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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Aunstgeschichte

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miterwägen, die jedem Fortschritt , selbst in
technischer Hinsicht, nur zu oft in die Speiche"
greift. --Ans eine gemeinsame Urlultur scheinen
mir Sitten zurückzuweisen wie die, der Er¬
wählten des kaiserlichen Harems einen sil¬
bernen Ring anzustecken und, wenn sie sich
Mutter fühlt, einen goldenen auf die rechte
Hand. Wer denkt da nicht an die Ber-
miihlungssitte der Juden? Oder man be¬
trachte die Figur Buddhas als Kind in
einer Schale des Todaijitempels, Rara,
und vergegenwärtige sich die in Kreta
ausgegrnbencn Püppchen mythischer Kultur.
Man vergleiche die Steinpfeiler in Hiao
Tnngchnn, Shantung (1. Jahrh, n. Chr.) mit
frühromanischen Säulen oder beobachte die
Rücksichtnahme auf Himmelsrichtungen bei
Tempel-, Stadt- und Palastanlagen, die an
ägyptische und römische Gewohnheit (Bitrnv,
Zehn Bücher über Architektur, Buch IV, Kap. 6)
erinnert. Demgegenüber steht deutlich erkenn¬
bar das fremdem Kulturkreise Entlehnte.
Während bei den Mittelmeervölkern die Archi¬
tektur die Mutter der Künste ist und alle
künstlerischen Gesetze, wie Symmetrie, Ryth-
mus, Reihung, sich in ihr am klarsten aus¬
sprechen, fehlen diese Gesetze in der chine¬
sischen Kunst oder wirken in einer der unseren
entgegengesetzten Form, weil der Chinese keine
Architektur in unserem Sinne kennt. Finden
wir also im chinesischen Kunsthandwerk sym¬
metrische Gegenüberstellung, rythniische Raum-
süliung, Perspektive von einem Augenpunkt
aus, so liegt Beeinflussung unseres Kultur¬
kreises vor. Dagegen ist alles das, was wir
naiv als chinesisch bezeichnen: übermäßige
Berschnörkelung des Linienspieles und der
ornamentalen Füllung, eine Eigentümlichkeit
des dekadenten, unschöpferischen, daher spiele¬
rischen Mandschustiles. Unter den Entleh¬
nungen, die zumal bei den Geweben deutlich
die Persischen Borbilder verraten, interessieren

[Ende Spaltensatz]
"Chinesischen
Kunstgeschichte" von Oskar Münsterver,^




Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Aunstgeschichte

[Spaltenumbruch]

miterwägen, die jedem Fortschritt , selbst in
technischer Hinsicht, nur zu oft in die Speiche»
greift. —Ans eine gemeinsame Urlultur scheinen
mir Sitten zurückzuweisen wie die, der Er¬
wählten des kaiserlichen Harems einen sil¬
bernen Ring anzustecken und, wenn sie sich
Mutter fühlt, einen goldenen auf die rechte
Hand. Wer denkt da nicht an die Ber-
miihlungssitte der Juden? Oder man be¬
trachte die Figur Buddhas als Kind in
einer Schale des Todaijitempels, Rara,
und vergegenwärtige sich die in Kreta
ausgegrnbencn Püppchen mythischer Kultur.
Man vergleiche die Steinpfeiler in Hiao
Tnngchnn, Shantung (1. Jahrh, n. Chr.) mit
frühromanischen Säulen oder beobachte die
Rücksichtnahme auf Himmelsrichtungen bei
Tempel-, Stadt- und Palastanlagen, die an
ägyptische und römische Gewohnheit (Bitrnv,
Zehn Bücher über Architektur, Buch IV, Kap. 6)
erinnert. Demgegenüber steht deutlich erkenn¬
bar das fremdem Kulturkreise Entlehnte.
Während bei den Mittelmeervölkern die Archi¬
tektur die Mutter der Künste ist und alle
künstlerischen Gesetze, wie Symmetrie, Ryth-
mus, Reihung, sich in ihr am klarsten aus¬
sprechen, fehlen diese Gesetze in der chine¬
sischen Kunst oder wirken in einer der unseren
entgegengesetzten Form, weil der Chinese keine
Architektur in unserem Sinne kennt. Finden
wir also im chinesischen Kunsthandwerk sym¬
metrische Gegenüberstellung, rythniische Raum-
süliung, Perspektive von einem Augenpunkt
aus, so liegt Beeinflussung unseres Kultur¬
kreises vor. Dagegen ist alles das, was wir
naiv als chinesisch bezeichnen: übermäßige
Berschnörkelung des Linienspieles und der
ornamentalen Füllung, eine Eigentümlichkeit
des dekadenten, unschöpferischen, daher spiele¬
rischen Mandschustiles. Unter den Entleh¬
nungen, die zumal bei den Geweben deutlich
die Persischen Borbilder verraten, interessieren

[Ende Spaltensatz]
„Chinesischen
Kunstgeschichte" von Oskar Münsterver,^


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[0254] [Abbildung] Maßgebliches und Unmaßgebliches Aunstgeschichte miterwägen, die jedem Fortschritt , selbst in technischer Hinsicht, nur zu oft in die Speiche» greift. —Ans eine gemeinsame Urlultur scheinen mir Sitten zurückzuweisen wie die, der Er¬ wählten des kaiserlichen Harems einen sil¬ bernen Ring anzustecken und, wenn sie sich Mutter fühlt, einen goldenen auf die rechte Hand. Wer denkt da nicht an die Ber- miihlungssitte der Juden? Oder man be¬ trachte die Figur Buddhas als Kind in einer Schale des Todaijitempels, Rara, und vergegenwärtige sich die in Kreta ausgegrnbencn Püppchen mythischer Kultur. Man vergleiche die Steinpfeiler in Hiao Tnngchnn, Shantung (1. Jahrh, n. Chr.) mit frühromanischen Säulen oder beobachte die Rücksichtnahme auf Himmelsrichtungen bei Tempel-, Stadt- und Palastanlagen, die an ägyptische und römische Gewohnheit (Bitrnv, Zehn Bücher über Architektur, Buch IV, Kap. 6) erinnert. Demgegenüber steht deutlich erkenn¬ bar das fremdem Kulturkreise Entlehnte. Während bei den Mittelmeervölkern die Archi¬ tektur die Mutter der Künste ist und alle künstlerischen Gesetze, wie Symmetrie, Ryth- mus, Reihung, sich in ihr am klarsten aus¬ sprechen, fehlen diese Gesetze in der chine¬ sischen Kunst oder wirken in einer der unseren entgegengesetzten Form, weil der Chinese keine Architektur in unserem Sinne kennt. Finden wir also im chinesischen Kunsthandwerk sym¬ metrische Gegenüberstellung, rythniische Raum- süliung, Perspektive von einem Augenpunkt aus, so liegt Beeinflussung unseres Kultur¬ kreises vor. Dagegen ist alles das, was wir naiv als chinesisch bezeichnen: übermäßige Berschnörkelung des Linienspieles und der ornamentalen Füllung, eine Eigentümlichkeit des dekadenten, unschöpferischen, daher spiele¬ rischen Mandschustiles. Unter den Entleh¬ nungen, die zumal bei den Geweben deutlich die Persischen Borbilder verraten, interessieren „Chinesischen Kunstgeschichte" von Oskar Münsterver,^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/254>, abgerufen am 18.05.2024.