Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

gestaltet. Das andere ist das Phantasie¬
scheinhafte Geschöpf des Dichters. Die Ge¬
fühle dieser ideellen Person sind natürlich nicht
die des Schauspielers; Furcht, Mitleid, Liebe,
Haß, Zorn, Stolz, Demut usw. hat er als
Mensch gewiß schon oft empfunden, ob erste
aber auch beim Studieren und namentlich beim
Spielen einer Rolle, d. h. als Künstler em¬
pfindet, darüber gehen die Meinungen bis zum
schroffsten Gegensatze auseinander. Hier sei
nicht weiter darauf eingegangen, sondern nur
bemerkt, daß vom Schauspieler nicht zu for¬
dern ist, er solle das was er ausdrückt wirk¬
lich fühlen; er soll nur den Schein erwecken,
als ob er das was er ausdrückt wirklich fühlt.
Nicht darin bestehen Kunst und Aufgabe, aus¬
zudrücken was er fühlt, sondern was er nicht
fühlt, sich nur in der Phantasie vorstellt
(Lange, "Das Wesen der Kunst" I, 107).
Das eigentliche "Schaffen" freilich geht auch
beim Schauspieler im Unbewußt-Bewußten vor
sich, nur sein Ergebnis wird als rann-zeitliche
Erscheinung seh- und hörbar, d. h. als im
wirklichen Raume, stetig doch unterbrechbar,
Moment nach Moment "Setzende" Tätigkeit,
die als solche eine ewige Gegenwart ist und
doch beständig zur Vergangenheit wird.

Ich hoffe nicht für einen Anwalt des
Schauspielergrößenwahns gehalten zu wer¬
den, wenn ich nach alledem behaupte: das
Werk auch des größten Dichters dient dem
Schauspieler als solchem nur als Material,
das mit seiner Körperlichkeit durch geistige
Synthese zur Plastik des schauspielerischen Kunst¬
werkes verarbeitet werden soll. "Hamlet",
"Tartüff", "Faust", "Wallenstein", als Stücke
wie als Rollen, sind für den Schauspieler nichts
als Gelegenheitsursachen, nichts als Mittel
zum Zweck. Und jede Phantasiegestalt eines
Dramatikers lebt ein sichtbares, wirklich-un¬
wirkliches Leben nur im bewegten, sprechenden
Leibe des Schauspielers. Insofern ist der
Schauspieler Herr über den Dichter, und ich
sehe nicht, wie diesem Schlüsse zu entgehen
ist, wenn man zugibt, daß die Schauspielkunst
eine spezifische Kunst ist. Vom Standpunkt
des Dichters ein "Diener am Wort", von

[Spaltenumbruch]

seinem eigenen ein Herr -- das ist der Schau¬
spieler! -- Wer Rang und Wert seiner Kunst
ist damit noch nichts gesagt, nur sein Wesen
scheint nur treffend ausgedrückt.

Man wird sagen, dieses "Erst komme ich"
und "Ich bin ich", sei die Losung des "Ko¬
mödianten". Aber erstens erkennen die Schau¬
spieler ihre Abhängigkeit vom Dichter im all¬
gemeinen sehr Wohl an, verlangen aber da¬
gegen, auf ihrem eigentümlichen Gebiete als
selbständig respektiert zu werden (Devrient,
"Geschichte der deutschen Schauspielkunst" I,
3S7); zweitens ist dies Verlangen durchaus
nicht dasselbe wie das eifersüchtige Streben
des "Stars", alles was "gut und teuer" ist
selbst zu spielen und jedes Stück mehr oder
weniger in Soloszenen und Monologe zu zer¬
pflücken; und drittens hat es noch keinen "Voll-
blut"Schauspieler gegeben, der nicht in dem
oben entwickelten Sinne "Komödiant" gewesen
wäre. Der Begriff ist überhaupt so wenig
einfach, daß er am Schlüsse eines zu anderem
Zwecke geschriebenen Aufsatzes nur gestreift
werden kann und künftiger Untersuchung vor¬
behalten bleibe. Dr. Max Büsing-Lriedenau

Musik

Hermann Kretzschmar: "Geschichte des
neuen deutschen Liedes." 1. Teil: von Albert
bis Zelter. Leipzig, Breitkopf u. Härtel, 1911.

