Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.Der Wiesenzaun "Line Dürer-Novelle Oon Franz Aarl Ginzkey 4. Das traurige Schicksal des Jörg Graff begann sich mählich wieder zu Doch mehr noch als des blinden Sängers urwüchsig derbe, als sichere Felicitas begleitete den Vater stets in die Schenke und führte ihn auch Der Wiesenzaun «Line Dürer-Novelle Oon Franz Aarl Ginzkey 4. Das traurige Schicksal des Jörg Graff begann sich mählich wieder zu Doch mehr noch als des blinden Sängers urwüchsig derbe, als sichere Felicitas begleitete den Vater stets in die Schenke und führte ihn auch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0291" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321374"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341895_321082/figures/grenzboten_341895_321082_321374_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Der Wiesenzaun<lb/> «Line Dürer-Novelle<lb/><note type="byline"> Oon Franz Aarl Ginzkey</note></head><lb/> <div n="2"> <head> 4.</head><lb/> <p xml:id="ID_1183"> Das traurige Schicksal des Jörg Graff begann sich mählich wieder zu<lb/> erhellen. Er vermochte zwar noch oft in die heftigste Verzweiflung über seine<lb/> Blindheit zu geraten, aber es gab doch mancherlei Ablenkungen und bescheidene<lb/> Freuden, zumal wenn es um die Befriedigung seiner nicht geringen Eitelkeit<lb/> ging. Er war vor allem nicht wenig stolz darauf, daß von feiten des hohen<lb/> Rates der Nachdruck seiner Lieder auf ein Vierteljahr verboten ward, was sich<lb/> im Volke genugsam herumsprach und das Ansehen seines Namens verbreitete.<lb/> Es drängten sich nunmehr die Sachverständigen und Schaulustigen herbei, wenn<lb/> er irgendwo in einer Schenke sang, und mancher klugberechnende Wirt verstand<lb/> daraus seinen Vorteil zu ziehen. Besonders die ehrsame Innung der Gürtler<lb/> war es, die dem einstigen Zunftgenossen noch immer getreulich anhing und sein<lb/> abenteuerliches Schicksal mit gruseligen: Mitleid liber sich ergehen ließ.</p><lb/> <p xml:id="ID_1184"> Doch mehr noch als des blinden Sängers urwüchsig derbe, als sichere<lb/> Pfeile ins Herz des niederen Volkes abfliegende Lieder vermochte die Schönheit<lb/> und das seltsame Gehaben seiner Tochter die Neugier des lieben Publikums<lb/> zu reizen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1185"> Felicitas begleitete den Vater stets in die Schenke und führte ihn auch<lb/> wieder nach Hause, tat aber im übrigen, als hätte sie keinerlei Anteil an allen,,<lb/> was sonst mit des Vaters „hofierendem" Gewerbe zusammenhing. Sie saß ganz<lb/> still und gelassen an seiner Seite, als gehörte auch sie den Zuhörern an, und<lb/> dankte auch keineswegs, wenn ein freigebiger Gast seinen Heller oder gar einen<lb/> Weißpfennig mit Geklirr auf den zinnernen Teller warf. Zuweilen trank ihr<lb/> ein Wohlgelaunter oder ein von ihrer Schönheit Betroffener kühnlich zu; dem<lb/> dankte sie nur, wenn es in allen Ehren geschehen konnte, und wußte sich<lb/> ansonsten jegliches ungeziemende Gespäße oder Gedenke so glatt vom Leibe<lb/> zu halten, daß den abgeblitzten Unternehmer gar bald eine reuige Verwirrung<lb/> überkam.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0291]
[Abbildung]
Der Wiesenzaun
«Line Dürer-Novelle
Oon Franz Aarl Ginzkey
4.
Das traurige Schicksal des Jörg Graff begann sich mählich wieder zu
erhellen. Er vermochte zwar noch oft in die heftigste Verzweiflung über seine
Blindheit zu geraten, aber es gab doch mancherlei Ablenkungen und bescheidene
Freuden, zumal wenn es um die Befriedigung seiner nicht geringen Eitelkeit
ging. Er war vor allem nicht wenig stolz darauf, daß von feiten des hohen
Rates der Nachdruck seiner Lieder auf ein Vierteljahr verboten ward, was sich
im Volke genugsam herumsprach und das Ansehen seines Namens verbreitete.
Es drängten sich nunmehr die Sachverständigen und Schaulustigen herbei, wenn
er irgendwo in einer Schenke sang, und mancher klugberechnende Wirt verstand
daraus seinen Vorteil zu ziehen. Besonders die ehrsame Innung der Gürtler
war es, die dem einstigen Zunftgenossen noch immer getreulich anhing und sein
abenteuerliches Schicksal mit gruseligen: Mitleid liber sich ergehen ließ.
Doch mehr noch als des blinden Sängers urwüchsig derbe, als sichere
Pfeile ins Herz des niederen Volkes abfliegende Lieder vermochte die Schönheit
und das seltsame Gehaben seiner Tochter die Neugier des lieben Publikums
zu reizen.
Felicitas begleitete den Vater stets in die Schenke und führte ihn auch
wieder nach Hause, tat aber im übrigen, als hätte sie keinerlei Anteil an allen,,
was sonst mit des Vaters „hofierendem" Gewerbe zusammenhing. Sie saß ganz
still und gelassen an seiner Seite, als gehörte auch sie den Zuhörern an, und
dankte auch keineswegs, wenn ein freigebiger Gast seinen Heller oder gar einen
Weißpfennig mit Geklirr auf den zinnernen Teller warf. Zuweilen trank ihr
ein Wohlgelaunter oder ein von ihrer Schönheit Betroffener kühnlich zu; dem
dankte sie nur, wenn es in allen Ehren geschehen konnte, und wußte sich
ansonsten jegliches ungeziemende Gespäße oder Gedenke so glatt vom Leibe
zu halten, daß den abgeblitzten Unternehmer gar bald eine reuige Verwirrung
überkam.
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