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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel
Hseresfragen

Darlegung der leitenden großen Gesichtspunkte des beabsichtigten Organisationswerkes
wäre wünschenswert -- Soziale Gesichtspunkte -- Aufklärungsarbeit -- Kavalleristische
Fragen -- Kavalleriedivisionen im Frieden -- Organisation der Artillerie -- Not¬
wendigkeit einer Reform der Heeresverwaltung

Die abgelaufene Woche hat authentische Nachrichten über die Einzelheiten
der Wehrvorlage nicht gebracht. Nach wie vor ist man auf die Mitteilungen
der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 23. März angewiesen. Diese
haben einerseits die öffentliche Erörterung der zur Verstärkung unserer Wehr¬
macht geplanten Maßnahmen der Neichsregierung in Fluß gebracht, sind aber
anderseits zu unbestimmt und lückenhaft gehalten, um ein klares Bild dessen
zu bieten, was eigentlich gefordert wird, vor allem, um erkennen zu können,
welchen Weg man an leitender Stelle planmäßig zu nehmen beabsichtigt, damit
die Kriegsbereitschaft des Heeres auf den seiner Zweckbestimmung entsprechenden
Grad der Vervollkommnung gebracht wird.

Ob es zweckmäßig war, bei der vorläufig allgemein orientierender halb¬
amtlichen Veröffentlichung von einer Darlegung der leitenden großen Gesichts¬
punkte des beabsichtigten Organisationswerkes abzusehen, ist zu bezweifeln.
Denn wie die Sache jetzt liegt, stehen den uferlosen Forderungen des Wehr¬
vereines die Stimmen derer gegenüber, die unter Berufung auf die seitens der
Regierung abgegebenen Erklärungen gelegentlich der Beratung des Qninquennats-
gesetzes behaupten, zu einer weitgehenden Heeresverstärkung bestehe kein erkenn¬
barer Anlaß. Diese ablehnenden Stimmen finden in der breiten Masse um so
mehr Beifall, als noch keine Klarheit über die Lösung der Deckungsfrage besteht.
Die Befürchtung, es möchte letzten Endes eine neuerliche Belastung mit Steuern
auf Konsumgüter der Allgemeinheit Platz greisen, beherrscht weite Kreise und
wirkt um so ungünstiger angesichts der fortdauernden Teuerung. Was aber
das Schlimmste ist: es fehlt an Vertrauen der Regierten zu den Regierenden.
Die immer breiter klaffende Kluft zwischen Hoch und Niedrig, zwischen den
Gebildeten und Besitzenden einerseits und der großen Masse des Volkes ander¬
seits, der in erschreckenden! Maße sich steigernde Klassengeist und Klassenhaß
machen selbst Fragen von solch schwerwiegender Bedeutung wie jene der pater-




Reichsspiegel
Hseresfragen

Darlegung der leitenden großen Gesichtspunkte des beabsichtigten Organisationswerkes
wäre wünschenswert — Soziale Gesichtspunkte — Aufklärungsarbeit — Kavalleristische
Fragen — Kavalleriedivisionen im Frieden — Organisation der Artillerie — Not¬
wendigkeit einer Reform der Heeresverwaltung

Die abgelaufene Woche hat authentische Nachrichten über die Einzelheiten
der Wehrvorlage nicht gebracht. Nach wie vor ist man auf die Mitteilungen
der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 23. März angewiesen. Diese
haben einerseits die öffentliche Erörterung der zur Verstärkung unserer Wehr¬
macht geplanten Maßnahmen der Neichsregierung in Fluß gebracht, sind aber
anderseits zu unbestimmt und lückenhaft gehalten, um ein klares Bild dessen
zu bieten, was eigentlich gefordert wird, vor allem, um erkennen zu können,
welchen Weg man an leitender Stelle planmäßig zu nehmen beabsichtigt, damit
die Kriegsbereitschaft des Heeres auf den seiner Zweckbestimmung entsprechenden
Grad der Vervollkommnung gebracht wird.

