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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Wilhelm Schäfer
Theodor l^an kein von

er heutigen Tags mit der Feder dem Papier die Gesichte seines
Innern preisgibt, kommt nicht so leicht in Gefahr, daß er die
Bedeutung solchen Tuns verkenne und sich selbst damit unter¬
schätze. Wir sind nachgerade dahinter gekommen, wie unerhört
neu die Welt jedesmal wird, wenn wieder einer von uns Menschen¬
kindern sich daran macht, mit seinen Augen sich in ihr zurechtzufinden und in
seiner Zunge von ihren wunderwürdigen Erscheinungen zu. sagen. Mit so
besonderer Macht wie ihm kann sich ihr Sein und Wesen ja doch kaum je zuvor
geoffenbart haben, und die Formeln, die er ihr abringe, müssen neue Schlüssel
zu einem letzten Begreifen geben.

Dem Schaffenden mögen wir es nachsehen, daß es für ihn, dem das
Leben in neuem Abbild und Gleichnis sich darstellen will, fortan auch nur noch
einen einzigen Weg zur Wahrheit gibt, daß ihm die eigene Begabung und
Neigung samt ihren Grenzen schließlich zum allgemeinen Maß und Gesetz der
Kunst wird. Aber wir sollten seine Überzeugung nicht so gutgläubig uns
aneignen, ihn nicht so eifrig darin bestärken. Sollten ihn nicht immer gleich
aus jedem umfassenderen Nahmen lösen und ihm das Bewußtsein seiner
unvergleichbaren Ursprünglichkeit nicht auch noch von außenher aufdrängen. So
alltäglich ist das Unerhörte nicht, und das wilde Draufgängertum braucht sich
seiner Zeit ebensowenig überlegen zu dünken wie das besonnene Maßhalten,
denn ihre Nahrung empfangen sie beide doch von der gleichen Erde, ob sie
nun den Zeitgeist zu überfliegen trachten oder seinem Flug nur von ererbten,
sicheren: Boden aus gelassen folgen.

Doch zuzeiten geschieht es auch, daß der Schriftsteller selbst die Trieb¬
federn seines Schaffens bloßlegt und mit aufgehobenem Finger die Aufgaben
und Ziele seiner Kunst zu deuten unternimmt. Dann verdient er ernstliches
Mißtrauen, und mehr denn je ist es ihm gegenüber Pflicht, das Urteil über
ihn nur auf sein Vollbringen zu gründen, ohne Rücksicht auf das, was er
dabei vielleicht theoretischer Reflexion verdankt. Dem lebensschwachen Werk
wird alle künstlerische Absicht, alle technische Einsicht nicht aufhelfen, und das
vollgiltige lebt aus der Sicherheit seiner eigenen Kraft.




Wilhelm Schäfer
Theodor l^an kein von

er heutigen Tags mit der Feder dem Papier die Gesichte seines
Innern preisgibt, kommt nicht so leicht in Gefahr, daß er die
Bedeutung solchen Tuns verkenne und sich selbst damit unter¬
schätze. Wir sind nachgerade dahinter gekommen, wie unerhört
neu die Welt jedesmal wird, wenn wieder einer von uns Menschen¬
kindern sich daran macht, mit seinen Augen sich in ihr zurechtzufinden und in
seiner Zunge von ihren wunderwürdigen Erscheinungen zu. sagen. Mit so
besonderer Macht wie ihm kann sich ihr Sein und Wesen ja doch kaum je zuvor
geoffenbart haben, und die Formeln, die er ihr abringe, müssen neue Schlüssel
zu einem letzten Begreifen geben.