In der Musikgeschichte mangelt es noch
immer an Büchern, die nicht nur den Fach¬
mann interessieren, sondern die auch dem kunst¬
freudigen Laien als Lektüre empfohlen werden
können. Unter den wenigen Musikhistorikern,
die für ein größeres Publikum schreiben, steht
Hermann Kretzschmar heute an erster Stelle.
Die besondere Anziehungskraft seiner Schriften
beruht neben einem ganz ungewöhnlich schönen
und klaren Stil darin, daß Kretzschmar das
musikalische Thema, das er behandelt, nie mit
einem pedantischen Pfahlzaun absteckt, sondern
im Gegenteil von seinem Gebiet nach allen
Seiten Umschau hält, wo sich etwa Beziehungen
zu jenem finden, und wo wiederum Einwir¬
kungen von ihn: zu bemerken sind. Neben
den anderen Künsten ist es besonders die
Politik, die Kretzschmar zur Beleuchtung seines
musikwissenschaftlichen Vorwurfes mit heran¬
zieht. Deshalb verschlägt es auch nicht viel,
Wenn ihm gelegentlich einmal ein historisches

[Ende Spaltensatz]
gegen den Pcmtomimus, von dem sie sich, wie
von Tanz und Mimus (Charaktertanz) nur
dem Grade, nicht der Art nach unterscheidet.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

gestaltet. Das andere ist das Phantasie¬
scheinhafte Geschöpf des Dichters. Die Ge¬
fühle dieser ideellen Person sind natürlich nicht
die des Schauspielers; Furcht, Mitleid, Liebe,
Haß, Zorn, Stolz, Demut usw. hat er als
Mensch gewiß schon oft empfunden, ob erste
aber auch beim Studieren und namentlich beim
Spielen einer Rolle, d. h. als Künstler em¬
pfindet, darüber gehen die Meinungen bis zum
schroffsten Gegensatze auseinander. Hier sei
nicht weiter darauf eingegangen, sondern nur
bemerkt, daß vom Schauspieler nicht zu for¬
dern ist, er solle das was er ausdrückt wirk¬
lich fühlen; er soll nur den Schein erwecken,
als ob er das was er ausdrückt wirklich fühlt.
Nicht darin bestehen Kunst und Aufgabe, aus¬
zudrücken was er fühlt, sondern was er nicht
fühlt, sich nur in der Phantasie vorstellt
(Lange, „Das Wesen der Kunst" I, 107).
Das eigentliche „Schaffen" freilich geht auch
beim Schauspieler im Unbewußt-Bewußten vor
sich, nur sein Ergebnis wird als rann-zeitliche
Erscheinung seh- und hörbar, d. h. als im
wirklichen Raume, stetig doch unterbrechbar,
Moment nach Moment „Setzende" Tätigkeit,
die als solche eine ewige Gegenwart ist und
doch beständig zur Vergangenheit wird.

Ich hoffe nicht für einen Anwalt des
Schauspielergrößenwahns gehalten zu wer¬
den, wenn ich nach alledem behaupte: das
Werk auch des größten Dichters dient dem
Schauspieler als solchem nur als Material,
das mit seiner Körperlichkeit durch geistige
Synthese zur Plastik des schauspielerischen Kunst¬
werkes verarbeitet werden soll. „Hamlet",
„Tartüff", „Faust", „Wallenstein", als Stücke
wie als Rollen, sind für den Schauspieler nichts
als Gelegenheitsursachen, nichts als Mittel
zum Zweck. Und jede Phantasiegestalt eines
Dramatikers lebt ein sichtbares, wirklich-un¬
wirkliches Leben nur im bewegten, sprechenden
Leibe des Schauspielers. Insofern ist der
Schauspieler Herr über den Dichter, und ich
sehe nicht, wie diesem Schlüsse zu entgehen
ist, wenn man zugibt, daß die Schauspielkunst
eine spezifische Kunst ist. Vom Standpunkt
des Dichters ein „Diener am Wort", von

[Spaltenumbruch]

seinem eigenen ein Herr — das ist der Schau¬
spieler! — Wer Rang und Wert seiner Kunst
ist damit noch nichts gesagt, nur sein Wesen
scheint nur treffend ausgedrückt.

