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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

abzukürzen, zu befragen, ob sie auf Jnne-
haltuug der Ladungsfrist verzichten. Daraus,
dnß dies hier geschehen ist, wird die Be¬
rechtigung hergeleitet, das Gericht einer Ver¬
gewaltigung des Angeklagten zu zeihen. Würde
ein Gericht erklären, die Ladungsfrist sei im
Gesetz bestimmt und es sei daher unzulässig,
dem Angeklagten dadurch entgegenzukommen,
daß man sie im Einverständnis mit ihm ab¬
kürzt, so würde man über Formalismus
schreien; würde ein Gericht sagen, die Ladungs¬
frist könne zwar abgekürzt werden, aber es
sei ja nicht Aufgabe des Gerichts, den An¬
geklagten hierauf aufmerksam zu machen, wenn
er nicht selbst einen dahingehender Antrag
stelle, so würde" die Kritiker fragen, ob denn
das Gericht kein Verständnis dafür habe, das;
ein Laie sich in den formalistischen Fallstricken
und Schleichwegen der Strafprozeßordnung
nicht zurechtfinden könne.

Landrichter Dr. Riedinger-Beuthen
Ächulfragen
or. Joh. Friedrich von Schulte: Ge"en

die Konfessionsschule.

Mit besonderer Rücksicht
auf Preußen. Emil Roth, Gießen 1912.
M. 1.--.

Durch den sächsischen Volksschulgesctzeutwurf
ist die Frage der Konfessionsschule wieder in den
Bordergrund getreten und hat einen alten
Kämpfer für religiöse Toleranz, den 8S jährigen
Ritter von Schulte, den Mitbegründer deS
Altkatholizismus veranlaßt, sich "vom Stand-
Punkt des gläubigen Christen, des Vnterlands-
freundes" mit aller Schärfe gegen die
Konfessionsschule nuszusprechen. Konservative
evangelischer Orthodv.rie und Mtmmuniane,
behauptet Schulte, halten an der Konfessions¬
schule fest, um die Schule, Lehrer und Schüler
in der Hand zu haben. Dies geschehe ent¬
gegen dem Gesetze auch bei der evangelischen
Geistlichkeit durch die Ortsschulaufsicht und
die KreiSschulnufsichr, die überwiegend von
evangelischen Geistlichen ausgeübt wird.
Übrigens sträuben sich viele evangelische
Pfarrer gegen diese Aufsicht, von der sie nur
Scherereien haben, während die Lehrer mit
ihnen nieist besser fahren, als mit Fachleuten.
Grundsätzlich bleibt aber die Gefahr vor¬
handen, daß die Geistlichkeit auch über den
Religionsunterricht hinaus einen konfessionell

[Spaltenumbruch]

färbenden Einfluß auf die Schulen gewinnt.
Das darf auf keinen Fall geschehen, denn es
ist die Aufgabe des Staates, "alle künftigen
Staatsbürger in demselben patriotischen Geiste
heranzubilden" und die Religion darf nicht
mehr als die Deutschen trennend behandelt
werden. Die Erfahrung aller Länder, in
denen die öffentlichen Schulen konfessionslos
sind, lehrt, daß die beiden großen Kon¬
fessionen dort in besserer Eintracht leben, als
bei uns. Der Religionsunterricht ist Sache
der einzelnen Religionsgemeinschaften, er muß
in konfessionell gemischten Gegenden von den
Geistlichen erteilt werden. Im übrigen darf
die Religionsgemeinschaft keinen Einfluß auf
das Schulwesen ausüben, denn das Schul¬
wesen ist Sache des Staates. Den Widersinn
der Konfessionsschule zeigen um deutlichsten
die kleinen katholischen Volksschulen von 20
bis i!v Schülern um überwiegend evangelischen
Orten; sie belasten Staats- bzw. Gemeinde¬
kasse nnnöiig, die Schüler müssen von der
einen Lehrkraft im Einklnssenshstem unter¬
richtet werden, während sie ohne irgend
jemand Kosten zu bereiten, auf der benach¬
barten öffentlichen Volksschule im Achtklassen¬
system viel besser unterrichtet werden könnten
und günz sicher mehr im patriotischen Sinne
aufwachsen würden, wenn ihnen nicht von
Jugend an die konfessionelle Trennung se!
oculos demonstiert würde.

