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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Wirtschaftliche Rüstung
von Lcindrat ni, D, von Goldberg

aß es neben der militärischen Rüstung eine finanzielle Rüstung
gibt, ist demi allgemeinen Verständnis seit langem durch Herrn
Reichsbankprästdenten Havenstein nahegebracht worden. Von
anderer hochverdienter Seite, dem Grafen Schwerin-Lowitz, wurde
neuerdings das Wort "wirtschaftliche Rüstung" geprägt, und zwar
in dem Sinne des Feldmarschalls Moltke: "In dem Augenblick, wo für den
Kriegsfall die deutsche Landwirtschaft nicht mehr in der Lage wäre, Heer und
Flotte unabhängig vom Auslande zu ernähren, in dem Augenblick hätten wir
jeden Feldzug schon verloren, bevor noch der erste Kanonenschuß gefallen wäre."

Es handelt sich also für uns um Unabhängigkeit vom Auslande. Aber
nicht um Unabhängigkeit der einzelnen Privatwirtschaft. Es kann von vorn¬
herein allen Gegnern zugegeben werden, daß auf dein Gebiete des privaten
Geschäftslebens ein paritätisches Verhältnis (av ut ass) herrscht, und daß durch
den Bezug einer Ware kein Käufer in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Ver¬
käufer tritt. Vielmehr handelt es sich hier um volkswirtschaftliche Abhängigkeiten,
wie sie z. B. hinsichtlich des deutschen Kalis und des amerikanischen Petroleums
niemand bestretten wird, und die das diplomatische und gesetzgeberische Verhalten
der Staaten schon im Frieden wesentlich beeinflussen können. Andrerseits wollen
wir hier nicht beweisen, daß auf äußeren Glanz eines Staates plötzlich ein
Zusammenbruch folgen kann, weil dieser Glanz schon lange vom wirtschaftlich
unterjochten Auslande zehrte und schon lange im eigenen Innern etwas faul
war. Der Untergang des ehemaligen spanischen Weltreiches ist sicher eine Folge
eigener wirtschaftlicher Schwäche Spaniens gewesen, höchst wahrscheinlich auch
der Untergang Karthagos nach den glänzenden Siegen Hannibals. Und selbst
Frankreichs Erschöpfung, als die napoleonischen Siege ihm keine Reichtümer
mehr zuführten, wird zum guten Teil darauf zurückgeführt, daß Napoleon
durch die Kontinentalsperre das eigene Land wirtschaftlich ungemein geschwächt
hatte. Aber auf diese Art Abhängigkeit vom Auslande -- die damit zusammen¬
hängt, daß der eigene Staat sich wie ein gieriger Geschäftsmann mit zu viel
Außenpositionen "übernommen" hat -- gehen wir hier nicht näher ein, sondern
suchen die Bedeutung wirtschaftlicher Rüstung in dem engeren Sinne Moltkes.




Wirtschaftliche Rüstung
von Lcindrat ni, D, von Goldberg

aß es neben der militärischen Rüstung eine finanzielle Rüstung
gibt, ist demi allgemeinen Verständnis seit langem durch Herrn
Reichsbankprästdenten Havenstein nahegebracht worden. Von
anderer hochverdienter Seite, dem Grafen Schwerin-Lowitz, wurde
neuerdings das Wort „wirtschaftliche Rüstung" geprägt, und zwar
in dem Sinne des Feldmarschalls Moltke: „In dem Augenblick, wo für den
Kriegsfall die deutsche Landwirtschaft nicht mehr in der Lage wäre, Heer und
Flotte unabhängig vom Auslande zu ernähren, in dem Augenblick hätten wir
jeden Feldzug schon verloren, bevor noch der erste Kanonenschuß gefallen wäre."