Man wird sagen, dieses „Erst komme ich"
und „Ich bin ich", sei die Losung des „Ko¬
mödianten". Aber erstens erkennen die Schau¬
spieler ihre Abhängigkeit vom Dichter im all¬
gemeinen sehr Wohl an, verlangen aber da¬
gegen, auf ihrem eigentümlichen Gebiete als
selbständig respektiert zu werden (Devrient,
„Geschichte der deutschen Schauspielkunst" I,
3S7); zweitens ist dies Verlangen durchaus
nicht dasselbe wie das eifersüchtige Streben
des „Stars", alles was „gut und teuer" ist
selbst zu spielen und jedes Stück mehr oder
weniger in Soloszenen und Monologe zu zer¬
pflücken; und drittens hat es noch keinen „Voll-
blut"Schauspieler gegeben, der nicht in dem
oben entwickelten Sinne „Komödiant" gewesen
wäre. Der Begriff ist überhaupt so wenig
einfach, daß er am Schlüsse eines zu anderem
Zwecke geschriebenen Aufsatzes nur gestreift
werden kann und künftiger Untersuchung vor¬
behalten bleibe. Dr. Max Büsing-Lriedenau

Musik

Hermann Kretzschmar: „Geschichte des
neuen deutschen Liedes." 1. Teil: von Albert
bis Zelter. Leipzig, Breitkopf u. Härtel, 1911.

In der Musikgeschichte mangelt es noch
immer an Büchern, die nicht nur den Fach¬
mann interessieren, sondern die auch dem kunst¬
freudigen Laien als Lektüre empfohlen werden
können. Unter den wenigen Musikhistorikern,
die für ein größeres Publikum schreiben, steht
Hermann Kretzschmar heute an erster Stelle.
Die besondere Anziehungskraft seiner Schriften
beruht neben einem ganz ungewöhnlich schönen
und klaren Stil darin, daß Kretzschmar das
musikalische Thema, das er behandelt, nie mit
einem pedantischen Pfahlzaun absteckt, sondern
im Gegenteil von seinem Gebiet nach allen
Seiten Umschau hält, wo sich etwa Beziehungen
zu jenem finden, und wo wiederum Einwir¬
kungen von ihn: zu bemerken sind. Neben
den anderen Künsten ist es besonders die
Politik, die Kretzschmar zur Beleuchtung seines
musikwissenschaftlichen Vorwurfes mit heran¬
zieht. Deshalb verschlägt es auch nicht viel,
Wenn ihm gelegentlich einmal ein historisches

