Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr."Du willst stärker sein als seine Mutter gewesen ist --" Der Florentin trat durch die Pforte in den Garten und strauchelte noch (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Sozialpolitik Soziale Pathologie. Nachdem Priester vermochten nur vorübergehend den Einfluß Das Bild der eben angedeuteten Ent¬ „Du willst stärker sein als seine Mutter gewesen ist —" Der Florentin trat durch die Pforte in den Garten und strauchelte noch (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Sozialpolitik Soziale Pathologie. Nachdem Priester vermochten nur vorübergehend den Einfluß Das Bild der eben angedeuteten Ent¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0289" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322036"/> <p xml:id="ID_1200"> „Du willst stärker sein als seine Mutter gewesen ist —"</p><lb/> <p xml:id="ID_1201"> Der Florentin trat durch die Pforte in den Garten und strauchelte noch<lb/> mal auf der Treppe zum Haus. Wieschen griff nach dem Schlüssel, der auf<lb/> dem Tisch lag. sie nahm ihn, war mit einem Sprung an der Tür, wäre mit<lb/> einem zweiten im Flur und mit einem dritten und ein paar letzten in ihrer<lb/> Kammer gewesen, aber sie zögerte an der Tür, das Bild seiner Mutter lächelte<lb/> sie an, und sie wich langsam zurück in die Stube bis gegen das Fenster. Sie<lb/> wollte sich aufraffen und bewegte die Arme, um sie dem Geliebten um den<lb/> Hals zu legen, wenn er eintrat und auf sie zukam, doch ihr war, das Eisen des<lb/> Schlüssels zerfließe in ihrer Hand, dringe in ihre Adern und gehe mit ihrem<lb/> Blute in ihrem Körper um. Sie war schwer und steif mit dem Kopf, in welchem<lb/> ihr die Gedanken wie Steine lagen, die, wenn sie sich bewegte, gegen ihre<lb/> Stirn schlugen, und war schwer und steif mit dem Blut, welches ihr wie Eisen<lb/> durch die Glieder floß. Der Geliebte würde die Braut nicht so finden wollen<lb/> mit diesem Blut wie Eisen, Da rührte sie sich, wie um sich von sich selbst zu<lb/> befreien, aber sie sank nur zurück gegen die Fensterbank und verharrte in dieser<lb/> Stellung. Sie stand mit ihrem weißen Kleid, dem weißen Gesicht und in<lb/> kühler ferner Haltung wie eine Eisblume in das Fenster gefroren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1202"> (Fortsetzung folgt)</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <cb type="start"/> <div n="2"> <head> Sozialpolitik</head> <p xml:id="ID_1203" next="#ID_1204"> Soziale Pathologie. Nachdem Priester<lb/> und Medizinmann auf einer gewissen Kultur¬<lb/> stufe die Personalunion aufgegeben hatten,<lb/> durch die die Völker angeleitet und beherrscht<lb/> worden waren, hat sich eine Hegemonie der<lb/> Priester herausgebildet. Erst allmählich und<lb/> dann mit argwöhnischein Erstaunen kamen<lb/> die Oligarchen zur Erkenntnis, wie ihre Werk¬<lb/> zeuge Schritt für Schritt sich die Waffen an¬<lb/> eigneten, die sie befähigten, den Einfluß des<lb/> Priesters unbewußt und bewußt zurückzu¬<lb/> drängen. Der Kampf, den die Kirche gleichsam<lb/> als Standesorganisation der Priester gegen<lb/> den einzelnen unorganisierten Medizinmann<lb/> als Träger der Aufklärung Jahrhunderte<lb/> hindurch geführt hat, vermochte sein Bor¬<lb/> dringen nicht aufzuhalten. Die Versuche<lb/> kenntnisreicher Kirchenfürsten, die Naturwissen¬<lb/> schaft durch Anerkennung ihrer Bedeutung für<lb/> die Menschheit der Kirche nutzbar zu machen,</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_1204" prev="#ID_1203"> vermochten nur vorübergehend den Einfluß<lb/> der Priesterschaft wieder zu festigen. Die<lb/> Anerkennung der wissenschaftlichen Forschung<lb/> ist vor allem dem Medizinmann zugute ge¬<lb/> kommen und wir stehen heute vor dem er¬<lb/> habenen Schauspiel, ihn, der vor noch gar nicht<lb/> langer Zeit als Zauberer verbrannt werden<lb/> konnte, in seiner Eigenschaft als Arzt nach<lb/> den Zügeln greifen zu sehen, mit denen die<lb/> Priester, unterstützt von den staatlichen Juristen,<lb/> noch heute versuchen, die Völker im Zaume zu<lb/> halten.