Schulte würzt übrigeus seine Aus¬
führungen mit sehr lehrreichen Erinnerungen
aus seiner Jugend in der unverblümten,
frischen Art, die wir aus seinem Memoiren-
Fritz Tychcnv Werk kennen.

Philosophie
Person und Persönlichkeit.


Von V.F.Nic-
bergall, Professor an der UnKiersität Heidel¬
berg. Leipzig 1911. Verlag Quelle u. Meyer.
170 S. 8°. Preis geb. 4 M.

Man ist heute gewohnt, das Problem der
Persönlichkeit, der Individualität, als ein Psy¬
chologisches Problem behandelt zu sehen, mau
bemüht sich meistens, es auf dem Wege Psycho¬
logischer Untersuchung zu lösen.

Diesen Weg verschmäht Riebergall; er zieht
es vor, sein Problem auf eine Art zu lösen,
die gerade i" unserer Zeit etwas in Mi߬
kredit geraten ist, nämlich durch logisch-metu-

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Grenzboien II 1912
Maßgebliches und Unmaßgebliches

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abzukürzen, zu befragen, ob sie auf Jnne-
haltuug der Ladungsfrist verzichten. Daraus,
dnß dies hier geschehen ist, wird die Be¬
rechtigung hergeleitet, das Gericht einer Ver¬
gewaltigung des Angeklagten zu zeihen. Würde
ein Gericht erklären, die Ladungsfrist sei im
Gesetz bestimmt und es sei daher unzulässig,
dem Angeklagten dadurch entgegenzukommen,
daß man sie im Einverständnis mit ihm ab¬
kürzt, so würde man über Formalismus
schreien; würde ein Gericht sagen, die Ladungs¬
frist könne zwar abgekürzt werden, aber es
sei ja nicht Aufgabe des Gerichts, den An¬
geklagten hierauf aufmerksam zu machen, wenn
er nicht selbst einen dahingehender Antrag
stelle, so würde» die Kritiker fragen, ob denn
das Gericht kein Verständnis dafür habe, das;
ein Laie sich in den formalistischen Fallstricken
und Schleichwegen der Strafprozeßordnung
nicht zurechtfinden könne.

Landrichter Dr. Riedinger-Beuthen
Ächulfragen
or. Joh. Friedrich von Schulte: Ge„en

die Konfessionsschule.

Mit besonderer Rücksicht
auf Preußen. Emil Roth, Gießen 1912.
M. 1.—.

Durch den sächsischen Volksschulgesctzeutwurf
ist die Frage der Konfessionsschule wieder in den
Bordergrund getreten und hat einen alten
Kämpfer für religiöse Toleranz, den 8S jährigen
Ritter von Schulte, den Mitbegründer deS
Altkatholizismus veranlaßt, sich „vom Stand-
Punkt des gläubigen Christen, des Vnterlands-
freundes" mit aller Schärfe gegen die
Konfessionsschule nuszusprechen. Konservative
evangelischer Orthodv.rie und Mtmmuniane,
behauptet Schulte, halten an der Konfessions¬
schule fest, um die Schule, Lehrer und Schüler
in der Hand zu haben. Dies geschehe ent¬
gegen dem Gesetze auch bei der evangelischen
Geistlichkeit durch die Ortsschulaufsicht und
die KreiSschulnufsichr, die überwiegend von
evangelischen Geistlichen ausgeübt wird.
Übrigens sträuben sich viele evangelische
Pfarrer gegen diese Aufsicht, von der sie nur
Scherereien haben, während die Lehrer mit
ihnen nieist besser fahren, als mit Fachleuten.
Grundsätzlich bleibt aber die Gefahr vor¬
handen, daß die Geistlichkeit auch über den
Religionsunterricht hinaus einen konfessionell

