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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Der gegenwärtige Stand der Alkoholforschung

politischen Grenzen ausgelöscht, so bilden die Polen von selbst wieder ein nicht
kleines, begabtes Volk, an dem Europa Freude erleben würde. Heute verbietet
man ihnen, polnische Schulen zu haben; aber sicherlich hätte Europa im ganzen
von echt polnischen Polen mehr Gewinn als von diesen Halbdeutschen und Halb¬
russen, die ihre Kräfte in unfruchtbarem Haß aufreiben.

Man widersteht schwer dem Reiz, dieses Bild eines Gesamteuropa weiter
auszumalen. Nur das sei noch bemerkt: in diesem Europa wäre vielleicht auch
ein Platz für das Volk der Juden, wo sie nichts zu sein brauchten als Juden
(wie ihre Feinde wollen), und sie zugleich das Recht hätten, Europäer zu sein
(wie es ihr eigener Stolz verlangt).

Man spricht so viel vom ewigen Weltfrieden. Mag es damit wie immer
bestellt sein: der europäische Friede ist gewiß kein Hirngespinst, sondern er muß
und wird einmal verwirklicht werden. Ob dann diesem Europa ein ebenbürtiges
Asien als Freund oder Feind entgegentritt und wem von beiden die Welt
gehört, muß die Zukunft lehren.

Inzwischen wird man solche Gedankengänge als Phantasterei abtun wollen.
Und freilich, das von uns gezeichnete Europa gibt es nirgends. Es ist weniger,
aber auch mehr als Wirklichkeit: nämlich ein Ideal. Aber der Einsichtige weiß
längst, daß Ideen lebendiger sind und mehr wirken als alle sogenannten
Wirklichkeiten.




Der gegenwärtige Stand der Alkoholforschung
Ferdinand Goebel von

le Alkoholfrage ist in den letzten Jahren in die erste Reihe der
sozialen Fragen eingerückt. Staats-, Provinzial- und Gemeinde¬
behörden, Gesetzgebungs- und Verwaltungsorgane, Vertreter der
Wissenschaft und des praktischen Lebens aus allen Parteien, Be¬
rufen und Konfessionen bemühen sich gemeinsam um ihre Lösung.
Überall, wo sich der Alkoholismus mit seinen verderblichen Einwirkungen auf
Volksgesundheit, Volkswohlstand und Volkssittlichkeit zeigt, wird geforscht und
gearbeitet, um die Zusammenhänge aufzudecken und die Notstände zu beseitigen.

Diese rüstige Arbeit hat vieles zur Erkenntnis der Alkoholfrage beigetragen
und den Alkoholgegnern ein Arsenal von Waffen geliefert, das von diesen bei
ihrer Aufklärungsarbeit rege benutzt wird. In erster Linie sind es die großen
im Kampfe gegen den Alkoholismus stehenden Organisationen, vor allen wohl
der Deutsche Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke, die es sich


Der gegenwärtige Stand der Alkoholforschung

politischen Grenzen ausgelöscht, so bilden die Polen von selbst wieder ein nicht
kleines, begabtes Volk, an dem Europa Freude erleben würde. Heute verbietet
man ihnen, polnische Schulen zu haben; aber sicherlich hätte Europa im ganzen
von echt polnischen Polen mehr Gewinn als von diesen Halbdeutschen und Halb¬
russen, die ihre Kräfte in unfruchtbarem Haß aufreiben.

Man widersteht schwer dem Reiz, dieses Bild eines Gesamteuropa weiter
auszumalen. Nur das sei noch bemerkt: in diesem Europa wäre vielleicht auch
ein Platz für das Volk der Juden, wo sie nichts zu sein brauchten als Juden
(wie ihre Feinde wollen), und sie zugleich das Recht hätten, Europäer zu sein
(wie es ihr eigener Stolz verlangt).

Man spricht so viel vom ewigen Weltfrieden. Mag es damit wie immer
bestellt sein: der europäische Friede ist gewiß kein Hirngespinst, sondern er muß
und wird einmal verwirklicht werden. Ob dann diesem Europa ein ebenbürtiges
Asien als Freund oder Feind entgegentritt und wem von beiden die Welt
gehört, muß die Zukunft lehren.