</p> <p xml:id="ID_1205" next="#ID_1206"> Das Bild der eben angedeuteten Ent¬<lb/> wicklung schiebt sich vor unser geistiges<lb/> Auge beim Blättern in Alfred Grotjahns<lb/> „Soziale Pathologie". (Berlin 1912, Ver¬<lb/> lag von August Hirschwald, XI und 691 S.<lb/> Preis 18.- M.) Es handelt sich in dem<lb/> Werk, wie der Autor selbst sagt, um den „Ver¬<lb/> such einer Lehre von den sozialen Beziehungen<lb/> der menschlichen Krankheiten als Grund¬<lb/> lage der sozialen Medizin und der sozialen</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0289]
„Du willst stärker sein als seine Mutter gewesen ist —"
Der Florentin trat durch die Pforte in den Garten und strauchelte noch
mal auf der Treppe zum Haus. Wieschen griff nach dem Schlüssel, der auf
dem Tisch lag. sie nahm ihn, war mit einem Sprung an der Tür, wäre mit
einem zweiten im Flur und mit einem dritten und ein paar letzten in ihrer
Kammer gewesen, aber sie zögerte an der Tür, das Bild seiner Mutter lächelte
sie an, und sie wich langsam zurück in die Stube bis gegen das Fenster. Sie
wollte sich aufraffen und bewegte die Arme, um sie dem Geliebten um den
Hals zu legen, wenn er eintrat und auf sie zukam, doch ihr war, das Eisen des
Schlüssels zerfließe in ihrer Hand, dringe in ihre Adern und gehe mit ihrem
Blute in ihrem Körper um. Sie war schwer und steif mit dem Kopf, in welchem
ihr die Gedanken wie Steine lagen, die, wenn sie sich bewegte, gegen ihre
Stirn schlugen, und war schwer und steif mit dem Blut, welches ihr wie Eisen
durch die Glieder floß. Der Geliebte würde die Braut nicht so finden wollen
mit diesem Blut wie Eisen, Da rührte sie sich, wie um sich von sich selbst zu
befreien, aber sie sank nur zurück gegen die Fensterbank und verharrte in dieser
Stellung. Sie stand mit ihrem weißen Kleid, dem weißen Gesicht und in
kühler ferner Haltung wie eine Eisblume in das Fenster gefroren.
(Fortsetzung folgt)
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Sozialpolitik Soziale Pathologie. Nachdem Priester
und Medizinmann auf einer gewissen Kultur¬
stufe die Personalunion aufgegeben hatten,
durch die die Völker angeleitet und beherrscht
worden waren, hat sich eine Hegemonie der
Priester herausgebildet. Erst allmählich und
dann mit argwöhnischein Erstaunen kamen
die Oligarchen zur Erkenntnis, wie ihre Werk¬
zeuge Schritt für Schritt sich die Waffen an¬
eigneten, die sie befähigten, den Einfluß des
Priesters unbewußt und bewußt zurückzu¬
drängen. Der Kampf, den die Kirche gleichsam
als Standesorganisation der Priester gegen
den einzelnen unorganisierten Medizinmann
als Träger der Aufklärung Jahrhunderte
hindurch geführt hat, vermochte sein Bor¬
dringen nicht aufzuhalten. Die Versuche
kenntnisreicher Kirchenfürsten, die Naturwissen¬
schaft durch Anerkennung ihrer Bedeutung für
die Menschheit der Kirche nutzbar zu machen,
vermochten nur vorübergehend den Einfluß
der Priesterschaft wieder zu festigen. Die
Anerkennung der wissenschaftlichen Forschung
ist vor allem dem Medizinmann zugute ge¬
kommen und wir stehen heute vor dem er¬
habenen Schauspiel, ihn, der vor noch gar nicht
langer Zeit als Zauberer verbrannt werden
konnte, in seiner Eigenschaft als Arzt nach
den Zügeln greifen zu sehen, mit denen die
Priester, unterstützt von den staatlichen Juristen,
noch heute versuchen, die Völker im Zaume zu
halten.
Das Bild der eben angedeuteten Ent¬
wicklung schiebt sich vor unser geistiges
Auge beim Blättern in Alfred Grotjahns
„Soziale Pathologie". (Berlin 1912, Ver¬
lag von August Hirschwald, XI und 691 S.
Preis 18.- M.) Es handelt sich in dem
Werk, wie der Autor selbst sagt, um den „Ver¬
such einer Lehre von den sozialen Beziehungen
der menschlichen Krankheiten als Grund¬
lage der sozialen Medizin und der sozialen
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