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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Geschichtliche Bemerkungen zur chinesischen Revolution

sie sind auch ein Symbol unserer Gemeinsamkeit und Einheitlichkeit in den
deutschen Naturschätzen. Ich habe einen Strauß dieser Alpenblumen mitgebracht,
um sie als Zeichen unserer großen Verehrung und innigen Liebe darzubieten
Seiner königlichen Hoheit Ihrem Prinzen Ludwig, unserem deutschen Prinzen
Ludwig I




Geschichtliche Bemerkungen zur chinesischen Revolution
Dr. R, Stube von

aß China eine Republik geworden ist, und daß sich in der großen
Umwälzung eine nationale Reaktion gegen die Fremdherrschaft
der Mandschu bekundet, sind zwei Sätze, die für den europäischen
Betrachter nahezu dogmatische Geltung haben. Versucht man aber,
die Hergange nach den Maßen der chinesischen Geschichte und des
chinesischen Staates zu beurteilen, so gilt für den ersten Satz: eine republikanische
Staatsform ist nach dem Wesen des chinesischen Staates für die Dauer kaum
denkbar; für den zweiten aber: er ist sicher ganz falsch und beruht auf Vor¬
spiegelung falscher Tatsachen.

Das allgemeine Interesse, das die chinesische Revolution in weitesten Kreisen
findet, ist mit einer gewissen Überraschung und Verwunderung gepaart. Wenn
irgendwo in der Welt die Verhältnisse in starrer Ruhe zu beharren und in
dauernder Gestaltung gefestigt schienen, so war es in China. Und gerade hier
vollzieht sich -- scheinbar ganz unvermittelt -- der Übergang aus der alter¬
tümlichsten Staatsform, dem patriarchalischen Absolutismus, zu der modernen
Gestaltung der demokratischen Republik.

In der Tat aber ist dies alles, was uns seltsam, fast unerhört erscheint,
sür China an sich nichts Neues. China hat im Laufe seiner Jahrtausende
umfassenden Geschichte viele Umwälzungen, gewaltige Revolutionen, völlige Auf¬
lösung des Einheitsstaates erlebt und immer wieder überwunden. Aus Jahr¬
hunderten anarchischer Zustände erhebt sich immer wieder in unerhörter Lebens¬
kraft das chinesische Volk als kulturelle und politische Einheit.

Um die Hergange der Gegenwart zu verstehen, ist ein Zweifaches erforderlich:
einmal muß man sich das Wesen des chinesischen Staates klarmachen, oder viel¬
mehr sich deutlich machen, wie der Chinese in seinem politischen Denken den
Staat auffaßt. Denn das innerste Wesen des Staates liegt nicht in der Form


Geschichtliche Bemerkungen zur chinesischen Revolution

sie sind auch ein Symbol unserer Gemeinsamkeit und Einheitlichkeit in den
deutschen Naturschätzen. Ich habe einen Strauß dieser Alpenblumen mitgebracht,
um sie als Zeichen unserer großen Verehrung und innigen Liebe darzubieten
Seiner königlichen Hoheit Ihrem Prinzen Ludwig, unserem deutschen Prinzen
Ludwig I




Geschichtliche Bemerkungen zur chinesischen Revolution
Dr. R, Stube von

aß China eine Republik geworden ist, und daß sich in der großen
Umwälzung eine nationale Reaktion gegen die Fremdherrschaft
der Mandschu bekundet, sind zwei Sätze, die für den europäischen
Betrachter nahezu dogmatische Geltung haben. Versucht man aber,
die Hergange nach den Maßen der chinesischen Geschichte und des
chinesischen Staates zu beurteilen, so gilt für den ersten Satz: eine republikanische
Staatsform ist nach dem Wesen des chinesischen Staates für die Dauer kaum
denkbar; für den zweiten aber: er ist sicher ganz falsch und beruht auf Vor¬
spiegelung falscher Tatsachen.

