Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der lviesenzaun

"Nun sagt mir," quälte sich Herr Pirkheimer kopfschüttelnd ab, "was
wolltet Ihr mit diesem Zaun? Ich seh' allüberall ein selig Maß an Wärme,
holder Weiblichkeit und freundlicher Natur, und nun habt Ihr mir mit diesem
verteufelten Zaun, dessen morsches Holz man zu riechen glaubt, den ganzen
Himmelstraum inmitten entzweigeschnitten."

"So ist es," raunte Dürer, wohl mehr für sich als sür den andern, "es
ward ein Traum inmitten entzweigeschnitten!"

"Wie meint Ihr?" fragte Pirkheimer und lugte scharf nach dem Freunde aus.

"Ich meine -- es hat der Zaun wohl einen Sinn. Zum ersten, nach
Maßen der Kunst: der wagrechte Zaun beruhigt alles Aufwärtsstrebende und
gibt dem Blick in die Landschaft stärkere Tiefe, indes er ihn ein Weilchen
hemmt. Zum anderen, nach Maßen des Menschlichen: er soll eine Mahnung
sein für die flatternde Seele, daß alles himmlisch Reine und Große in der
Kunst nit anders erworben wird) als daß ein grimmer Zaun die Sehnsucht
von der Erfüllung zu trennen weiß, den Geist vom Fleisch, die Lieb' von
der LustI"

Ganz ruhig hatte Dürer diese Worte vor sich hingesprochen, wie einer, der
von einem Sieg berichtet, der mehr aus fremder, denn aus eigener Kraft
gewonnen ward, woran es nichts zu feiern noch zu preisen gibt.

Herr Pirkheimer hatte indessen das Kupferblättchen schweigend vor sich
hingelegt, hob nun sein Kelchglas gegen das Licht und prüfte den schillernden
Trank mit liebevoller Sorgfalt. Dann sog er ihn bedächtig hinab und sagte,
den Becher niederstellend: "Wie habt Ihr Euer Leben ernst und streng gestaltet,
Liebsterl"

Dürer erhob sich wortlos und lehnte sich ans Fenster, als sei ihm die kühle
Umarmung der Nacht Bedürfnis.

Da trat Herr Pirkheimer fachte an seine Seite und legte ihm die Hand
auf die Schulter:

"Ich hab' mich jetzt eines seltsamen besonnen, und das ist dies: Ihr seid,
so will mich dünken, auf den Wegen der Kunst zum gleichen Ziel gelangt, als
Christus der Herr dereinst auf den Wegen der Menschlichkeit."

"Er wende alle Dinge zum Besten," erwiderte Dürer ergeben.

Und da wollte es Herrn Pirkheimer scheinen, als wünsche der Freund
darüber kein ferneres Wort.


7.

Felicitas aber war in selber Nacht zur gleichen Stunde aus wunderlich
seligem Traum erwacht. Nun saß sie mit fiebernden Schläfen auf ihrem Lager
und schaute in den Glanz des Mondes, der ihre Tränen wie ein Silbernetz
durchspann. Sie hatte wahrhaftig im Traum geweint, so stark war das Er¬
träumte Wirklichkeit gewesen. Ein allzu kühner Wecker und Entschleierer ihres


Der lviesenzaun

„Nun sagt mir," quälte sich Herr Pirkheimer kopfschüttelnd ab, „was
wolltet Ihr mit diesem Zaun? Ich seh' allüberall ein selig Maß an Wärme,
holder Weiblichkeit und freundlicher Natur, und nun habt Ihr mir mit diesem
verteufelten Zaun, dessen morsches Holz man zu riechen glaubt, den ganzen
Himmelstraum inmitten entzweigeschnitten."

„So ist es," raunte Dürer, wohl mehr für sich als sür den andern, „es
ward ein Traum inmitten entzweigeschnitten!"

„Wie meint Ihr?" fragte Pirkheimer und lugte scharf nach dem Freunde aus.

„Ich meine — es hat der Zaun wohl einen Sinn. Zum ersten, nach
Maßen der Kunst: der wagrechte Zaun beruhigt alles Aufwärtsstrebende und
gibt dem Blick in die Landschaft stärkere Tiefe, indes er ihn ein Weilchen
hemmt. Zum anderen, nach Maßen des Menschlichen: er soll eine Mahnung
sein für die flatternde Seele, daß alles himmlisch Reine und Große in der
Kunst nit anders erworben wird) als daß ein grimmer Zaun die Sehnsucht
von der Erfüllung zu trennen weiß, den Geist vom Fleisch, die Lieb' von
der LustI"

Ganz ruhig hatte Dürer diese Worte vor sich hingesprochen, wie einer, der
von einem Sieg berichtet, der mehr aus fremder, denn aus eigener Kraft
gewonnen ward, woran es nichts zu feiern noch zu preisen gibt.

