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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

diesem ganzen Land ein Jeglicher auf eine
oder andre Art mit Israel vorwandt" ....

Ich kann es nach allem Vorstehenden dem
Leser getrost überlassen, sich selbst ein Urteil
darüber zu bilden, ob ich mit meinem ander¬
weit gefällten Urteile, "die antisemitische
Tendenz trete überall in der aufdringlichsten
Weise zutage" und man könne "da wirklich
nur noch von Brunnenvergiftung sprechen",
dem "Redaktionskomitee" des "Semigotha"
Unrecht getan habe.

Dr. Stephan Kckulc von Strcidonitz
Buchbesprechungen
K. O. Melusina. Spinoza und sein Kreis.
Historisch-kritische Studien über holländische
Freigeister. Berlin. Karl Schnabel. 1909.

Das 1894 erschienene holländische Werk ist
jetzt von Lina Schneider ohne zwingenden
Grund verdeutscht. Das Buch hat lediglich
biographisch-historische Tendenz. Nach einigen
Skizzen von Freigeistern aus der Zeit von
Spinoza, Hermann van Nijswijck, Coornhert,
Robbertz le Carn, einem Blick in die Rabbiner¬
schule zu Amsterdam, und auf das Schicksal
Uriel da Costas, macht sich Melusina daran, die
Resultate des Spinozabiographen van Violen,
seines Landsmanns, zu erweitern und zu
korrigieren. Es handelt sich jedoch nur um
Feststellung von Quisguilien, zumeist auf
Grund archivalischer Einzelforschung. Dadurch
wird das Lebensbild Spinozas und seiner
Freunde keineswegs sonderlich verschoben, noch
werden neue psychologische Beziehungen ge¬
funden. Jedoch gibt sich das Buch, mit be¬
ständiger Beziehung auf die längst bekannten
Briefe Spinozas, als eine neue Biographie,
deren Mangel an darstellerischer Kraft zu¬
gunsten einer geradezu kleinstädtischen Be¬
haglichkeit enttäuscht.

Dr. Wilhelm Böhm-
Streifzüge durch das nordamerikanische
Wirtschaftsleben. Von Dr. Ernst Schulhe-
Großborstel. Halle, Verlag der Buchhandlung
des Waisenhauses. Preis 5 M.

Je mehr sich unser deutsches Wirtschafts¬
leben industrialisiert und sich in seiner Struktur
dem der Vereinigten Staaten nähert, desto
mehr Veranlassung haben wir, uns das
amerikanische Wirtschaftsleben genauer an¬

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zusehen und zu prüfen, wohin der Weg bei
solch riesenhafter und überhitzter Entwicklung
führt, welche Vorzüge eine derartige Ge¬
staltung besitzt, und vor allem auch, welche
Gebrechen und Mängel sie in sich schließt
oder im Gefolge hat. Es gab eine Zeit, in
der man in Deutschland jene gigantische Ent¬
wicklung nicht genug bewundern und preisen
konnte, in der man von dem Lande der un¬
begrenzten wirtschaftlichen Möglichkeiten in
allen Tonarten schwärmte und vor der Mcissen-
haftigkeit und dem zahlenmäßig Großen, in
dem alles dort drüben in die Erscheinung
tritt, förmlich in Ehrfurcht erstarb. Heute
sind wir von dieser kritiklosen Bewunderung
einigermaßen geheilt. Eine ganzeReihe gründ¬
licher Kenner des Landes, unter ihnen der
Verfasser des vorliegenden Buches, hat diesen
Umschwung der Ansichten herbeigeführt.

Schon in seinen kulturgeschichtlichen Streif¬
zügen "Aus demi Werden und Wachsen der
Vereinigten Staaten" hat Ernst Schultze mit
scharfem Blicke mancherlei Schäden erkannt
und an sie die kritische Sonde gelegt. Diese
sezierende Arbeit setzt er nun in seinem neuen
Buche fort, und zwar sind eS diesmal Ein¬
drücke vornehmlich aus dem mittleren Westen
und den Küstenstaaten des Stillen Ozeans,
die er zu einheitlichen Bildern verwoben hat.
In den beiden ersten Kapiteln führt er uns
zwei amerikanische Unternehmertypen mit allen
ihren Vorzügen und Schwächen vor Augen.
Der eine davon ist der 1909 verstorbene
Harriman, der König des nordamerikanischen
Eisenbahnwesens. Aus ärmlichen Verhält¬
nissen hatte sich dieser Selfmademan durch
kühne Eisenbahnspekulationen zu einem der
einflußreichsten Männer in den Vereinigten
Staaten emporgearbeitet: als Besitzer von
mehr als einem Drittel der nordamerikanischen
Schienenwege und Mitglied oder Vorsitzender
im Direktorium von einundvierzig der wich¬
tigsten Industrie- oder Versicherungsgesell¬
schaften und Banken ist er gestorben. In der
Bankwelt gefürchtet, in Paniken und Krachs
von eisiger Kühle, strengster Zurückhaltung
und bewundernswerter Selbstbeherrschung,
ein fabelhafter Meister in: Börsenspiel, dem
alle Mittel und Wege recht waren, wenn er
nur dabei gewann, rücksichtslos und brutal
im höchsten Grade, ein niedriger und gemeiner

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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diesem ganzen Land ein Jeglicher auf eine
oder andre Art mit Israel vorwandt" ....

