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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

nbhüngigkeit nach oben, beileibe nicht etwa
nach unten. Ein Richter, der allen Vor¬
gesetzten zum Trotz an seiner Meinung fest¬
hält und allen (angeblichen) BeeinflussungS-
bersuchen standhält, ist ein Held, Er ist ein
gerader und aufrechter Charakter, der Rück¬
grat hat und aus jenem zähen Holze ge¬
schnitzt ist, das man freilich unter dem heutigen
Strebertum nur noch selten findet. Wehe ihm
aber, wenn er es wagt, eine Auffassung zu
vertreten, die der öffentlichen Meinung un¬
bequem ist. Dann wird er mit Schmutz be-
worfen, weil er sich in bureaukratischen Dünkel
dem lebendigen Rechtsbewußtsein des Volkes
eiitgcgenstemmt. Ehrlich gesagt, es gehört
unter den heutigen Vorhältnissen, bei der
^ügellosigkeit einer gewissen Presse und der
weitverbreiteten Verlogenheit der Politischen
Agitation, ein weit größerer Mut dazu, ein
Urteil zu fällen, von dem man voraussieht,
daß es in der Öffentlichkeit Staub aufwirbeln
wird, als einen Spruch zu erlassen, der viel¬
leicht einem Vorgesetzten nicht gefällt. Mit
wie verschiedenem Maße gerade auf diesem
Gebiete gemessen wird, dafür nur ein Beispiel
aus jüngster Zeit: Gelegentlich einer Jnter¬
pellation über die Handhabung des Reichs¬
vereinsgesetzes tadelt ein Redner eine gewisse
Auslegung dieses Gesetzes durch die Gerichte.
Der Reichskanzler erklärt hieraus, er halte
ebenfalls diese Auslegung nicht für richtig, er
sei aber nicht berechtigt, den Gerichten hier¬
über Anweisungen zu erteilen. Und was ge¬
schieht in den Reihen der linken Seite des
Hauses, aus der Mitte derselben Herren, die
sich sonst mit ebensogroßen Eifer wie un¬
gebetener Beflissenheit als Wahrer der Unab¬
hängigkeit des Richterstandes ausspielen? Man
rief dem Reichskanzler zu: "Die Gerichte sollen
sich danach richten." Das bedeutet also, daß
sie solange unabhängig sein sollen, als ihre
Anschauungen der Demokratie wohlgefällig
sind, länger nicht. Es macht einen eigen¬
artigen Eindruck, daß ein solcher Zwischenruf
aus denselben Reihen stammt, aus denen man
so oft der rechten Seite des Hauses höhnisch
das Wort entgegengehalten hat: "Und der
.^orig absolut, wenn er unseren Willen tut."

Übrigens, damit wenigstens in einer
Beziehung Gerechtigkeit herrsche und nicht mit
zweierlei, sondern nur mit einerlei Muß ge¬

[Spaltenumbruch]

messen werde, so kommen die Gerichte nicht
etwa schlechter weg, als ihre höchste Spitze, die
Justizverwaltung. In allen Tonarten singt
die öffentliche Meinung das Lied, daß das
Examen nicht den Mann macht, daß man
sich hüten solle, den Wert einer staatlichen
Prüfung zu überschätzen, sondern nur danach
fragen solle, wer sich im Berufe als tüchtig
bewähre. Das hindert aber nicht, daß man
dem preußischen Justizminister einen Vorwurf
daraus macht, wenn er Assessoren, die sich in
der Praxis nicht bewährt haben, mitteilt,
daß sie auf Anstellung nicht zu rechnen
hätten. Warum das, was sonst richtig ist,
hier auf einmal falsch sein soll, warum es
gerade hier erlaubt sein soll, sich eine Pfründe
zu erhitzen, darauf ist man uns bisher die
Antwort schuldig geblieben. Vermutlich glaubt
man auch hier wieder einmal die Unab¬
hängigkeit des Richterstandes gefährdet. Die
Herren mögen ruhig schlafen. Wenn es
wirklich einmal nötig sein sollte, wozu vor¬
läufig keinerlei Aussicht vorhanden ist, die
Unabhängigkeit des Nichterstnndes gegen
Beeinträchtigungen von oben her zu schützen,
so werden wir selbst uns unsere Stellung zu
wahren wissen.