Herr Pirkheimer hatte indessen das Kupferblättchen schweigend vor sich
hingelegt, hob nun sein Kelchglas gegen das Licht und prüfte den schillernden
Trank mit liebevoller Sorgfalt. Dann sog er ihn bedächtig hinab und sagte,
den Becher niederstellend: „Wie habt Ihr Euer Leben ernst und streng gestaltet,
Liebsterl"

Dürer erhob sich wortlos und lehnte sich ans Fenster, als sei ihm die kühle
Umarmung der Nacht Bedürfnis.

Da trat Herr Pirkheimer fachte an seine Seite und legte ihm die Hand
auf die Schulter:

„Ich hab' mich jetzt eines seltsamen besonnen, und das ist dies: Ihr seid,
so will mich dünken, auf den Wegen der Kunst zum gleichen Ziel gelangt, als
Christus der Herr dereinst auf den Wegen der Menschlichkeit."

„Er wende alle Dinge zum Besten," erwiderte Dürer ergeben.

Und da wollte es Herrn Pirkheimer scheinen, als wünsche der Freund
darüber kein ferneres Wort.


7.

Felicitas aber war in selber Nacht zur gleichen Stunde aus wunderlich
seligem Traum erwacht. Nun saß sie mit fiebernden Schläfen auf ihrem Lager
und schaute in den Glanz des Mondes, der ihre Tränen wie ein Silbernetz
durchspann. Sie hatte wahrhaftig im Traum geweint, so stark war das Er¬
träumte Wirklichkeit gewesen. Ein allzu kühner Wecker und Entschleierer ihres


