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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

ehelichen Mutter -- ein unverhältnismäßig
großer Teil der Mißhandelten ist illegitimer
Herkunft -- der Haß des späteren Ehegatten
gegen das Vorleben der Frau, grausame
Gelüste, durch Alkoholismus gesteigert, sind
daneben nicht zu gering einzuschätzen.

Eine borbeugende soziale Gesetzgebung
kann hier allein wenig und nur allmählich
Besserung wirken; hier sind die repressiven
Mittel des Staates, vor allem die Kriminal-
strafe, angebracht.

In Deutschland hatte nun einmal das
Strafrecht gegen die Kindermißhandlungen
fast völlig versagt. Das Gesetzbuch unter¬
scheidet einfache, gefährliche und schwereKörPer-
verletzung. Das letzte hier nicht weiter inter¬
essierende Delikt setzt Verlust eines wichtigen
Sinneswerkzeuges oder eine andere schwere
Folge voraus, das zweite muß begangen
werden mittels einer das Leben gefährdenden
Behandlung oder eines gefährlichen Werk¬
zeuges, insbesondere eines Messers oder einer
sonstigen Waffe. Einem Kinde gegenüber
sind aber diese juristischen Begriffe gar nicht
recht brauchbar: wird daS Kind zu Boden
geworfen oder an den heißen Herd gestoßen,
wird es bis zur Erschöpfung des Täters mit
einem Riemen geschlagen, so kann diese vom
Gericht als "einfach" zu beurteilende Mi߬
handlung viel gefährlichere Wirkungen haben,
als wenn sich der Täter eines Stockes oder
Ausklopfers bedient. Sieht aber das Gericht
in der Handlung nur eine "einfache" Körper¬
verletzung verwirklicht, so muß fast immer
das Verfahren eingestellt werden, da der er¬
forderliche Strafantrag fehlt. Den Straf¬
antrag aber kann für eine Person unter
achtzehn Jahren nur der gesetzliche Vertreter
stellen. Der Vater wird sich natürlich nicht
selbst denunzieren und wird auch dann, wenn
die Mutter die Täterin ist, zur Anzeige selten
zu bewegen sein. Der typische Vormund
aber Pflegt bei seinen jährlichen Besuchen von
Mißhandlungen seines Mündels nichts zu be¬
merken.

Die Novelle verlegt also das Gewicht von
der äußerlichen Art der Handlung weg auf
die Gesinnung des Täters. Wer ein Kind
grausam oder boshaft, gleichviel mit welchen
Mitteln, mißhandelt; wird von Amts wegen
verfolgt.

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Daß diese so lang entbehrte Änderung
dem Lehrerstande bedrohlich werden könnte,
auf diese Idee sollte man nicht kommen.
Gleichwohl haben Pädagogen in einer solchen
Vorschrift eine Verkümmerung ihres Züchti¬
gungsrechtes gewittert. Nun mag man über
dieses Recht denken wie man will -- daß
Grausamkeit oder Bosheit die erzieherische
Absicht ausschließen, sollte doch Wohl klar
sein. Diese Charaktereigenschaften aber leuchten
aus der Tat so Wohl erkennbar hervor, daß
hier zu weite und zu strenge Auslegung des
Gesetzes schwer denkbar ist. Auch künftighin
wird nicht jede Überschreitung des Züchtigungs¬
rechtes nach Z 223 s, Abs. II, geahndet werden

Und überhaupt wird man von unseren
Gerichten eine drakonische Justiz auf diesem
Gebiete nicht zu gewärtigen haben. Dies war
nämlich der zweite Welstcmd, der die Reform
herbeirief: die unverständlich milde Beurteilung
dieser Fülle durch unsere Gerichte. DaS öffent¬
liche Rechtsbewußtsein ist so oft durch die
Zeitungen hierauf hingelenkt worden, daß es
weiterer Ausführungen nicht bedarf. Die
Richter wollten offenbar der elterlichen Auto¬
rität durch ihren Spruch keinen Abbruch tun.