Die Tagespresse als die berufene Ver¬
treterin der öffentlichen Meinung klagt so oft
darüber, daß die Gerichte ihr nicht die nötige
Achtung vor ihrer Berufstätigkeit entgegen¬
bringen. Wenn das richtig ist, so ist der
Grund dafür nach dem Vorstehenden nicht
schwer zu finden. --

Nachwort.

Nachdem dieser Aufsatz zum
Druck gegeben war, hat im Reichstage die
Beratung des Justizetats stattgefunden.

Dabei hat sich ein Abgeordneter in heftigen
Anklagen gegen ein Gericht ergangen, das sich
von einem Angeklagten eine schriftliche Er¬
klärung hatte ausstellen lassen, wonach er auf
Jnnchaltung der Ladungsfrist verzichtete. Es
handelt sich darum, daß nach der Strafproze߬
ordnung zwischen der Ladung des Angeklagten
zur Hauptverhandlung und dieser selbst eine
Frist von mindestens einer Woche liegen muß,
um dem Angeklagten die Borbereitung auf
die Verhandlung zu ermöglichen, und es ist
vielfach üblich, in Untersuchungshaft befind¬
liche Angeklagte, um ihnen diese Haft möglichst

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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nbhüngigkeit nach oben, beileibe nicht etwa
nach unten. Ein Richter, der allen Vor¬
gesetzten zum Trotz an seiner Meinung fest¬
hält und allen (angeblichen) BeeinflussungS-
bersuchen standhält, ist ein Held, Er ist ein
gerader und aufrechter Charakter, der Rück¬
grat hat und aus jenem zähen Holze ge¬
schnitzt ist, das man freilich unter dem heutigen
Strebertum nur noch selten findet. Wehe ihm
aber, wenn er es wagt, eine Auffassung zu
vertreten, die der öffentlichen Meinung un¬
bequem ist. Dann wird er mit Schmutz be-
worfen, weil er sich in bureaukratischen Dünkel
dem lebendigen Rechtsbewußtsein des Volkes
eiitgcgenstemmt. Ehrlich gesagt, es gehört
unter den heutigen Vorhältnissen, bei der
^ügellosigkeit einer gewissen Presse und der
weitverbreiteten Verlogenheit der Politischen
Agitation, ein weit größerer Mut dazu, ein
Urteil zu fällen, von dem man voraussieht,
daß es in der Öffentlichkeit Staub aufwirbeln
wird, als einen Spruch zu erlassen, der viel¬
leicht einem Vorgesetzten nicht gefällt. Mit
wie verschiedenem Maße gerade auf diesem
Gebiete gemessen wird, dafür nur ein Beispiel
aus jüngster Zeit: Gelegentlich einer Jnter¬
pellation über die Handhabung des Reichs¬
vereinsgesetzes tadelt ein Redner eine gewisse
Auslegung dieses Gesetzes durch die Gerichte.
Der Reichskanzler erklärt hieraus, er halte
ebenfalls diese Auslegung nicht für richtig, er
sei aber nicht berechtigt, den Gerichten hier¬
über Anweisungen zu erteilen. Und was ge¬
schieht in den Reihen der linken Seite des
Hauses, aus der Mitte derselben Herren, die
sich sonst mit ebensogroßen Eifer wie un¬
gebetener Beflissenheit als Wahrer der Unab¬
hängigkeit des Richterstandes ausspielen? Man
rief dem Reichskanzler zu: „Die Gerichte sollen
sich danach richten." Das bedeutet also, daß
sie solange unabhängig sein sollen, als ihre
Anschauungen der Demokratie wohlgefällig
sind, länger nicht. Es macht einen eigen¬
artigen Eindruck, daß ein solcher Zwischenruf
aus denselben Reihen stammt, aus denen man
so oft der rechten Seite des Hauses höhnisch
das Wort entgegengehalten hat: „Und der
.^orig absolut, wenn er unseren Willen tut."