Es handelt sich also für uns um Unabhängigkeit vom Auslande. Aber
nicht um Unabhängigkeit der einzelnen Privatwirtschaft. Es kann von vorn¬
herein allen Gegnern zugegeben werden, daß auf dein Gebiete des privaten
Geschäftslebens ein paritätisches Verhältnis (av ut ass) herrscht, und daß durch
den Bezug einer Ware kein Käufer in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Ver¬
käufer tritt. Vielmehr handelt es sich hier um volkswirtschaftliche Abhängigkeiten,
wie sie z. B. hinsichtlich des deutschen Kalis und des amerikanischen Petroleums
niemand bestretten wird, und die das diplomatische und gesetzgeberische Verhalten
der Staaten schon im Frieden wesentlich beeinflussen können. Andrerseits wollen
wir hier nicht beweisen, daß auf äußeren Glanz eines Staates plötzlich ein
Zusammenbruch folgen kann, weil dieser Glanz schon lange vom wirtschaftlich
unterjochten Auslande zehrte und schon lange im eigenen Innern etwas faul
war. Der Untergang des ehemaligen spanischen Weltreiches ist sicher eine Folge
eigener wirtschaftlicher Schwäche Spaniens gewesen, höchst wahrscheinlich auch
der Untergang Karthagos nach den glänzenden Siegen Hannibals. Und selbst
Frankreichs Erschöpfung, als die napoleonischen Siege ihm keine Reichtümer
mehr zuführten, wird zum guten Teil darauf zurückgeführt, daß Napoleon
durch die Kontinentalsperre das eigene Land wirtschaftlich ungemein geschwächt
hatte. Aber auf diese Art Abhängigkeit vom Auslande — die damit zusammen¬
hängt, daß der eigene Staat sich wie ein gieriger Geschäftsmann mit zu viel
Außenpositionen „übernommen" hat — gehen wir hier nicht näher ein, sondern
suchen die Bedeutung wirtschaftlicher Rüstung in dem engeren Sinne Moltkes.


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[0283] [Abbildung] Wirtschaftliche Rüstung von Lcindrat ni, D, von Goldberg aß es neben der militärischen Rüstung eine finanzielle Rüstung gibt, ist demi allgemeinen Verständnis seit langem durch Herrn Reichsbankprästdenten Havenstein nahegebracht worden. Von anderer hochverdienter Seite, dem Grafen Schwerin-Lowitz, wurde neuerdings das Wort „wirtschaftliche Rüstung" geprägt, und zwar in dem Sinne des Feldmarschalls Moltke: „In dem Augenblick, wo für den Kriegsfall die deutsche Landwirtschaft nicht mehr in der Lage wäre, Heer und Flotte unabhängig vom Auslande zu ernähren, in dem Augenblick hätten wir jeden Feldzug schon verloren, bevor noch der erste Kanonenschuß gefallen wäre." Es handelt sich also für uns um Unabhängigkeit vom Auslande. Aber nicht um Unabhängigkeit der einzelnen Privatwirtschaft. Es kann von vorn¬ herein allen Gegnern zugegeben werden, daß auf dein Gebiete des privaten Geschäftslebens ein paritätisches Verhältnis (av ut ass) herrscht, und daß durch den Bezug einer Ware kein Käufer in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Ver¬ käufer tritt. Vielmehr handelt es sich hier um volkswirtschaftliche Abhängigkeiten, wie sie z. B. hinsichtlich des deutschen Kalis und des amerikanischen Petroleums niemand bestretten wird, und die das diplomatische und gesetzgeberische Verhalten der Staaten schon im Frieden wesentlich beeinflussen können. Andrerseits wollen wir hier nicht beweisen, daß auf äußeren Glanz eines Staates plötzlich ein Zusammenbruch folgen kann, weil dieser Glanz schon lange vom wirtschaftlich unterjochten Auslande zehrte und schon lange im eigenen Innern etwas faul war. Der Untergang des ehemaligen spanischen Weltreiches ist sicher eine Folge eigener wirtschaftlicher Schwäche Spaniens gewesen, höchst wahrscheinlich auch der Untergang Karthagos nach den glänzenden Siegen Hannibals. Und selbst Frankreichs Erschöpfung, als die napoleonischen Siege ihm keine Reichtümer mehr zuführten, wird zum guten Teil darauf zurückgeführt, daß Napoleon durch die Kontinentalsperre das eigene Land wirtschaftlich ungemein geschwächt hatte. Aber auf diese Art Abhängigkeit vom Auslande — die damit zusammen¬ hängt, daß der eigene Staat sich wie ein gieriger Geschäftsmann mit zu viel Außenpositionen „übernommen" hat — gehen wir hier nicht näher ein, sondern suchen die Bedeutung wirtschaftlicher Rüstung in dem engeren Sinne Moltkes.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/283>, abgerufen am 19.05.2024.