Dem Schaffenden mögen wir es nachsehen, daß es für ihn, dem das
Leben in neuem Abbild und Gleichnis sich darstellen will, fortan auch nur noch
einen einzigen Weg zur Wahrheit gibt, daß ihm die eigene Begabung und
Neigung samt ihren Grenzen schließlich zum allgemeinen Maß und Gesetz der
Kunst wird. Aber wir sollten seine Überzeugung nicht so gutgläubig uns
aneignen, ihn nicht so eifrig darin bestärken. Sollten ihn nicht immer gleich
aus jedem umfassenderen Nahmen lösen und ihm das Bewußtsein seiner
unvergleichbaren Ursprünglichkeit nicht auch noch von außenher aufdrängen. So
alltäglich ist das Unerhörte nicht, und das wilde Draufgängertum braucht sich
seiner Zeit ebensowenig überlegen zu dünken wie das besonnene Maßhalten,
denn ihre Nahrung empfangen sie beide doch von der gleichen Erde, ob sie
nun den Zeitgeist zu überfliegen trachten oder seinem Flug nur von ererbten,
sicheren: Boden aus gelassen folgen.

Doch zuzeiten geschieht es auch, daß der Schriftsteller selbst die Trieb¬
federn seines Schaffens bloßlegt und mit aufgehobenem Finger die Aufgaben
und Ziele seiner Kunst zu deuten unternimmt. Dann verdient er ernstliches
Mißtrauen, und mehr denn je ist es ihm gegenüber Pflicht, das Urteil über
ihn nur auf sein Vollbringen zu gründen, ohne Rücksicht auf das, was er
dabei vielleicht theoretischer Reflexion verdankt. Dem lebensschwachen Werk
wird alle künstlerische Absicht, alle technische Einsicht nicht aufhelfen, und das
vollgiltige lebt aus der Sicherheit seiner eigenen Kraft.


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[0164] [Abbildung] Wilhelm Schäfer Theodor l^an kein von er heutigen Tags mit der Feder dem Papier die Gesichte seines Innern preisgibt, kommt nicht so leicht in Gefahr, daß er die Bedeutung solchen Tuns verkenne und sich selbst damit unter¬ schätze. Wir sind nachgerade dahinter gekommen, wie unerhört neu die Welt jedesmal wird, wenn wieder einer von uns Menschen¬ kindern sich daran macht, mit seinen Augen sich in ihr zurechtzufinden und in seiner Zunge von ihren wunderwürdigen Erscheinungen zu. sagen. Mit so besonderer Macht wie ihm kann sich ihr Sein und Wesen ja doch kaum je zuvor geoffenbart haben, und die Formeln, die er ihr abringe, müssen neue Schlüssel zu einem letzten Begreifen geben. Dem Schaffenden mögen wir es nachsehen, daß es für ihn, dem das Leben in neuem Abbild und Gleichnis sich darstellen will, fortan auch nur noch einen einzigen Weg zur Wahrheit gibt, daß ihm die eigene Begabung und Neigung samt ihren Grenzen schließlich zum allgemeinen Maß und Gesetz der Kunst wird. Aber wir sollten seine Überzeugung nicht so gutgläubig uns aneignen, ihn nicht so eifrig darin bestärken. Sollten ihn nicht immer gleich aus jedem umfassenderen Nahmen lösen und ihm das Bewußtsein seiner unvergleichbaren Ursprünglichkeit nicht auch noch von außenher aufdrängen. So alltäglich ist das Unerhörte nicht, und das wilde Draufgängertum braucht sich seiner Zeit ebensowenig überlegen zu dünken wie das besonnene Maßhalten, denn ihre Nahrung empfangen sie beide doch von der gleichen Erde, ob sie nun den Zeitgeist zu überfliegen trachten oder seinem Flug nur von ererbten, sicheren: Boden aus gelassen folgen. Doch zuzeiten geschieht es auch, daß der Schriftsteller selbst die Trieb¬ federn seines Schaffens bloßlegt und mit aufgehobenem Finger die Aufgaben und Ziele seiner Kunst zu deuten unternimmt. Dann verdient er ernstliches Mißtrauen, und mehr denn je ist es ihm gegenüber Pflicht, das Urteil über ihn nur auf sein Vollbringen zu gründen, ohne Rücksicht auf das, was er dabei vielleicht theoretischer Reflexion verdankt. Dem lebensschwachen Werk wird alle künstlerische Absicht, alle technische Einsicht nicht aufhelfen, und das vollgiltige lebt aus der Sicherheit seiner eigenen Kraft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/164>, abgerufen am 05.05.2024.