[Spaltenumbruch]

färbenden Einfluß auf die Schulen gewinnt.
Das darf auf keinen Fall geschehen, denn es
ist die Aufgabe des Staates, „alle künftigen
Staatsbürger in demselben patriotischen Geiste
heranzubilden" und die Religion darf nicht
mehr als die Deutschen trennend behandelt
werden. Die Erfahrung aller Länder, in
denen die öffentlichen Schulen konfessionslos
sind, lehrt, daß die beiden großen Kon¬
fessionen dort in besserer Eintracht leben, als
bei uns. Der Religionsunterricht ist Sache
der einzelnen Religionsgemeinschaften, er muß
in konfessionell gemischten Gegenden von den
Geistlichen erteilt werden. Im übrigen darf
die Religionsgemeinschaft keinen Einfluß auf
das Schulwesen ausüben, denn das Schul¬
wesen ist Sache des Staates. Den Widersinn
der Konfessionsschule zeigen um deutlichsten
die kleinen katholischen Volksschulen von 20
bis i!v Schülern um überwiegend evangelischen
Orten; sie belasten Staats- bzw. Gemeinde¬
kasse nnnöiig, die Schüler müssen von der
einen Lehrkraft im Einklnssenshstem unter¬
richtet werden, während sie ohne irgend
jemand Kosten zu bereiten, auf der benach¬
barten öffentlichen Volksschule im Achtklassen¬
system viel besser unterrichtet werden könnten
und günz sicher mehr im patriotischen Sinne
aufwachsen würden, wenn ihnen nicht von
Jugend an die konfessionelle Trennung se!
oculos demonstiert würde.

Schulte würzt übrigeus seine Aus¬
führungen mit sehr lehrreichen Erinnerungen
aus seiner Jugend in der unverblümten,
frischen Art, die wir aus seinem Memoiren-
Fritz Tychcnv Werk kennen.

Philosophie
Person und Persönlichkeit.


Von V.F.Nic-
bergall, Professor an der UnKiersität Heidel¬
berg. Leipzig 1911. Verlag Quelle u. Meyer.
170 S. 8°. Preis geb. 4 M.

Man ist heute gewohnt, das Problem der
Persönlichkeit, der Individualität, als ein Psy¬
chologisches Problem behandelt zu sehen, mau
bemüht sich meistens, es auf dem Wege Psycho¬
logischer Untersuchung zu lösen.

Diesen Weg verschmäht Riebergall; er zieht
es vor, sein Problem auf eine Art zu lösen,
die gerade i» unserer Zeit etwas in Mi߬
kredit geraten ist, nämlich durch logisch-metu-

