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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Theodor Montanes Briefe von j)nvcitdc>zend 1)7. l^erniann Schneider

a, was heißt Briefschreibetalent! Es ist damit wie mit allem;
eine Norm gibt es nicht. Der kleine Notizenbrief kann sehr nett
sein, und ich kann mit Vergnügen lesen, daß der Kanarienvogel
zwei Eier ausgebrütet hat, oder daß Fips zweimal geschoren wurde,
erst halb dann ganz --"

Wer an Fontanes Briefe in der Erwartung herantritt, große dichterische
Konfessionen, spannende Beiträge zur Geschichte eines interessanten und viel¬
bewegten Lebenslaufes zu finden, wird nicht ganz auf seine Rechnung kommen.
Zwar ist ihm auch jene zweite Gattung des "Talent LpiZwIairs", die er im
Anschluß an die eben zitierte Briefstelle anführt, "Reflektionen, philosophische
Betrachtungen, Bilder, Vergleiche, Angriffe und Verteidigungen" nicht versagt,
aber im ganzen verzichtet er auf die billige Gelegenheit, in Briefen als literarische
Autorität zu orakeln, vor allem in der Familienkorrespondenz, wo er ernste
Probleme nur erörtert, um sofort, des trockenen Tones satt, von dieser und
jener Kleinigkeit, sei es "vom NichtVorhandensein eines guten Bieres oder von
der Grobheit eines gestern entlassenen Dienstmädchens" -- ein wahres Muster¬
thema, wie er selbst sagt -- aus eine Weise zu erzählen, die den Leser mehr fesselt,
als es vielleicht fortgesetzte literarische Auseinandersetzungen vermöchten. Aus
den Berichten an die Familie spricht zumeist weder der Poet noch der Kritiker,
sondern lediglich Theodor Fontane der Mensch, und dieser war zweifellos das
allerbeste an ihm. Deshalb ist es gerade bei ihm von hohem Wert, daß der
Nachwelt oder vielmehr all denen, die ihm ferne standen, ein klares und nach
Verdienst sympathisches Bild seiner Persönlichkeit überliefert wird, nicht als Er¬
gänzung zu seinen Werken, sondern als dasjenige, was von ihm hauptsächlich
gekannt zu sein verdient. Es ist nicht zu leugnen, daß seine literarische Ein¬
schätzung durch den persönlichen Eindruck, den eine ganze Reihe von ma߬
gebenden kritischen Persönlichkeiten namentlich Berlins von ihm empfangen haben,
beeinflußt worden ist; daß, wer Fontane kannte und hochschützte, auch Romane
hochschätzen mußte, in denen sich der ganze Fontane kundtat und aussprach, ist
verständlich. Verblaßt diese Erinnerung einmal, dann könnte die literarische Kritik
leicht in den entgegengesetzten Fehler fallen. Die veröffentlichte Korrespondenz




Theodor Montanes Briefe von j)nvcitdc>zend 1)7. l^erniann Schneider

a, was heißt Briefschreibetalent! Es ist damit wie mit allem;
eine Norm gibt es nicht. Der kleine Notizenbrief kann sehr nett
sein, und ich kann mit Vergnügen lesen, daß der Kanarienvogel
zwei Eier ausgebrütet hat, oder daß Fips zweimal geschoren wurde,
erst halb dann ganz —"