Ob es zweckmäßig war, bei der vorläufig allgemein orientierender halb¬
amtlichen Veröffentlichung von einer Darlegung der leitenden großen Gesichts¬
punkte des beabsichtigten Organisationswerkes abzusehen, ist zu bezweifeln.
Denn wie die Sache jetzt liegt, stehen den uferlosen Forderungen des Wehr¬
vereines die Stimmen derer gegenüber, die unter Berufung auf die seitens der
Regierung abgegebenen Erklärungen gelegentlich der Beratung des Qninquennats-
gesetzes behaupten, zu einer weitgehenden Heeresverstärkung bestehe kein erkenn¬
barer Anlaß. Diese ablehnenden Stimmen finden in der breiten Masse um so
mehr Beifall, als noch keine Klarheit über die Lösung der Deckungsfrage besteht.
Die Befürchtung, es möchte letzten Endes eine neuerliche Belastung mit Steuern
auf Konsumgüter der Allgemeinheit Platz greisen, beherrscht weite Kreise und
wirkt um so ungünstiger angesichts der fortdauernden Teuerung. Was aber
das Schlimmste ist: es fehlt an Vertrauen der Regierten zu den Regierenden.
Die immer breiter klaffende Kluft zwischen Hoch und Niedrig, zwischen den
Gebildeten und Besitzenden einerseits und der großen Masse des Volkes ander¬
seits, der in erschreckenden! Maße sich steigernde Klassengeist und Klassenhaß
machen selbst Fragen von solch schwerwiegender Bedeutung wie jene der pater-


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[0052] [Abbildung] Reichsspiegel Hseresfragen Darlegung der leitenden großen Gesichtspunkte des beabsichtigten Organisationswerkes wäre wünschenswert — Soziale Gesichtspunkte — Aufklärungsarbeit — Kavalleristische Fragen — Kavalleriedivisionen im Frieden — Organisation der Artillerie — Not¬ wendigkeit einer Reform der Heeresverwaltung Die abgelaufene Woche hat authentische Nachrichten über die Einzelheiten der Wehrvorlage nicht gebracht. Nach wie vor ist man auf die Mitteilungen der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 23. März angewiesen. Diese haben einerseits die öffentliche Erörterung der zur Verstärkung unserer Wehr¬ macht geplanten Maßnahmen der Neichsregierung in Fluß gebracht, sind aber anderseits zu unbestimmt und lückenhaft gehalten, um ein klares Bild dessen zu bieten, was eigentlich gefordert wird, vor allem, um erkennen zu können, welchen Weg man an leitender Stelle planmäßig zu nehmen beabsichtigt, damit die Kriegsbereitschaft des Heeres auf den seiner Zweckbestimmung entsprechenden Grad der Vervollkommnung gebracht wird. Ob es zweckmäßig war, bei der vorläufig allgemein orientierender halb¬ amtlichen Veröffentlichung von einer Darlegung der leitenden großen Gesichts¬ punkte des beabsichtigten Organisationswerkes abzusehen, ist zu bezweifeln. Denn wie die Sache jetzt liegt, stehen den uferlosen Forderungen des Wehr¬ vereines die Stimmen derer gegenüber, die unter Berufung auf die seitens der Regierung abgegebenen Erklärungen gelegentlich der Beratung des Qninquennats- gesetzes behaupten, zu einer weitgehenden Heeresverstärkung bestehe kein erkenn¬ barer Anlaß. Diese ablehnenden Stimmen finden in der breiten Masse um so mehr Beifall, als noch keine Klarheit über die Lösung der Deckungsfrage besteht. Die Befürchtung, es möchte letzten Endes eine neuerliche Belastung mit Steuern auf Konsumgüter der Allgemeinheit Platz greisen, beherrscht weite Kreise und wirkt um so ungünstiger angesichts der fortdauernden Teuerung. Was aber das Schlimmste ist: es fehlt an Vertrauen der Regierten zu den Regierenden. Die immer breiter klaffende Kluft zwischen Hoch und Niedrig, zwischen den Gebildeten und Besitzenden einerseits und der großen Masse des Volkes ander¬ seits, der in erschreckenden! Maße sich steigernde Klassengeist und Klassenhaß machen selbst Fragen von solch schwerwiegender Bedeutung wie jene der pater-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/52>, abgerufen am 19.05.2024.