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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die "Hertha" oder ein anderer Ostsee¬
dampfer kommt an. Lange vorher stehen die
Reisenden, die aussteigen wollen, zum Teil
mit Gepäck in den engen Gängen des Schiffs
und drängen nach der Stelle zu, wo aus¬
gestiegen wird. Die Landungsbrücke wird
sichtbar, eine fieberhafte Unruhe bemächtigt
sich der Menschen. Endlich wird der Steg
angeschoben. Nun aber gilt's I Vorwärts!
Und aus dem Schiffsleib quillt die Masse
heraus. Draußen aber steht schon die gleiche
Masse und will hinein. Daß natürlich der
Teil der Brücke, wo dieser Vorgang sich
täglich mehrfach abspielt, mehr abgenutzt wird
wie jeder andere, ist klar, ebenso das; eine
stetig sich wiederholende stärkere Belastung
dieser Stelle eintritt. Ob man in Binz diese
Erwägungen außer acht gelassen hat, kann
hier nicht festgestellt werden, Wohl aber liegt
die Möglichkeit vor, daß diese Zeilen die
maßgebenden Behörden angesichts des schreck¬
lichen Unglücks zu einer Änderung der an
der Ostsee eingebürgerten drangvollen Ver¬
kehrsordnung veranlassen. Es könnte bestimmt
werden, daß mindestens zwei Stege an das
Schiff geschoben würden. Die Entleerung
würde schneller vor sich gehen, das Drängen
würde vermindert. Es könnte angeordnet
werden, daß die Ab- und Zugehenden sich
nicht begegneten. Das Abnehmen der Fahr¬
karten könnte an einer geeigneten Stelle auf
dem Schiff selbst -- nicht am Landungssteg
-- erfolgen.

Vielleicht geben diese Vorschläge Veran¬
lassung zu weiterem Durchdenken der so
überaus wichtigen Sache und zu baldiger
Abstellung der Übelstände. Die an unserer
schönen Ostsee oft von schwerer Arbeit Er¬
holung suchenden Menschen würden dankbar
Dr. G. sein.


Adel und Bolkspflichtcn.

Die Angriffe auf
den Adel haben sich in der Gegenwart sehr ge¬
mehrt. Sie sind häufig nicht das Ergebnis von
Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern vielmehr
oft einer sozialen oder politischen Gegnerschaft
entsprungen. Andererseits muß aber auch zu¬
gegeben werden, daß die Fälle und Erschei¬
nungen, welche berechtigter Weise Bedenken
erregen und Tadel verdienen, zugenommen
haben, wenngleich auch teilweise wieder nur


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die „Hertha" oder ein anderer Ostsee¬
dampfer kommt an. Lange vorher stehen die
Reisenden, die aussteigen wollen, zum Teil
mit Gepäck in den engen Gängen des Schiffs
und drängen nach der Stelle zu, wo aus¬
gestiegen wird. Die Landungsbrücke wird
sichtbar, eine fieberhafte Unruhe bemächtigt
sich der Menschen. Endlich wird der Steg
angeschoben. Nun aber gilt's I Vorwärts!
Und aus dem Schiffsleib quillt die Masse
heraus. Draußen aber steht schon die gleiche
Masse und will hinein. Daß natürlich der
Teil der Brücke, wo dieser Vorgang sich
täglich mehrfach abspielt, mehr abgenutzt wird
wie jeder andere, ist klar, ebenso das; eine
stetig sich wiederholende stärkere Belastung
dieser Stelle eintritt. Ob man in Binz diese
Erwägungen außer acht gelassen hat, kann
hier nicht festgestellt werden, Wohl aber liegt
die Möglichkeit vor, daß diese Zeilen die
maßgebenden Behörden angesichts des schreck¬
lichen Unglücks zu einer Änderung der an
der Ostsee eingebürgerten drangvollen Ver¬
kehrsordnung veranlassen. Es könnte bestimmt
werden, daß mindestens zwei Stege an das
Schiff geschoben würden. Die Entleerung
würde schneller vor sich gehen, das Drängen
würde vermindert. Es könnte angeordnet
werden, daß die Ab- und Zugehenden sich
nicht begegneten. Das Abnehmen der Fahr¬
karten könnte an einer geeigneten Stelle auf
dem Schiff selbst — nicht am Landungssteg
— erfolgen.