Leider muß man nun hier zu den: Schlüsse
kommen, daß die Novelle diesem Mangel nicht
in gründlicher Weise abhilft. In erster Linie
ist zwar Gefängnis von zwei Monaten bis
zu fünf Jahren angedroht; aber der Z 2L8,
der ja auch für den hinzugefügten neuen
Absatz des § 223 a gilt, läßt bei mildernden
Umständen geringere Gefängnisstrafe und sogar
Geldstrafe zu. Wie in Grausamkeit und Bos¬
heit mildernde Umstände gefunden werden
können, dieses Problem muß man dem Richter
überlassen. Hoffentlich löst er es nicht in
dem Sinne, daß er in jeder psychologisch er¬
klärbaren Handlung eine ethische Entschuldigung
sieht. Sonst müßte schleunigst die Novelle
weiter dahin abgeändert werden, daß Z 228
sich nicht auf § 223a, Abs. II bezieht -- soll
nicht die Absicht des Gesetzgebers völlig ver¬
eitelt werden.

Dr. Kurt Peschk
Philosophie

In unermüdlichem Schaffen hat der greise
Wilhelm Wunde sechs Abhandlungen, die bis
auf eine bereits früher in Zeitschriften und

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Grenzboten III 191224
Maßgebliches und Unmaßgebliches

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ehelichen Mutter — ein unverhältnismäßig
großer Teil der Mißhandelten ist illegitimer
Herkunft — der Haß des späteren Ehegatten
gegen das Vorleben der Frau, grausame
Gelüste, durch Alkoholismus gesteigert, sind
daneben nicht zu gering einzuschätzen.

Eine borbeugende soziale Gesetzgebung
kann hier allein wenig und nur allmählich
Besserung wirken; hier sind die repressiven
Mittel des Staates, vor allem die Kriminal-
strafe, angebracht.

In Deutschland hatte nun einmal das
Strafrecht gegen die Kindermißhandlungen
fast völlig versagt. Das Gesetzbuch unter¬
scheidet einfache, gefährliche und schwereKörPer-
verletzung. Das letzte hier nicht weiter inter¬
essierende Delikt setzt Verlust eines wichtigen
Sinneswerkzeuges oder eine andere schwere
Folge voraus, das zweite muß begangen
werden mittels einer das Leben gefährdenden
Behandlung oder eines gefährlichen Werk¬
zeuges, insbesondere eines Messers oder einer
sonstigen Waffe. Einem Kinde gegenüber
sind aber diese juristischen Begriffe gar nicht
recht brauchbar: wird daS Kind zu Boden
geworfen oder an den heißen Herd gestoßen,
wird es bis zur Erschöpfung des Täters mit
einem Riemen geschlagen, so kann diese vom
Gericht als „einfach" zu beurteilende Mi߬
handlung viel gefährlichere Wirkungen haben,
als wenn sich der Täter eines Stockes oder
Ausklopfers bedient. Sieht aber das Gericht
in der Handlung nur eine „einfache" Körper¬
verletzung verwirklicht, so muß fast immer
das Verfahren eingestellt werden, da der er¬
forderliche Strafantrag fehlt. Den Straf¬
antrag aber kann für eine Person unter
achtzehn Jahren nur der gesetzliche Vertreter
stellen. Der Vater wird sich natürlich nicht
selbst denunzieren und wird auch dann, wenn
die Mutter die Täterin ist, zur Anzeige selten
zu bewegen sein. Der typische Vormund
aber Pflegt bei seinen jährlichen Besuchen von
Mißhandlungen seines Mündels nichts zu be¬
merken.

Die Novelle verlegt also das Gewicht von
der äußerlichen Art der Handlung weg auf
die Gesinnung des Täters. Wer ein Kind
grausam oder boshaft, gleichviel mit welchen
Mitteln, mißhandelt; wird von Amts wegen
verfolgt.