Das allgemeine Interesse, das die chinesische Revolution in weitesten Kreisen
findet, ist mit einer gewissen Überraschung und Verwunderung gepaart. Wenn
irgendwo in der Welt die Verhältnisse in starrer Ruhe zu beharren und in
dauernder Gestaltung gefestigt schienen, so war es in China. Und gerade hier
vollzieht sich — scheinbar ganz unvermittelt — der Übergang aus der alter¬
tümlichsten Staatsform, dem patriarchalischen Absolutismus, zu der modernen
Gestaltung der demokratischen Republik.

In der Tat aber ist dies alles, was uns seltsam, fast unerhört erscheint,
sür China an sich nichts Neues. China hat im Laufe seiner Jahrtausende
umfassenden Geschichte viele Umwälzungen, gewaltige Revolutionen, völlige Auf¬
lösung des Einheitsstaates erlebt und immer wieder überwunden. Aus Jahr¬
hunderten anarchischer Zustände erhebt sich immer wieder in unerhörter Lebens¬
kraft das chinesische Volk als kulturelle und politische Einheit.

Um die Hergange der Gegenwart zu verstehen, ist ein Zweifaches erforderlich:
einmal muß man sich das Wesen des chinesischen Staates klarmachen, oder viel¬
mehr sich deutlich machen, wie der Chinese in seinem politischen Denken den
Staat auffaßt. Denn das innerste Wesen des Staates liegt nicht in der Form


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[0632] Geschichtliche Bemerkungen zur chinesischen Revolution sie sind auch ein Symbol unserer Gemeinsamkeit und Einheitlichkeit in den deutschen Naturschätzen. Ich habe einen Strauß dieser Alpenblumen mitgebracht, um sie als Zeichen unserer großen Verehrung und innigen Liebe darzubieten Seiner königlichen Hoheit Ihrem Prinzen Ludwig, unserem deutschen Prinzen Ludwig I Geschichtliche Bemerkungen zur chinesischen Revolution Dr. R, Stube von aß China eine Republik geworden ist, und daß sich in der großen Umwälzung eine nationale Reaktion gegen die Fremdherrschaft der Mandschu bekundet, sind zwei Sätze, die für den europäischen Betrachter nahezu dogmatische Geltung haben. Versucht man aber, die Hergange nach den Maßen der chinesischen Geschichte und des chinesischen Staates zu beurteilen, so gilt für den ersten Satz: eine republikanische Staatsform ist nach dem Wesen des chinesischen Staates für die Dauer kaum denkbar; für den zweiten aber: er ist sicher ganz falsch und beruht auf Vor¬ spiegelung falscher Tatsachen. Das allgemeine Interesse, das die chinesische Revolution in weitesten Kreisen findet, ist mit einer gewissen Überraschung und Verwunderung gepaart. Wenn irgendwo in der Welt die Verhältnisse in starrer Ruhe zu beharren und in dauernder Gestaltung gefestigt schienen, so war es in China. Und gerade hier vollzieht sich — scheinbar ganz unvermittelt — der Übergang aus der alter¬ tümlichsten Staatsform, dem patriarchalischen Absolutismus, zu der modernen Gestaltung der demokratischen Republik. In der Tat aber ist dies alles, was uns seltsam, fast unerhört erscheint, sür China an sich nichts Neues. China hat im Laufe seiner Jahrtausende umfassenden Geschichte viele Umwälzungen, gewaltige Revolutionen, völlige Auf¬ lösung des Einheitsstaates erlebt und immer wieder überwunden. Aus Jahr¬ hunderten anarchischer Zustände erhebt sich immer wieder in unerhörter Lebens¬ kraft das chinesische Volk als kulturelle und politische Einheit. Um die Hergange der Gegenwart zu verstehen, ist ein Zweifaches erforderlich: einmal muß man sich das Wesen des chinesischen Staates klarmachen, oder viel¬ mehr sich deutlich machen, wie der Chinese in seinem politischen Denken den Staat auffaßt. Denn das innerste Wesen des Staates liegt nicht in der Form

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/632>, abgerufen am 26.05.2024.