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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches mit Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

nachdrücklich hinweist, noch lange ihr an¬
h Dr. S, eimelndes Lied erklingen lassen.

Ausgaben neuerer Dichter.

Eine überaus
reizende Gabe, nicht nur für Berliner, ist die
Sammlung von Theodor Fontanes Berliner
Romanen, die der Verlag von F. Fontane
u. Co. in Berlin soeben herausgibt. In
vier schlanken, leichten Bänden enthalten
sie: "L'Adultera", "Schach von Wuthenow",
"Stine", "Irrungen Wirrungen", "Frau
Jenny Treibet", "Die Poggenpuhls", "Ma¬
thilde Möhring" und "Cecile". Wenn hier
die empfehlenden Worte lediglich der neuen
Aufmachung, wie man in Hamburg sagt, zu
gelten haben, so ist das in verstärktem Maße
bei der neuen Ausgabe von Fontanes auto¬
biographischen Roman "Meine Kinderjahre"
(im selben Verlage) der Fall. Das feine Werk
erscheint hier mit einer großen Anzahl wunder¬
hübscher Bilder, auf denen wir nicht nur Neu-
Ruppin und Swinemünde zu Fontanes Zeit
ganz und gar keimen lernen, sondern auch die
Bildnisse aller wichtigen Persönlichkeiten, mit
denen er in den ersten zwanzig Jahren seines
Lebens zusammenkam, insbesondere auch die
Swinemünder Familien Krause, Scherenberg
und Schöneberg, mit denen Fontane sein Leben
lang verbunden blieb. Das Buch ist in der neuen
Gestalt nicht nur zum Lesen, sondern auch
zum Blättern, zum Schustern wie geschaffen. --
Hermann Conradis Werke werden uns (im
Verlage von Georg Müller in München) durch
Paul Ssymank und Gustav Werner Peters
zum erstenmal gesammelt vorgelegt. Es sollen
fünf Bände werden, von denen bis jetzt drei
erschienen sind. Ungemein fleißig, wenn auch
etwas trocken ist Ssymanks Lebensbeschreibung
des Dichters, sie läßt noch einmal alle die jetzt
fast vergessenen Kämpfe der achtziger Jahre
vor uns aufleben, deren Klang wir dann noch
stärker durch Conradi selbst, zumal aus den
berühmten "Liedern eines Sünders" (im ersten
Bande), vernehmen. Sehr wertvoll für die
Geschichte der neuen deutschen Dichtung sind
die im zweiten Bande vereinigten Aufsätze,
die alle mitten aus dem Leben der Kampfzeit
geschrieben sind. Die Ausstattung der Aus¬
gabe ist vortrefflich.

Dr. Heinrich Spiero [Spaltenumbruch]
Spieltagen undAuerdach.

Friedrich Spiel-
hagens Tod im Februar des vorigen Jahres
ist nicht ohne Bewegung der literarischen Welt
vorübergegangen, der er geraume Zeit aus
den Angen entschwunden war. Nicht teil-
ncchmslos ist Spielhagen den Neuen gegen¬
übergestanden; aber seine sonst so tätige Feder
war der müden Hand längst entglitten, als
er sein krankes Dasein still vollendete. Der
Parteien Gunst und Haß, die ihn reichlich
umstürmt hatten, waren schon lange gleich¬
mäßig verebbt; ihm ward das Los des ge¬
alterten Dichters zuteil: eine allgemeine, gar
blasse, allzu Platonische Verehrung, die ohne
tiefes Eindringen ganz gern lobt und einige
milde Bedenken nicht unterdrückt. Und doch
versagt Spielhagens gelegentlich etwas grob-
fasrige Technik ihre Wirkung auch dem neueren
Leser nicht, der durch die Schule der Natura¬
listen gegangen ist. Sie hat mehr als bloß
historischen Wert, wenn der auch gewichtig
genug ist, denn Spielhagens literargeschichtlich
nachweisbarer Einfluß, so gewaltig er für die
deutsche Literatur war, blieb nicht auf unsere
Sprache beschränkt. Mancher Romancier
unserer slawischen Nachbaren z. B. ist ohne
Spielhagen ganz undenkbar.

Ein Menschenalter vor Spielhagen ist
Berthold Auerbach (181S bis 1382) dahin¬
gegangen. Enge literarische Beziehungen und
persönliche Freundschaft hatte die beiden durch
zwei Jahrzehnte verbunden. Nun sind auch
über Auerbachs Werk die Fluten der neueren
Literatur hinweggerollt, haben viel abgeschliffen
und viel rin sich fortgerissen. Des jubelnden
Beifalls aber, der die ersten "Schwarzwälder
Dorfgeschichten" umrauschte, darf nicht ver¬
gessen werden:

"Das ist ein Buch l Ich kann es dir nicht sagen,
Wie minds gepackt hat recht in tiefer Seele,
Wie mir das Herz bei diesem Blatt geschlagen,
Und wie mir jenes zugeschnürt die Kehle,
Wie ich bei dem die Lippen hab' gebissen,
Und wieder dann hab' hell auflachen müssen",
sang damals Freiligrath. Und bis heute sind
die Dorfgeschichten die beliebtesten und be¬
kanntesten der Schriften Auerbachs geblieben,
neben ihnen die "Deutschen Volksbücher".
Nicht mit Unrecht; denn in diesem Kreise
scheint mir des Schriftstellers beste Begabung
und Betätigung beschlossen zu sein. Ihm lag

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Maßgebliches mit Unmaßgebliches

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nachdrücklich hinweist, noch lange ihr an¬
h Dr. S, eimelndes Lied erklingen lassen.