[Ende Spaltensatz]
gegen den Pcmtomimus, von dem sie sich, wie
von Tanz und Mimus (Charaktertanz) nur
dem Grade, nicht der Art nach unterscheidet.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0647" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321732"/>
              <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
              <cb type="start"/>
              <p xml:id="ID_2700" prev="#ID_2699"> gestaltet. Das andere ist das Phantasie¬<lb/>
scheinhafte Geschöpf des Dichters. Die Ge¬<lb/>
fühle dieser ideellen Person sind natürlich nicht<lb/>
die des Schauspielers; Furcht, Mitleid, Liebe,<lb/>
Haß, Zorn, Stolz, Demut usw. hat er als<lb/>
Mensch gewiß schon oft empfunden, ob erste<lb/>
aber auch beim Studieren und namentlich beim<lb/>
Spielen einer Rolle, d. h. als Künstler em¬<lb/>
pfindet, darüber gehen die Meinungen bis zum<lb/>
schroffsten Gegensatze auseinander. Hier sei<lb/>
nicht weiter darauf eingegangen, sondern nur<lb/>
bemerkt, daß vom Schauspieler nicht zu for¬<lb/>
dern ist, er solle das was er ausdrückt wirk¬<lb/>
lich fühlen; er soll nur den Schein erwecken,<lb/>
als ob er das was er ausdrückt wirklich fühlt.<lb/>
Nicht darin bestehen Kunst und Aufgabe, aus¬<lb/>
zudrücken was er fühlt, sondern was er nicht<lb/>
fühlt, sich nur in der Phantasie vorstellt<lb/>
(Lange, &#x201E;Das Wesen der Kunst" I, 107).<lb/>
Das eigentliche &#x201E;Schaffen" freilich geht auch<lb/>
beim Schauspieler im Unbewußt-Bewußten vor<lb/>
sich, nur sein Ergebnis wird als rann-zeitliche<lb/>
Erscheinung seh- und hörbar, d. h. als im<lb/>
wirklichen Raume, stetig doch unterbrechbar,<lb/>
Moment nach Moment &#x201E;Setzende" Tätigkeit,<lb/>
die als solche eine ewige Gegenwart ist und<lb/>
doch beständig zur Vergangenheit wird.</p>
              <p xml:id="ID_2701" next="#ID_2702"> Ich hoffe nicht für einen Anwalt des<lb/>
Schauspielergrößenwahns gehalten zu wer¬<lb/>
den, wenn ich nach alledem behaupte: das<lb/>
Werk auch des größten Dichters dient dem<lb/>
Schauspieler als solchem nur als Material,<lb/>
das mit seiner Körperlichkeit durch geistige<lb/>
Synthese zur Plastik des schauspielerischen Kunst¬<lb/>
werkes verarbeitet werden soll. &#x201E;Hamlet",<lb/>
&#x201E;Tartüff", &#x201E;Faust", &#x201E;Wallenstein", als Stücke<lb/>
wie als Rollen, sind für den Schauspieler nichts<lb/>
als Gelegenheitsursachen, nichts als Mittel<lb/>
zum Zweck. Und jede Phantasiegestalt eines<lb/>
Dramatikers lebt ein sichtbares, wirklich-un¬<lb/>
wirkliches Leben nur im bewegten, sprechenden<lb/>
Leibe des Schauspielers. Insofern ist der<lb/>
Schauspieler Herr über den Dichter, und ich<lb/>
sehe nicht, wie diesem Schlüsse zu entgehen<lb/>
ist, wenn man zugibt, daß die Schauspielkunst<lb/>
eine spezifische Kunst ist. Vom Standpunkt<lb/>
des Dichters ein &#x201E;Diener am Wort", von</p>
              <note xml:id="FID_125" prev="#FID_124" place="foot"> gegen den Pcmtomimus, von dem sie sich, wie<lb/>
von Tanz und Mimus (Charaktertanz) nur<lb/>
dem Grade, nicht der Art nach unterscheidet.</note>
              <cb/><lb/>
              <p xml:id="ID_2702" prev="#ID_2701"> seinem eigenen ein Herr &#x2014; das ist der Schau¬<lb/>
spieler! &#x2014; Wer Rang und Wert seiner Kunst<lb/>
ist damit noch nichts gesagt, nur sein Wesen<lb/>
scheint nur treffend ausgedrückt.</p>
              <p xml:id="ID_2703"> Man wird sagen, dieses &#x201E;Erst komme ich"<lb/>
und &#x201E;Ich bin ich", sei die Losung des &#x201E;Ko¬<lb/>