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Daß diese so lang entbehrte Änderung
dem Lehrerstande bedrohlich werden könnte,
auf diese Idee sollte man nicht kommen.
Gleichwohl haben Pädagogen in einer solchen
Vorschrift eine Verkümmerung ihres Züchti¬
gungsrechtes gewittert. Nun mag man über
dieses Recht denken wie man will — daß
Grausamkeit oder Bosheit die erzieherische
Absicht ausschließen, sollte doch Wohl klar
sein. Diese Charaktereigenschaften aber leuchten
aus der Tat so Wohl erkennbar hervor, daß
hier zu weite und zu strenge Auslegung des
Gesetzes schwer denkbar ist. Auch künftighin
wird nicht jede Überschreitung des Züchtigungs¬
rechtes nach Z 223 s, Abs. II, geahndet werden

Und überhaupt wird man von unseren
Gerichten eine drakonische Justiz auf diesem
Gebiete nicht zu gewärtigen haben. Dies war
nämlich der zweite Welstcmd, der die Reform
herbeirief: die unverständlich milde Beurteilung
dieser Fülle durch unsere Gerichte. DaS öffent¬
liche Rechtsbewußtsein ist so oft durch die
Zeitungen hierauf hingelenkt worden, daß es
weiterer Ausführungen nicht bedarf. Die
Richter wollten offenbar der elterlichen Auto¬
rität durch ihren Spruch keinen Abbruch tun.

Leider muß man nun hier zu den: Schlüsse
kommen, daß die Novelle diesem Mangel nicht
in gründlicher Weise abhilft. In erster Linie
ist zwar Gefängnis von zwei Monaten bis
zu fünf Jahren angedroht; aber der Z 2L8,
der ja auch für den hinzugefügten neuen
Absatz des § 223 a gilt, läßt bei mildernden
Umständen geringere Gefängnisstrafe und sogar
Geldstrafe zu. Wie in Grausamkeit und Bos¬
heit mildernde Umstände gefunden werden
können, dieses Problem muß man dem Richter
überlassen. Hoffentlich löst er es nicht in
dem Sinne, daß er in jeder psychologisch er¬
klärbaren Handlung eine ethische Entschuldigung
sieht. Sonst müßte schleunigst die Novelle
weiter dahin abgeändert werden, daß Z 228
sich nicht auf § 223a, Abs. II bezieht — soll
nicht die Absicht des Gesetzgebers völlig ver¬
eitelt werden.

Dr. Kurt Peschk
Philosophie

In unermüdlichem Schaffen hat der greise
Wilhelm Wunde sechs Abhandlungen, die bis
auf eine bereits früher in Zeitschriften und