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0339" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321422"/>
            <fw type="header" place="top"> Der lviesenzaun</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1411"> &#x201E;Nun sagt mir," quälte sich Herr Pirkheimer kopfschüttelnd ab, &#x201E;was<lb/>
wolltet Ihr mit diesem Zaun? Ich seh' allüberall ein selig Maß an Wärme,<lb/>
holder Weiblichkeit und freundlicher Natur, und nun habt Ihr mir mit diesem<lb/>
verteufelten Zaun, dessen morsches Holz man zu riechen glaubt, den ganzen<lb/>
Himmelstraum inmitten entzweigeschnitten."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1412"> &#x201E;So ist es," raunte Dürer, wohl mehr für sich als sür den andern, &#x201E;es<lb/>
ward ein Traum inmitten entzweigeschnitten!"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1413"> &#x201E;Wie meint Ihr?" fragte Pirkheimer und lugte scharf nach dem Freunde aus.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1414"> &#x201E;Ich meine &#x2014; es hat der Zaun wohl einen Sinn. Zum ersten, nach<lb/>
Maßen der Kunst: der wagrechte Zaun beruhigt alles Aufwärtsstrebende und<lb/>
gibt dem Blick in die Landschaft stärkere Tiefe, indes er ihn ein Weilchen<lb/>
hemmt. Zum anderen, nach Maßen des Menschlichen: er soll eine Mahnung<lb/>
sein für die flatternde Seele, daß alles himmlisch Reine und Große in der<lb/>
Kunst nit anders erworben wird) als daß ein grimmer Zaun die Sehnsucht<lb/>
von der Erfüllung zu trennen weiß, den Geist vom Fleisch, die Lieb' von<lb/>
der LustI"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1415"> Ganz ruhig hatte Dürer diese Worte vor sich hingesprochen, wie einer, der<lb/>
von einem Sieg berichtet, der mehr aus fremder, denn aus eigener Kraft<lb/>
gewonnen ward, woran es nichts zu feiern noch zu preisen gibt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1416"> Herr Pirkheimer hatte indessen das Kupferblättchen schweigend vor sich<lb/>
hingelegt, hob nun sein Kelchglas gegen das Licht und prüfte den schillernden<lb/>
Trank mit liebevoller Sorgfalt. Dann sog er ihn bedächtig hinab und sagte,<lb/>
den Becher niederstellend: &#x201E;Wie habt Ihr Euer Leben ernst und streng gestaltet,<lb/>
Liebsterl"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1417"> Dürer erhob sich wortlos und lehnte sich ans Fenster, als sei ihm die kühle<lb/>
Umarmung der Nacht Bedürfnis.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1418"> Da trat Herr Pirkheimer fachte an seine Seite und legte ihm die Hand<lb/>
auf die Schulter:</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1419"> &#x201E;Ich hab' mich jetzt eines seltsamen besonnen, und das ist dies: Ihr seid,<lb/>
so will mich dünken, auf den Wegen der Kunst zum gleichen Ziel gelangt, als<lb/>
Christus der Herr dereinst auf den Wegen der Menschlichkeit."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1420"> &#x201E;Er wende alle Dinge zum Besten," erwiderte Dürer ergeben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1421"> Und da wollte es Herrn Pirkheimer scheinen, als wünsche der Freund<lb/>
darüber kein ferneres Wort.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> 7.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1422" next="#ID_1423"> Felicitas aber war in selber Nacht zur gleichen Stunde aus wunderlich<lb/>
seligem Traum erwacht. Nun saß sie mit fiebernden Schläfen auf ihrem Lager<lb/>
und schaute in den Glanz des Mondes, der ihre Tränen wie ein Silbernetz<lb/>
durchspann. Sie hatte wahrhaftig im Traum geweint, so stark war das Er¬<lb/>
träumte Wirklichkeit gewesen.  Ein allzu kühner Wecker und Entschleierer ihres</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0339] Der lviesenzaun „Nun sagt mir," quälte sich Herr Pirkheimer kopfschüttelnd ab, „was wolltet Ihr mit diesem Zaun? Ich seh' allüberall ein selig Maß an Wärme, holder Weiblichkeit und freundlicher Natur, und nun habt Ihr mir mit diesem verteufelten Zaun, dessen morsches Holz man zu riechen glaubt, den ganzen Himmelstraum inmitten entzweigeschnitten." „So ist es," raunte Dürer, wohl mehr für sich als sür den andern, „es ward ein Traum inmitten entzweigeschnitten!" „Wie meint Ihr?" fragte Pirkheimer und lugte scharf nach dem Freunde aus. „Ich meine — es hat der Zaun wohl einen Sinn. Zum ersten, nach Maßen der Kunst: der wagrechte Zaun beruhigt alles Aufwärtsstrebende und gibt dem Blick in die Landschaft stärkere Tiefe, indes er ihn ein Weilchen hemmt. Zum anderen, nach Maßen des Menschlichen: er soll eine Mahnung sein für die flatternde Seele, daß alles himmlisch Reine und Große in der Kunst nit anders erworben wird) als daß ein grimmer Zaun die Sehnsucht von der Erfüllung zu trennen weiß, den Geist vom Fleisch, die Lieb' von der LustI" Ganz ruhig hatte Dürer diese Worte vor sich hingesprochen, wie einer, der von einem Sieg berichtet, der mehr aus fremder, denn aus eigener Kraft gewonnen ward, woran es nichts zu feiern noch zu preisen gibt. Herr Pirkheimer hatte indessen das Kupferblättchen schweigend vor sich hingelegt, hob nun sein Kelchglas gegen das Licht und prüfte den schillernden Trank mit liebevoller Sorgfalt. Dann sog er ihn bedächtig hinab und sagte, den Becher niederstellend: „Wie habt Ihr Euer Leben ernst und streng gestaltet, Liebsterl" Dürer erhob sich wortlos und lehnte sich ans Fenster, als sei ihm die kühle Umarmung der Nacht Bedürfnis. Da trat Herr Pirkheimer fachte an seine Seite und legte ihm die Hand auf die Schulter: „Ich hab' mich jetzt eines seltsamen besonnen, und das ist dies: Ihr seid, so will mich dünken, auf den Wegen der Kunst zum gleichen Ziel gelangt, als Christus der Herr dereinst auf den Wegen der Menschlichkeit." „Er wende alle Dinge zum Besten," erwiderte Dürer ergeben. Und da wollte es Herrn Pirkheimer scheinen, als wünsche der Freund darüber kein ferneres Wort. 7. Felicitas aber war in selber Nacht zur gleichen Stunde aus wunderlich seligem Traum erwacht. Nun saß sie mit fiebernden Schläfen auf ihrem Lager und schaute in den Glanz des Mondes, der ihre Tränen wie ein Silbernetz durchspann. Sie hatte wahrhaftig im Traum geweint, so stark war das Er¬ träumte Wirklichkeit gewesen. Ein allzu kühner Wecker und Entschleierer ihres

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/339
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/339>, abgerufen am 19.05.2024.