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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

auswärtigen Politik aber bedeutet sie nicht. Ein solcher wäre doch nur möglich,
wenn auch der Reichskanzler und der Staatssekretär des Auswärtigen, die dem
neuen Botschafter Weisung zu geben haben, gewechselt hätten.

Aber auch von einer besonderen Mission Marschalls darf kaum
gesprochen werden. Unverantwortliche Blätter haben den neuen Botschafter als
den Engel mit der Friedenspalme hingestellt, wieder andere als den starken Mann,
der England endlich zur Liebe für Deutschland zwingen würde. Ich glaube, wer
so schrieb, der hat nicht nur ganz falsche Bilder von den schweren Aufgaben ent¬
worfen, die Marschalls in London harren, er hat auch die Durchführung der
tatsächlich vorhandenen Aufgaben erschwert. Durch die Äußerungen unserer Presse
ist nicht nur das Gefühl der englischen Nationalisten gereizt, sind nicht nur die
französischen Hysteriker in Schrecken gesetzt worden, man hat auch im Inland im
Publikum Hoffnungen geweckt, die nie erfüllt werden können und infolgedessen
Enttäuschung und Mißmut um so mehr nach sich ziehen müssen, je größer im
deutschen Volk das Bedürfnis nach einer vollständigen Verständigung mit England
vorhanden ist.

Beziehungen zwischen Nationen und Staaten können wohl durch
die Wirksamkeit einzelner Persönlichkeiten formell getrübt oder verbessert, aber nie¬
mals von Grund aus geändert werden. Mögen die Staatsmänner noch so hoch
gestellt sein, seit es eine Demokratie gibt, entscheidet ausschließlich der Nutzen, oder
richtiger: es entscheidet das, was die Völker für nützlich halten. Der einzelne kann
Stimmungen beeinflussen, das Interesse vorübergehend auf bestimmte Fragen
lenken, aber nur einigen wenigen glücklich Geborenen ist es vergönnt, Entwicklungs¬
epochen friedlich zum Abschluß zu bringen. Sie erscheinen dann als deren
Vollender, obwohl sie tatsächlich doch nur Werkzeuge der die Entwicklung bestim¬
menden, nicht jedermann bekannten Gesetze waren. Nicht anders wird es Marschall
in London ergehen. Ist die Zeit für eine Verständigung zwischen Deutschland und
England reif, so wird er Vollender einer Epoche deutsch - englischer Beziehungen
werden, kommt er zu früh, so wird er die große Zahl jener Redlichen vermehren,
die in treuer Hingabe einem großen Ziele zustrebten, ohne es je erreichen zu können.


G, Li,
Deutsch - russischer Getreidehandel

Es betrug (in ä? ^ 100 IcZ)

Einfuhr 1911:
Roggen Weizen Gerste Hafer
Insgesamt......6139 061 24866785 34 779 79S 6283034
Davon aus Rußland . . . 6 668 760 11 183 948 31 993 168 6 165 683

Diese Zahlen können und sollen nichts anders zeigen als das Interesse, welches
der deutsche Getreidehandel an der russischen Getreideproduktion und an dem
ungehinderten Verkehr von und nach dem Schwarzen Meere hat. Dieser Verkehr
ist durch die Dardanellensperre vom 19. April bis 18. Mai gestört worden. Was
das besagen will, erhellt, wenn man sich vergegenwärtigt, daß 1911 nach Deutsch¬
land aus Rußland eingeführt wurden (in 62-- 100 KZ):


Reichsspiegel

auswärtigen Politik aber bedeutet sie nicht. Ein solcher wäre doch nur möglich,
wenn auch der Reichskanzler und der Staatssekretär des Auswärtigen, die dem
neuen Botschafter Weisung zu geben haben, gewechselt hätten.

Aber auch von einer besonderen Mission Marschalls darf kaum
gesprochen werden. Unverantwortliche Blätter haben den neuen Botschafter als
den Engel mit der Friedenspalme hingestellt, wieder andere als den starken Mann,
der England endlich zur Liebe für Deutschland zwingen würde. Ich glaube, wer
so schrieb, der hat nicht nur ganz falsche Bilder von den schweren Aufgaben ent¬
worfen, die Marschalls in London harren, er hat auch die Durchführung der
tatsächlich vorhandenen Aufgaben erschwert. Durch die Äußerungen unserer Presse
ist nicht nur das Gefühl der englischen Nationalisten gereizt, sind nicht nur die
französischen Hysteriker in Schrecken gesetzt worden, man hat auch im Inland im
Publikum Hoffnungen geweckt, die nie erfüllt werden können und infolgedessen
Enttäuschung und Mißmut um so mehr nach sich ziehen müssen, je größer im
deutschen Volk das Bedürfnis nach einer vollständigen Verständigung mit England
vorhanden ist.

Beziehungen zwischen Nationen und Staaten können wohl durch
die Wirksamkeit einzelner Persönlichkeiten formell getrübt oder verbessert, aber nie¬
mals von Grund aus geändert werden. Mögen die Staatsmänner noch so hoch
gestellt sein, seit es eine Demokratie gibt, entscheidet ausschließlich der Nutzen, oder
richtiger: es entscheidet das, was die Völker für nützlich halten. Der einzelne kann
Stimmungen beeinflussen, das Interesse vorübergehend auf bestimmte Fragen
lenken, aber nur einigen wenigen glücklich Geborenen ist es vergönnt, Entwicklungs¬
epochen friedlich zum Abschluß zu bringen. Sie erscheinen dann als deren
Vollender, obwohl sie tatsächlich doch nur Werkzeuge der die Entwicklung bestim¬
menden, nicht jedermann bekannten Gesetze waren. Nicht anders wird es Marschall
in London ergehen. Ist die Zeit für eine Verständigung zwischen Deutschland und
England reif, so wird er Vollender einer Epoche deutsch - englischer Beziehungen
werden, kommt er zu früh, so wird er die große Zahl jener Redlichen vermehren,
die in treuer Hingabe einem großen Ziele zustrebten, ohne es je erreichen zu können.


G, Li,
Deutsch - russischer Getreidehandel

Es betrug (in ä? ^ 100 IcZ)

Einfuhr 1911:
Roggen Weizen Gerste Hafer
Insgesamt......6139 061 24866785 34 779 79S 6283034
Davon aus Rußland . . . 6 668 760 11 183 948 31 993 168 6 165 683

Diese Zahlen können und sollen nichts anders zeigen als das Interesse, welches
der deutsche Getreidehandel an der russischen Getreideproduktion und an dem
ungehinderten Verkehr von und nach dem Schwarzen Meere hat. Dieser Verkehr
ist durch die Dardanellensperre vom 19. April bis 18. Mai gestört worden. Was
das besagen will, erhellt, wenn man sich vergegenwärtigt, daß 1911 nach Deutsch¬
land aus Rußland eingeführt wurden (in 62-- 100 KZ):


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/415>, abgerufen am 19.05.2024.