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[0197] Maßgebliches und Unmaßgebliches ehelichen Mutter — ein unverhältnismäßig großer Teil der Mißhandelten ist illegitimer Herkunft — der Haß des späteren Ehegatten gegen das Vorleben der Frau, grausame Gelüste, durch Alkoholismus gesteigert, sind daneben nicht zu gering einzuschätzen. Eine borbeugende soziale Gesetzgebung kann hier allein wenig und nur allmählich Besserung wirken; hier sind die repressiven Mittel des Staates, vor allem die Kriminal- strafe, angebracht. In Deutschland hatte nun einmal das Strafrecht gegen die Kindermißhandlungen fast völlig versagt. Das Gesetzbuch unter¬ scheidet einfache, gefährliche und schwereKörPer- verletzung. Das letzte hier nicht weiter inter¬ essierende Delikt setzt Verlust eines wichtigen Sinneswerkzeuges oder eine andere schwere Folge voraus, das zweite muß begangen werden mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung oder eines gefährlichen Werk¬ zeuges, insbesondere eines Messers oder einer sonstigen Waffe. Einem Kinde gegenüber sind aber diese juristischen Begriffe gar nicht recht brauchbar: wird daS Kind zu Boden geworfen oder an den heißen Herd gestoßen, wird es bis zur Erschöpfung des Täters mit einem Riemen geschlagen, so kann diese vom Gericht als „einfach" zu beurteilende Mi߬ handlung viel gefährlichere Wirkungen haben, als wenn sich der Täter eines Stockes oder Ausklopfers bedient. Sieht aber das Gericht in der Handlung nur eine „einfache" Körper¬ verletzung verwirklicht, so muß fast immer das Verfahren eingestellt werden, da der er¬ forderliche Strafantrag fehlt. Den Straf¬ antrag aber kann für eine Person unter achtzehn Jahren nur der gesetzliche Vertreter stellen. Der Vater wird sich natürlich nicht selbst denunzieren und wird auch dann, wenn die Mutter die Täterin ist, zur Anzeige selten zu bewegen sein. Der typische Vormund aber Pflegt bei seinen jährlichen Besuchen von Mißhandlungen seines Mündels nichts zu be¬ merken. Die Novelle verlegt also das Gewicht von der äußerlichen Art der Handlung weg auf die Gesinnung des Täters. Wer ein Kind grausam oder boshaft, gleichviel mit welchen Mitteln, mißhandelt; wird von Amts wegen verfolgt. Daß diese so lang entbehrte Änderung dem Lehrerstande bedrohlich werden könnte, auf diese Idee sollte man nicht kommen. Gleichwohl haben Pädagogen in einer solchen Vorschrift eine Verkümmerung ihres Züchti¬ gungsrechtes gewittert. Nun mag man über dieses Recht denken wie man will — daß Grausamkeit oder Bosheit die erzieherische Absicht ausschließen, sollte doch Wohl klar sein. Diese Charaktereigenschaften aber leuchten aus der Tat so Wohl erkennbar hervor, daß hier zu weite und zu strenge Auslegung des Gesetzes schwer denkbar ist. Auch künftighin wird nicht jede Überschreitung des Züchtigungs¬ rechtes nach Z 223 s, Abs. II, geahndet werden Und überhaupt wird man von unseren Gerichten eine drakonische Justiz auf diesem Gebiete nicht zu gewärtigen haben. Dies war nämlich der zweite Welstcmd, der die Reform herbeirief: die unverständlich milde Beurteilung dieser Fülle durch unsere Gerichte. DaS öffent¬ liche Rechtsbewußtsein ist so oft durch die Zeitungen hierauf hingelenkt worden, daß es weiterer Ausführungen nicht bedarf. Die Richter wollten offenbar der elterlichen Auto¬ rität durch ihren Spruch keinen Abbruch tun. Leider muß man nun hier zu den: Schlüsse kommen, daß die Novelle diesem Mangel nicht in gründlicher Weise abhilft. In erster Linie ist zwar Gefängnis von zwei Monaten bis zu fünf Jahren angedroht; aber der Z 2L8, der ja auch für den hinzugefügten neuen Absatz des § 223 a gilt, läßt bei mildernden Umständen geringere Gefängnisstrafe und sogar Geldstrafe zu. Wie in Grausamkeit und Bos¬ heit mildernde Umstände gefunden werden können, dieses Problem muß man dem Richter überlassen. Hoffentlich löst er es nicht in dem Sinne, daß er in jeder psychologisch er¬ klärbaren Handlung eine ethische Entschuldigung sieht. Sonst müßte schleunigst die Novelle weiter dahin abgeändert werden, daß Z 228 sich nicht auf § 223a, Abs. II bezieht — soll nicht die Absicht des Gesetzgebers völlig ver¬ eitelt werden. Dr. Kurt Peschk Philosophie In unermüdlichem Schaffen hat der greise Wilhelm Wunde sechs Abhandlungen, die bis auf eine bereits früher in Zeitschriften und Grenzboten III 191224

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/197>, abgerufen am 05.05.2024.