mödianten". Aber erstens erkennen die Schau¬<lb/>
spieler ihre Abhängigkeit vom Dichter im all¬<lb/>
gemeinen sehr Wohl an, verlangen aber da¬<lb/>
gegen, auf ihrem eigentümlichen Gebiete als<lb/>
selbständig respektiert zu werden (Devrient,<lb/>
&#x201E;Geschichte der deutschen Schauspielkunst" I,<lb/>
3S7); zweitens ist dies Verlangen durchaus<lb/>
nicht dasselbe wie das eifersüchtige Streben<lb/>
des &#x201E;Stars", alles was &#x201E;gut und teuer" ist<lb/>
selbst zu spielen und jedes Stück mehr oder<lb/>
weniger in Soloszenen und Monologe zu zer¬<lb/>
pflücken; und drittens hat es noch keinen &#x201E;Voll-<lb/>
blut"Schauspieler gegeben, der nicht in dem<lb/>
oben entwickelten Sinne &#x201E;Komödiant" gewesen<lb/>
wäre. Der Begriff ist überhaupt so wenig<lb/>
einfach, daß er am Schlüsse eines zu anderem<lb/>
Zwecke geschriebenen Aufsatzes nur gestreift<lb/>
werden kann und künftiger Untersuchung vor¬<lb/>
behalten bleibe. Dr. Max Büsing-Lriedenau</p>
            </div>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Musik</head>
            <p xml:id="ID_2704"> Hermann Kretzschmar: &#x201E;Geschichte des<lb/>
neuen deutschen Liedes." 1. Teil: von Albert<lb/>
bis Zelter. Leipzig, Breitkopf u. Härtel, 1911.</p>
            <p xml:id="ID_2705" next="#ID_2706"> In der Musikgeschichte mangelt es noch<lb/>
immer an Büchern, die nicht nur den Fach¬<lb/>
mann interessieren, sondern die auch dem kunst¬<lb/>
freudigen Laien als Lektüre empfohlen werden<lb/>
können. Unter den wenigen Musikhistorikern,<lb/>
die für ein größeres Publikum schreiben, steht<lb/>
Hermann Kretzschmar heute an erster Stelle.<lb/>
Die besondere Anziehungskraft seiner Schriften<lb/>
beruht neben einem ganz ungewöhnlich schönen<lb/>
und klaren Stil darin, daß Kretzschmar das<lb/>
musikalische Thema, das er behandelt, nie mit<lb/>
einem pedantischen Pfahlzaun absteckt, sondern<lb/>
im Gegenteil von seinem Gebiet nach allen<lb/>
Seiten Umschau hält, wo sich etwa Beziehungen<lb/>
zu jenem finden, und wo wiederum Einwir¬<lb/>
kungen von ihn: zu bemerken sind. Neben<lb/>
den anderen Künsten ist es besonders die<lb/>
Politik, die Kretzschmar zur Beleuchtung seines<lb/>
musikwissenschaftlichen Vorwurfes mit heran¬<lb/>
zieht. Deshalb verschlägt es auch nicht viel,<lb/>
Wenn ihm gelegentlich einmal ein historisches</p>
            <cb type="end"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0647] Maßgebliches und Unmaßgebliches gestaltet. Das andere ist das Phantasie¬ scheinhafte Geschöpf des Dichters. Die Ge¬ fühle dieser ideellen Person sind natürlich nicht die des Schauspielers; Furcht, Mitleid, Liebe, Haß, Zorn, Stolz, Demut usw. hat er als Mensch gewiß schon oft empfunden, ob erste aber auch beim Studieren und namentlich beim Spielen einer Rolle, d. h. als Künstler em¬ pfindet, darüber gehen die Meinungen bis zum schroffsten Gegensatze auseinander. Hier sei nicht weiter darauf eingegangen, sondern nur bemerkt, daß vom Schauspieler nicht zu for¬ dern ist, er solle das was er ausdrückt wirk¬ lich fühlen; er soll nur den Schein erwecken, als ob er das was er ausdrückt wirklich fühlt. Nicht darin bestehen Kunst und Aufgabe, aus¬ zudrücken was er fühlt, sondern was er nicht fühlt, sich nur in der Phantasie vorstellt (Lange, „Das Wesen der Kunst" I, 107). Das eigentliche „Schaffen" freilich geht auch beim Schauspieler im Unbewußt-Bewußten vor sich, nur sein Ergebnis wird als rann-zeitliche Erscheinung seh- und hörbar, d. h. als im