Ausgaben neuerer Dichter.

Eine überaus
reizende Gabe, nicht nur für Berliner, ist die
Sammlung von Theodor Fontanes Berliner
Romanen, die der Verlag von F. Fontane
u. Co. in Berlin soeben herausgibt. In
vier schlanken, leichten Bänden enthalten
sie: „L'Adultera", „Schach von Wuthenow",
„Stine", „Irrungen Wirrungen", „Frau
Jenny Treibet", „Die Poggenpuhls", „Ma¬
thilde Möhring" und „Cecile". Wenn hier
die empfehlenden Worte lediglich der neuen
Aufmachung, wie man in Hamburg sagt, zu
gelten haben, so ist das in verstärktem Maße
bei der neuen Ausgabe von Fontanes auto¬
biographischen Roman „Meine Kinderjahre"
(im selben Verlage) der Fall. Das feine Werk
erscheint hier mit einer großen Anzahl wunder¬
hübscher Bilder, auf denen wir nicht nur Neu-
Ruppin und Swinemünde zu Fontanes Zeit
ganz und gar keimen lernen, sondern auch die
Bildnisse aller wichtigen Persönlichkeiten, mit
denen er in den ersten zwanzig Jahren seines
Lebens zusammenkam, insbesondere auch die
Swinemünder Familien Krause, Scherenberg
und Schöneberg, mit denen Fontane sein Leben
lang verbunden blieb. Das Buch ist in der neuen
Gestalt nicht nur zum Lesen, sondern auch
zum Blättern, zum Schustern wie geschaffen. —
Hermann Conradis Werke werden uns (im
Verlage von Georg Müller in München) durch
Paul Ssymank und Gustav Werner Peters
zum erstenmal gesammelt vorgelegt. Es sollen
fünf Bände werden, von denen bis jetzt drei
erschienen sind. Ungemein fleißig, wenn auch
etwas trocken ist Ssymanks Lebensbeschreibung
des Dichters, sie läßt noch einmal alle die jetzt
fast vergessenen Kämpfe der achtziger Jahre
vor uns aufleben, deren Klang wir dann noch
stärker durch Conradi selbst, zumal aus den
berühmten „Liedern eines Sünders" (im ersten
Bande), vernehmen. Sehr wertvoll für die
Geschichte der neuen deutschen Dichtung sind
die im zweiten Bande vereinigten Aufsätze,
die alle mitten aus dem Leben der Kampfzeit
geschrieben sind. Die Ausstattung der Aus¬
gabe ist vortrefflich.

Dr. Heinrich Spiero [Spaltenumbruch]
Spieltagen undAuerdach.

Friedrich Spiel-
hagens Tod im Februar des vorigen Jahres
ist nicht ohne Bewegung der literarischen Welt
vorübergegangen, der er geraume Zeit aus
den Angen entschwunden war. Nicht teil-
ncchmslos ist Spielhagen den Neuen gegen¬
übergestanden; aber seine sonst so tätige Feder
war der müden Hand längst entglitten, als
er sein krankes Dasein still vollendete. Der
Parteien Gunst und Haß, die ihn reichlich
umstürmt hatten, waren schon lange gleich¬
mäßig verebbt; ihm ward das Los des ge¬
alterten Dichters zuteil: eine allgemeine, gar
blasse, allzu Platonische Verehrung, die ohne
tiefes Eindringen ganz gern lobt und einige
milde Bedenken nicht unterdrückt. Und doch
versagt Spielhagens gelegentlich etwas grob-
fasrige Technik ihre Wirkung auch dem neueren
Leser nicht, der durch die Schule der Natura¬
listen gegangen ist. Sie hat mehr als bloß
historischen Wert, wenn der auch gewichtig
genug ist, denn Spielhagens literargeschichtlich
nachweisbarer Einfluß, so gewaltig er für die
deutsche Literatur war, blieb nicht auf unsere
Sprache beschränkt. Mancher Romancier
unserer slawischen Nachbaren z. B. ist ohne
Spielhagen ganz undenkbar.

Ein Menschenalter vor Spielhagen ist
Berthold Auerbach (181S bis 1382) dahin¬
gegangen. Enge literarische Beziehungen und
persönliche Freundschaft hatte die beiden durch
zwei Jahrzehnte verbunden. Nun sind auch
über Auerbachs Werk die Fluten der neueren
Literatur hinweggerollt, haben viel abgeschliffen
und viel rin sich fortgerissen. Des jubelnden
Beifalls aber, der die ersten „Schwarzwälder
Dorfgeschichten" umrauschte, darf nicht ver¬
gessen werden:

„Das ist ein Buch l Ich kann es dir nicht sagen,
Wie minds gepackt hat recht in tiefer Seele,
Wie mir das Herz bei diesem Blatt geschlagen,
Und wie mir jenes zugeschnürt die Kehle,
Wie ich bei dem die Lippen hab' gebissen,
Und wieder dann hab' hell auflachen müssen",
sang damals Freiligrath. Und bis heute sind
die Dorfgeschichten die beliebtesten und be¬
kanntesten der Schriften Auerbachs geblieben,
neben ihnen die „Deutschen Volksbücher".
Nicht mit Unrecht; denn in diesem Kreise
scheint mir des Schriftstellers beste Begabung
und Betätigung beschlossen zu sein. Ihm lag

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/600>, abgerufen am 19.05.2024.