Inzwischen wird man solche Gedankengänge als Phantasterei abtun wollen.
Und freilich, das von uns gezeichnete Europa gibt es nirgends. Es ist weniger,
aber auch mehr als Wirklichkeit: nämlich ein Ideal. Aber der Einsichtige weiß
längst, daß Ideen lebendiger sind und mehr wirken als alle sogenannten
Wirklichkeiten.




Der gegenwärtige Stand der Alkoholforschung
Ferdinand Goebel von

le Alkoholfrage ist in den letzten Jahren in die erste Reihe der
sozialen Fragen eingerückt. Staats-, Provinzial- und Gemeinde¬
behörden, Gesetzgebungs- und Verwaltungsorgane, Vertreter der
Wissenschaft und des praktischen Lebens aus allen Parteien, Be¬
rufen und Konfessionen bemühen sich gemeinsam um ihre Lösung.
Überall, wo sich der Alkoholismus mit seinen verderblichen Einwirkungen auf
Volksgesundheit, Volkswohlstand und Volkssittlichkeit zeigt, wird geforscht und
gearbeitet, um die Zusammenhänge aufzudecken und die Notstände zu beseitigen.

Diese rüstige Arbeit hat vieles zur Erkenntnis der Alkoholfrage beigetragen
und den Alkoholgegnern ein Arsenal von Waffen geliefert, das von diesen bei
ihrer Aufklärungsarbeit rege benutzt wird. In erster Linie sind es die großen
im Kampfe gegen den Alkoholismus stehenden Organisationen, vor allen wohl
der Deutsche Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke, die es sich


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[0276] Der gegenwärtige Stand der Alkoholforschung politischen Grenzen ausgelöscht, so bilden die Polen von selbst wieder ein nicht kleines, begabtes Volk, an dem Europa Freude erleben würde. Heute verbietet man ihnen, polnische Schulen zu haben; aber sicherlich hätte Europa im ganzen von echt polnischen Polen mehr Gewinn als von diesen Halbdeutschen und Halb¬ russen, die ihre Kräfte in unfruchtbarem Haß aufreiben. Man widersteht schwer dem Reiz, dieses Bild eines Gesamteuropa weiter auszumalen. Nur das sei noch bemerkt: in diesem Europa wäre vielleicht auch ein Platz für das Volk der Juden, wo sie nichts zu sein brauchten als Juden (wie ihre Feinde wollen), und sie zugleich das Recht hätten, Europäer zu sein (wie es ihr eigener Stolz verlangt). Man spricht so viel vom ewigen Weltfrieden. Mag es damit wie immer bestellt sein: der europäische Friede ist gewiß kein Hirngespinst, sondern er muß und wird einmal verwirklicht werden. Ob dann diesem Europa ein ebenbürtiges Asien als Freund oder Feind entgegentritt und wem von beiden die Welt gehört, muß die Zukunft lehren. Inzwischen wird man solche Gedankengänge als Phantasterei abtun wollen. Und freilich, das von uns gezeichnete Europa gibt es nirgends. Es ist weniger, aber auch mehr als Wirklichkeit: nämlich ein Ideal. Aber der Einsichtige weiß längst, daß Ideen lebendiger sind und mehr wirken als alle sogenannten Wirklichkeiten. Der gegenwärtige Stand der Alkoholforschung Ferdinand Goebel von le Alkoholfrage ist in den letzten Jahren in die erste Reihe der sozialen Fragen eingerückt. Staats-, Provinzial- und Gemeinde¬ behörden, Gesetzgebungs- und Verwaltungsorgane, Vertreter der Wissenschaft und des praktischen Lebens aus allen Parteien, Be¬ rufen und Konfessionen bemühen sich gemeinsam um ihre Lösung. Überall, wo sich der Alkoholismus mit seinen verderblichen Einwirkungen auf Volksgesundheit, Volkswohlstand und Volkssittlichkeit zeigt, wird geforscht und gearbeitet, um die Zusammenhänge aufzudecken und die Notstände zu beseitigen. Diese rüstige Arbeit hat vieles zur Erkenntnis der Alkoholfrage beigetragen und den Alkoholgegnern ein Arsenal von Waffen geliefert, das von diesen bei ihrer Aufklärungsarbeit rege benutzt wird. In erster Linie sind es die großen im Kampfe gegen den Alkoholismus stehenden Organisationen, vor allen wohl der Deutsche Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke, die es sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/276>, abgerufen am 05.05.2024.