Vielleicht geben diese Vorschläge Veran¬
lassung zu weiterem Durchdenken der so
überaus wichtigen Sache und zu baldiger
Abstellung der Übelstände. Die an unserer
schönen Ostsee oft von schwerer Arbeit Er¬
holung suchenden Menschen würden dankbar
Dr. G. sein.


Adel und Bolkspflichtcn.

Die Angriffe auf
den Adel haben sich in der Gegenwart sehr ge¬
mehrt. Sie sind häufig nicht das Ergebnis von
Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern vielmehr
oft einer sozialen oder politischen Gegnerschaft
entsprungen. Andererseits muß aber auch zu¬
gegeben werden, daß die Fälle und Erschei¬
nungen, welche berechtigter Weise Bedenken
erregen und Tadel verdienen, zugenommen
haben, wenngleich auch teilweise wieder nur


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[0295] Maßgebliches und Unmaßgebliches Die „Hertha" oder ein anderer Ostsee¬ dampfer kommt an. Lange vorher stehen die Reisenden, die aussteigen wollen, zum Teil mit Gepäck in den engen Gängen des Schiffs und drängen nach der Stelle zu, wo aus¬ gestiegen wird. Die Landungsbrücke wird sichtbar, eine fieberhafte Unruhe bemächtigt sich der Menschen. Endlich wird der Steg angeschoben. Nun aber gilt's I Vorwärts! Und aus dem Schiffsleib quillt die Masse heraus. Draußen aber steht schon die gleiche Masse und will hinein. Daß natürlich der Teil der Brücke, wo dieser Vorgang sich täglich mehrfach abspielt, mehr abgenutzt wird wie jeder andere, ist klar, ebenso das; eine stetig sich wiederholende stärkere Belastung dieser Stelle eintritt. Ob man in Binz diese Erwägungen außer acht gelassen hat, kann hier nicht festgestellt werden, Wohl aber liegt die Möglichkeit vor, daß diese Zeilen die maßgebenden Behörden angesichts des schreck¬ lichen Unglücks zu einer Änderung der an der Ostsee eingebürgerten drangvollen Ver¬ kehrsordnung veranlassen. Es könnte bestimmt werden, daß mindestens zwei Stege an das Schiff geschoben würden. Die Entleerung würde schneller vor sich gehen, das Drängen würde vermindert. Es könnte angeordnet werden, daß die Ab- und Zugehenden sich nicht begegneten. Das Abnehmen der Fahr¬ karten könnte an einer geeigneten Stelle auf dem Schiff selbst — nicht am Landungssteg — erfolgen. Vielleicht geben diese Vorschläge Veran¬ lassung zu weiterem Durchdenken der so überaus wichtigen Sache und zu baldiger Abstellung der Übelstände. Die an unserer schönen Ostsee oft von schwerer Arbeit Er¬ holung suchenden Menschen würden dankbar Dr. G. sein. Adel und Bolkspflichtcn. Die Angriffe auf den Adel haben sich in der Gegenwart sehr ge¬ mehrt. Sie sind häufig nicht das Ergebnis von Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern vielmehr oft einer sozialen oder politischen Gegnerschaft entsprungen. Andererseits muß aber auch zu¬ gegeben werden, daß die Fälle und Erschei¬ nungen, welche berechtigter Weise Bedenken erregen und Tadel verdienen, zugenommen haben, wenngleich auch teilweise wieder nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/295>, abgerufen am 05.05.2024.