es etwas
Mächtigeres gibt als menschlichen Geist und menschlichen Willen.
Die Katastrophe hat uns zwei Übertreibungen unserer Kultur so grell
beleuchtet, daß wir ein dem Untergange geweihtes Geschlecht sein müßten, wollten
wir nicht aus ihm Lehren ziehen: Sport und Luxus. Die Durchquerung
des atlantischen Ozeans ist zum Sport der beteiligten Schiffahrtsgesellschaften
geworden! Die Kapitäne haben nicht mehr die alleinige Aufgabe, die ihnen
anvertrauten Menschen nud Güter wohlbehalten über das Meer zu führen;
unsere hastende Zeit fordert von ihnen die Überbietung jeder erreichten Ge¬
schwindigkeit und stachelt dadurch ihren Wagemut bis ins Unendliche. Nach
allen bisher ernst zu nehmenden Nachrichten darf man das sportliche Moment,
die Nekordwut, als die wesentlichste Ursache des Unglücks bezeichnen. Für den
Umfang der Katastrophe aber tritt ein weiteres Moment hinzu: das Luxus¬
bedürfnis und die Erziehung des Publikums zum Luxus durch die miteinander
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