Wer an Fontanes Briefe in der Erwartung herantritt, große dichterische
Konfessionen, spannende Beiträge zur Geschichte eines interessanten und viel¬
bewegten Lebenslaufes zu finden, wird nicht ganz auf seine Rechnung kommen.
Zwar ist ihm auch jene zweite Gattung des „Talent LpiZwIairs", die er im
Anschluß an die eben zitierte Briefstelle anführt, „Reflektionen, philosophische
Betrachtungen, Bilder, Vergleiche, Angriffe und Verteidigungen" nicht versagt,
aber im ganzen verzichtet er auf die billige Gelegenheit, in Briefen als literarische
Autorität zu orakeln, vor allem in der Familienkorrespondenz, wo er ernste
Probleme nur erörtert, um sofort, des trockenen Tones satt, von dieser und
jener Kleinigkeit, sei es „vom NichtVorhandensein eines guten Bieres oder von
der Grobheit eines gestern entlassenen Dienstmädchens" — ein wahres Muster¬
thema, wie er selbst sagt — aus eine Weise zu erzählen, die den Leser mehr fesselt,
als es vielleicht fortgesetzte literarische Auseinandersetzungen vermöchten. Aus
den Berichten an die Familie spricht zumeist weder der Poet noch der Kritiker,
sondern lediglich Theodor Fontane der Mensch, und dieser war zweifellos das
allerbeste an ihm. Deshalb ist es gerade bei ihm von hohem Wert, daß der
Nachwelt oder vielmehr all denen, die ihm ferne standen, ein klares und nach
Verdienst sympathisches Bild seiner Persönlichkeit überliefert wird, nicht als Er¬
gänzung zu seinen Werken, sondern als dasjenige, was von ihm hauptsächlich
gekannt zu sein verdient. Es ist nicht zu leugnen, daß seine literarische Ein¬
schätzung durch den persönlichen Eindruck, den eine ganze Reihe von ma߬
gebenden kritischen Persönlichkeiten namentlich Berlins von ihm empfangen haben,
beeinflußt worden ist; daß, wer Fontane kannte und hochschützte, auch Romane
hochschätzen mußte, in denen sich der ganze Fontane kundtat und aussprach, ist
verständlich. Verblaßt diese Erinnerung einmal, dann könnte die literarische Kritik
leicht in den entgegengesetzten Fehler fallen. Die veröffentlichte Korrespondenz


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[0095] [Abbildung] Theodor Montanes Briefe von j)nvcitdc>zend 1)7. l^erniann Schneider a, was heißt Briefschreibetalent! Es ist damit wie mit allem; eine Norm gibt es nicht. Der kleine Notizenbrief kann sehr nett sein, und ich kann mit Vergnügen lesen, daß der Kanarienvogel zwei Eier ausgebrütet hat, oder daß Fips zweimal geschoren wurde, erst halb dann ganz —" Wer an Fontanes Briefe in der Erwartung herantritt, große dichterische Konfessionen, spannende Beiträge zur Geschichte eines interessanten und viel¬ bewegten Lebenslaufes zu finden, wird nicht ganz auf seine Rechnung kommen. Zwar ist ihm auch jene zweite Gattung des „Talent LpiZwIairs", die er im Anschluß an die eben zitierte Briefstelle anführt, „Reflektionen, philosophische Betrachtungen, Bilder, Vergleiche, Angriffe und Verteidigungen" nicht versagt, aber im ganzen verzichtet er auf die billige Gelegenheit, in Briefen als literarische Autorität zu orakeln, vor allem in der Familienkorrespondenz, wo er ernste Probleme nur erörtert, um sofort, des trockenen Tones satt, von dieser und jener Kleinigkeit, sei es „vom NichtVorhandensein eines guten Bieres oder von der Grobheit eines gestern entlassenen Dienstmädchens" — ein wahres Muster¬ thema, wie er selbst sagt — aus eine Weise zu erzählen, die den Leser mehr fesselt, als es vielleicht fortgesetzte literarische Auseinandersetzungen vermöchten. Aus den Berichten an die Familie spricht zumeist weder der Poet noch der Kritiker, sondern lediglich Theodor Fontane der Mensch, und dieser war zweifellos das allerbeste an ihm. Deshalb ist es gerade bei ihm von hohem Wert, daß der Nachwelt oder vielmehr all denen, die ihm ferne standen, ein klares und nach Verdienst sympathisches Bild seiner Persönlichkeit überliefert wird, nicht als Er¬ gänzung zu seinen Werken, sondern als dasjenige, was von ihm hauptsächlich gekannt zu sein verdient. Es ist nicht zu leugnen, daß seine literarische Ein¬ schätzung durch den persönlichen Eindruck, den eine ganze Reihe von ma߬ gebenden kritischen Persönlichkeiten namentlich Berlins von ihm empfangen haben, beeinflußt worden ist; daß, wer Fontane kannte und hochschützte, auch Romane hochschätzen mußte, in denen sich der ganze Fontane kundtat und aussprach, ist verständlich. Verblaßt diese Erinnerung einmal, dann könnte die literarische Kritik leicht in den entgegengesetzten Fehler fallen. Die veröffentlichte Korrespondenz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/95>, abgerufen am 19.05.2024.