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Grenzboien II 1912
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[0309] Maßgebliches und Unmaßgebliches abzukürzen, zu befragen, ob sie auf Jnne- haltuug der Ladungsfrist verzichten. Daraus, dnß dies hier geschehen ist, wird die Be¬ rechtigung hergeleitet, das Gericht einer Ver¬ gewaltigung des Angeklagten zu zeihen. Würde ein Gericht erklären, die Ladungsfrist sei im Gesetz bestimmt und es sei daher unzulässig, dem Angeklagten dadurch entgegenzukommen, daß man sie im Einverständnis mit ihm ab¬ kürzt, so würde man über Formalismus schreien; würde ein Gericht sagen, die Ladungs¬ frist könne zwar abgekürzt werden, aber es sei ja nicht Aufgabe des Gerichts, den An¬ geklagten hierauf aufmerksam zu machen, wenn er nicht selbst einen dahingehender Antrag stelle, so würde» die Kritiker fragen, ob denn das Gericht kein Verständnis dafür habe, das; ein Laie sich in den formalistischen Fallstricken und Schleichwegen der Strafprozeßordnung nicht zurechtfinden könne. Landrichter Dr. Riedinger-Beuthen Ächulfragen or. Joh. Friedrich von Schulte: Ge„en die Konfessionsschule. Mit besonderer Rücksicht auf Preußen. Emil Roth, Gießen 1912. M. 1.—. Durch den sächsischen Volksschulgesctzeutwurf ist die Frage der Konfessionsschule wieder in den Bordergrund getreten und hat einen alten Kämpfer für religiöse Toleranz, den 8S jährigen Ritter von Schulte, den Mitbegründer deS Altkatholizismus veranlaßt, sich „vom Stand- Punkt des gläubigen Christen, des Vnterlands- freundes" mit aller Schärfe gegen die Konfessionsschule nuszusprechen. Konservative evangelischer Orthodv.rie und Mtmmuniane, behauptet Schulte, halten an der Konfessions¬ schule fest, um die Schule, Lehrer und Schüler in der Hand zu haben. Dies geschehe ent¬ gegen dem Gesetze auch bei der evangelischen Geistlichkeit durch die Ortsschulaufsicht und die KreiSschulnufsichr, die überwiegend von evangelischen Geistlichen ausgeübt wird. Übrigens sträuben sich viele evangelische Pfarrer gegen diese Aufsicht, von der sie nur Scherereien haben, während die Lehrer mit ihnen nieist besser fahren, als mit Fachleuten. Grundsätzlich bleibt aber die Gefahr vor¬ handen, daß die Geistlichkeit auch über den Religionsunterricht hinaus einen konfessionell färbenden Einfluß auf die Schulen gewinnt. Das darf auf keinen Fall geschehen, denn es ist die Aufgabe des Staates, „alle künftigen Staatsbürger in demselben patriotischen Geiste heranzubilden" und die Religion darf nicht mehr als die Deutschen trennend behandelt werden. Die Erfahrung aller Länder, in denen die öffentlichen Schulen konfessionslos sind, lehrt, daß die beiden großen Kon¬ fessionen dort in besserer Eintracht leben, als bei uns. Der Religionsunterricht ist Sache der einzelnen Religionsgemeinschaften, er muß in konfessionell gemischten Gegenden von den Geistlichen erteilt werden. Im übrigen darf die Religionsgemeinschaft keinen Einfluß auf das Schulwesen ausüben, denn das Schul¬ wesen ist Sache des Staates. Den Widersinn der Konfessionsschule zeigen um deutlichsten die kleinen katholischen Volksschulen von 20 bis i!v Schülern um überwiegend evangelischen Orten; sie belasten Staats- bzw. Gemeinde¬ kasse nnnöiig, die Schüler müssen von der einen Lehrkraft im Einklnssenshstem unter¬ richtet werden, während sie ohne irgend jemand Kosten zu bereiten, auf der benach¬ barten öffentlichen Volksschule im Achtklassen¬ system viel besser unterrichtet werden könnten und günz sicher mehr im patriotischen Sinne aufwachsen würden, wenn ihnen nicht von Jugend an die konfessionelle Trennung se! oculos demonstiert würde. Schulte würzt übrigeus seine Aus¬ führungen mit sehr lehrreichen Erinnerungen aus seiner Jugend in der unverblümten, frischen Art, die wir aus seinem Memoiren- Fritz Tychcnv Werk kennen. Philosophie Person und Persönlichkeit. Von V.F.Nic- bergall, Professor an der UnKiersität Heidel¬ berg. Leipzig 1911. Verlag Quelle u. Meyer. 170 S. 8°. Preis geb. 4 M. Man ist heute gewohnt, das Problem der Persönlichkeit, der Individualität, als ein Psy¬ chologisches Problem behandelt zu sehen, mau bemüht sich meistens, es auf dem Wege Psycho¬ logischer Untersuchung zu lösen. Diesen Weg verschmäht Riebergall; er zieht es vor, sein Problem auf eine Art zu lösen, die gerade i» unserer Zeit etwas in Mi߬ kredit geraten ist, nämlich durch logisch-metu- Grenzboien II 1912

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/309>, abgerufen am 26.05.2024.