wirklichen Raume, stetig doch unterbrechbar, Moment nach Moment „Setzende" Tätigkeit, die als solche eine ewige Gegenwart ist und doch beständig zur Vergangenheit wird. Ich hoffe nicht für einen Anwalt des Schauspielergrößenwahns gehalten zu wer¬ den, wenn ich nach alledem behaupte: das Werk auch des größten Dichters dient dem Schauspieler als solchem nur als Material, das mit seiner Körperlichkeit durch geistige Synthese zur Plastik des schauspielerischen Kunst¬ werkes verarbeitet werden soll. „Hamlet", „Tartüff", „Faust", „Wallenstein", als Stücke wie als Rollen, sind für den Schauspieler nichts als Gelegenheitsursachen, nichts als Mittel zum Zweck. Und jede Phantasiegestalt eines Dramatikers lebt ein sichtbares, wirklich-un¬ wirkliches Leben nur im bewegten, sprechenden Leibe des Schauspielers. Insofern ist der Schauspieler Herr über den Dichter, und ich sehe nicht, wie diesem Schlüsse zu entgehen ist, wenn man zugibt, daß die Schauspielkunst eine spezifische Kunst ist. Vom Standpunkt des Dichters ein „Diener am Wort", von seinem eigenen ein Herr — das ist der Schau¬ spieler! — Wer Rang und Wert seiner Kunst ist damit noch nichts gesagt, nur sein Wesen scheint nur treffend ausgedrückt. Man wird sagen, dieses „Erst komme ich" und „Ich bin ich", sei die Losung des „Ko¬ mödianten". Aber erstens erkennen die Schau¬ spieler ihre Abhängigkeit vom Dichter im all¬ gemeinen sehr Wohl an, verlangen aber da¬ gegen, auf ihrem eigentümlichen Gebiete als selbständig respektiert zu werden (Devrient, „Geschichte der deutschen Schauspielkunst" I, 3S7); zweitens ist dies Verlangen durchaus nicht dasselbe wie das eifersüchtige Streben des „Stars", alles was „gut und teuer" ist selbst zu spielen und jedes Stück mehr oder weniger in Soloszenen und Monologe zu zer¬ pflücken; und drittens hat es noch keinen „Voll- blut"Schauspieler gegeben, der nicht in dem oben entwickelten Sinne „Komödiant" gewesen wäre. Der Begriff ist überhaupt so wenig einfach, daß er am Schlüsse eines zu anderem Zwecke geschriebenen Aufsatzes nur gestreift werden kann und künftiger Untersuchung vor¬ behalten bleibe. Dr. Max Büsing-Lriedenau Musik Hermann Kretzschmar: „Geschichte des neuen deutschen Liedes." 1. Teil: von Albert bis Zelter. Leipzig, Breitkopf u. Härtel, 1911. In der Musikgeschichte mangelt es noch immer an Büchern, die nicht nur den Fach¬ mann interessieren, sondern die auch dem kunst¬ freudigen Laien als Lektüre empfohlen werden können. Unter den wenigen Musikhistorikern, die für ein größeres Publikum schreiben, steht Hermann Kretzschmar heute an erster Stelle. Die besondere Anziehungskraft seiner Schriften beruht neben einem ganz ungewöhnlich schönen und klaren Stil darin, daß Kretzschmar das musikalische Thema, das er behandelt, nie mit einem pedantischen Pfahlzaun absteckt, sondern im Gegenteil von seinem Gebiet nach allen Seiten Umschau hält, wo sich etwa Beziehungen zu jenem finden, und wo wiederum Einwir¬ kungen von ihn: zu bemerken sind. Neben den anderen Künsten ist es besonders die Politik, die Kretzschmar zur Beleuchtung seines musikwissenschaftlichen Vorwurfes mit heran¬ zieht. Deshalb verschlägt es auch nicht viel, Wenn ihm gelegentlich einmal ein historisches gegen den Pcmtomimus, von dem sie sich, wie von Tanz und Mimus (Charaktertanz) nur dem Grade, nicht der Art nach unterscheidet.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/647
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/647>, abgerufen am 18.05.2024.