Übrigens, damit wenigstens in einer
Beziehung Gerechtigkeit herrsche und nicht mit
zweierlei, sondern nur mit einerlei Muß ge¬

[Spaltenumbruch]

messen werde, so kommen die Gerichte nicht
etwa schlechter weg, als ihre höchste Spitze, die
Justizverwaltung. In allen Tonarten singt
die öffentliche Meinung das Lied, daß das
Examen nicht den Mann macht, daß man
sich hüten solle, den Wert einer staatlichen
Prüfung zu überschätzen, sondern nur danach
fragen solle, wer sich im Berufe als tüchtig
bewähre. Das hindert aber nicht, daß man
dem preußischen Justizminister einen Vorwurf
daraus macht, wenn er Assessoren, die sich in
der Praxis nicht bewährt haben, mitteilt,
daß sie auf Anstellung nicht zu rechnen
hätten. Warum das, was sonst richtig ist,
hier auf einmal falsch sein soll, warum es
gerade hier erlaubt sein soll, sich eine Pfründe
zu erhitzen, darauf ist man uns bisher die
Antwort schuldig geblieben. Vermutlich glaubt
man auch hier wieder einmal die Unab¬
hängigkeit des Richterstandes gefährdet. Die
Herren mögen ruhig schlafen. Wenn es
wirklich einmal nötig sein sollte, wozu vor¬
läufig keinerlei Aussicht vorhanden ist, die
Unabhängigkeit des Nichterstnndes gegen
Beeinträchtigungen von oben her zu schützen,
so werden wir selbst uns unsere Stellung zu
wahren wissen.

Die Tagespresse als die berufene Ver¬
treterin der öffentlichen Meinung klagt so oft
darüber, daß die Gerichte ihr nicht die nötige
Achtung vor ihrer Berufstätigkeit entgegen¬
bringen. Wenn das richtig ist, so ist der
Grund dafür nach dem Vorstehenden nicht
schwer zu finden. —

Nachwort.

Nachdem dieser Aufsatz zum
Druck gegeben war, hat im Reichstage die
Beratung des Justizetats stattgefunden.

Dabei hat sich ein Abgeordneter in heftigen
Anklagen gegen ein Gericht ergangen, das sich
von einem Angeklagten eine schriftliche Er¬
klärung hatte ausstellen lassen, wonach er auf
Jnnchaltung der Ladungsfrist verzichtete. Es
handelt sich darum, daß nach der Strafproze߬
ordnung zwischen der Ladung des Angeklagten
zur Hauptverhandlung und dieser selbst eine
Frist von mindestens einer Woche liegen muß,
um dem Angeklagten die Borbereitung auf
die Verhandlung zu ermöglichen, und es ist
vielfach üblich, in Untersuchungshaft befind¬
liche Angeklagte, um ihnen diese Haft möglichst

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[0308] Maßgebliches und Unmaßgebliches nbhüngigkeit nach oben, beileibe nicht etwa nach unten. Ein Richter, der allen Vor¬ gesetzten zum Trotz an seiner Meinung fest¬ hält und allen (angeblichen) BeeinflussungS- bersuchen standhält, ist ein Held, Er ist ein gerader und aufrechter Charakter, der Rück¬ grat hat und aus jenem zähen Holze ge¬ schnitzt ist, das man freilich unter dem heutigen Strebertum nur noch selten findet. Wehe ihm aber, wenn er es wagt, eine Auffassung zu vertreten, die der öffentlichen Meinung un¬ bequem ist. Dann wird er mit Schmutz be- worfen, weil er sich in bureaukratischen Dünkel dem lebendigen Rechtsbewußtsein des Volkes eiitgcgenstemmt. Ehrlich gesagt, es gehört unter den heutigen Vorhältnissen, bei der ^ügellosigkeit einer gewissen Presse und der weitverbreiteten Verlogenheit der Politischen Agitation, ein weit größerer Mut dazu, ein Urteil zu fällen, von dem man voraussieht, daß es in der Öffentlichkeit Staub aufwirbeln wird, als einen Spruch zu erlassen, der viel¬ leicht einem Vorgesetzten nicht gefällt. Mit wie verschiedenem Maße gerade auf diesem Gebiete gemessen wird, dafür nur ein Beispiel aus jüngster Zeit: Gelegentlich einer Jnter¬ pellation über die Handhabung des Reichs¬ vereinsgesetzes tadelt ein Redner eine gewisse Auslegung dieses Gesetzes durch die Gerichte. Der Reichskanzler erklärt hieraus, er halte ebenfalls diese Auslegung nicht für richtig, er sei aber nicht berechtigt, den Gerichten hier¬ über Anweisungen zu erteilen. Und was ge¬ schieht in den Reihen der linken Seite des Hauses, aus der Mitte derselben Herren, die sich sonst mit ebensogroßen Eifer wie un¬ gebetener Beflissenheit als Wahrer der Unab¬ hängigkeit des Richterstandes ausspielen? Man rief dem Reichskanzler zu: „Die Gerichte sollen sich danach richten." Das bedeutet also, daß sie solange unabhängig sein sollen, als ihre Anschauungen der Demokratie wohlgefällig sind, länger nicht. Es macht einen eigen¬ artigen Eindruck, daß ein solcher Zwischenruf aus denselben Reihen stammt, aus denen man so oft der rechten Seite des Hauses höhnisch das Wort entgegengehalten hat: „Und der .^orig absolut, wenn er unseren Willen tut." Übrigens, damit wenigstens in einer Beziehung Gerechtigkeit herrsche und nicht mit zweierlei, sondern nur mit einerlei Muß ge¬ messen werde, so kommen die Gerichte nicht etwa schlechter weg, als ihre höchste Spitze, die Justizverwaltung. In allen Tonarten singt die öffentliche Meinung das Lied, daß das Examen nicht den Mann macht, daß man sich hüten solle, den Wert einer staatlichen Prüfung zu überschätzen, sondern nur danach fragen solle, wer sich im Berufe als tüchtig bewähre. Das hindert aber nicht, daß man dem preußischen Justizminister einen Vorwurf daraus macht, wenn er Assessoren, die sich in der Praxis nicht bewährt haben, mitteilt, daß sie auf Anstellung nicht zu rechnen hätten. Warum das, was sonst richtig ist, hier auf einmal falsch sein soll, warum es gerade hier erlaubt sein soll, sich eine Pfründe zu erhitzen, darauf ist man uns bisher die Antwort schuldig geblieben. Vermutlich glaubt man auch hier wieder einmal die Unab¬ hängigkeit des Richterstandes gefährdet. Die Herren mögen ruhig schlafen. Wenn es wirklich einmal nötig sein sollte, wozu vor¬ läufig keinerlei Aussicht vorhanden ist, die Unabhängigkeit des Nichterstnndes gegen Beeinträchtigungen von oben her zu schützen, so werden wir selbst uns unsere Stellung zu wahren wissen. Die Tagespresse als die berufene Ver¬ treterin der öffentlichen Meinung klagt so oft darüber, daß die Gerichte ihr nicht die nötige Achtung vor ihrer Berufstätigkeit entgegen¬ bringen. Wenn das richtig ist, so ist der Grund dafür nach dem Vorstehenden nicht schwer zu finden. — Nachwort. Nachdem dieser Aufsatz zum Druck gegeben war, hat im Reichstage die Beratung des Justizetats stattgefunden. Dabei hat sich ein Abgeordneter in heftigen Anklagen gegen ein Gericht ergangen, das sich von einem Angeklagten eine schriftliche Er¬ klärung hatte ausstellen lassen, wonach er auf Jnnchaltung der Ladungsfrist verzichtete. Es handelt sich darum, daß nach der Strafproze߬ ordnung zwischen der Ladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung und dieser selbst eine Frist von mindestens einer Woche liegen muß, um dem Angeklagten die Borbereitung auf die Verhandlung zu ermöglichen, und es ist vielfach üblich, in Untersuchungshaft befind¬ liche Angeklagte, um ihnen diese Haft möglichst

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/308>, abgerufen am 18.05.2024.