Ich kann es nach allem Vorstehenden dem
Leser getrost überlassen, sich selbst ein Urteil
darüber zu bilden, ob ich mit meinem ander¬
weit gefällten Urteile, „die antisemitische
Tendenz trete überall in der aufdringlichsten
Weise zutage" und man könne „da wirklich
nur noch von Brunnenvergiftung sprechen",
dem „Redaktionskomitee" des „Semigotha"
Unrecht getan habe.

Dr. Stephan Kckulc von Strcidonitz
Buchbesprechungen
K. O. Melusina. Spinoza und sein Kreis.
Historisch-kritische Studien über holländische
Freigeister. Berlin. Karl Schnabel. 1909.

Das 1894 erschienene holländische Werk ist
jetzt von Lina Schneider ohne zwingenden
Grund verdeutscht. Das Buch hat lediglich
biographisch-historische Tendenz. Nach einigen
Skizzen von Freigeistern aus der Zeit von
Spinoza, Hermann van Nijswijck, Coornhert,
Robbertz le Carn, einem Blick in die Rabbiner¬
schule zu Amsterdam, und auf das Schicksal
Uriel da Costas, macht sich Melusina daran, die
Resultate des Spinozabiographen van Violen,
seines Landsmanns, zu erweitern und zu
korrigieren. Es handelt sich jedoch nur um
Feststellung von Quisguilien, zumeist auf
Grund archivalischer Einzelforschung. Dadurch
wird das Lebensbild Spinozas und seiner
Freunde keineswegs sonderlich verschoben, noch
werden neue psychologische Beziehungen ge¬
funden. Jedoch gibt sich das Buch, mit be¬
ständiger Beziehung auf die längst bekannten
Briefe Spinozas, als eine neue Biographie,
deren Mangel an darstellerischer Kraft zu¬
gunsten einer geradezu kleinstädtischen Be¬
haglichkeit enttäuscht.

Dr. Wilhelm Böhm-
Streifzüge durch das nordamerikanische
Wirtschaftsleben. Von Dr. Ernst Schulhe-
Großborstel. Halle, Verlag der Buchhandlung
des Waisenhauses. Preis 5 M.

Je mehr sich unser deutsches Wirtschafts¬
leben industrialisiert und sich in seiner Struktur
dem der Vereinigten Staaten nähert, desto
mehr Veranlassung haben wir, uns das
amerikanische Wirtschaftsleben genauer an¬

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zusehen und zu prüfen, wohin der Weg bei
solch riesenhafter und überhitzter Entwicklung
führt, welche Vorzüge eine derartige Ge¬
staltung besitzt, und vor allem auch, welche
Gebrechen und Mängel sie in sich schließt
oder im Gefolge hat. Es gab eine Zeit, in
der man in Deutschland jene gigantische Ent¬
wicklung nicht genug bewundern und preisen
konnte, in der man von dem Lande der un¬
begrenzten wirtschaftlichen Möglichkeiten in
allen Tonarten schwärmte und vor der Mcissen-
haftigkeit und dem zahlenmäßig Großen, in
dem alles dort drüben in die Erscheinung
tritt, förmlich in Ehrfurcht erstarb. Heute
sind wir von dieser kritiklosen Bewunderung
einigermaßen geheilt. Eine ganzeReihe gründ¬
licher Kenner des Landes, unter ihnen der
Verfasser des vorliegenden Buches, hat diesen
Umschwung der Ansichten herbeigeführt.

Schon in seinen kulturgeschichtlichen Streif¬
zügen „Aus demi Werden und Wachsen der
Vereinigten Staaten" hat Ernst Schultze mit
scharfem Blicke mancherlei Schäden erkannt
und an sie die kritische Sonde gelegt. Diese
sezierende Arbeit setzt er nun in seinem neuen
Buche fort, und zwar sind eS diesmal Ein¬
drücke vornehmlich aus dem mittleren Westen
und den Küstenstaaten des Stillen Ozeans,
die er zu einheitlichen Bildern verwoben hat.
In den beiden ersten Kapiteln führt er uns
zwei amerikanische Unternehmertypen mit allen
ihren Vorzügen und Schwächen vor Augen.
Der eine davon ist der 1909 verstorbene
Harriman, der König des nordamerikanischen
Eisenbahnwesens. Aus ärmlichen Verhält¬
nissen hatte sich dieser Selfmademan durch
kühne Eisenbahnspekulationen zu einem der
einflußreichsten Männer in den Vereinigten
Staaten emporgearbeitet: als Besitzer von
mehr als einem Drittel der nordamerikanischen
Schienenwege und Mitglied oder Vorsitzender
im Direktorium von einundvierzig der wich¬
tigsten Industrie- oder Versicherungsgesell¬
schaften und Banken ist er gestorben. In der
Bankwelt gefürchtet, in Paniken und Krachs
von eisiger Kühle, strengster Zurückhaltung
und bewundernswerter Selbstbeherrschung,
ein fabelhafter Meister in: Börsenspiel, dem
alle Mittel und Wege recht waren, wenn er
nur dabei gewann, rücksichtslos und brutal
im höchsten Grade, ein niedriger und gemeiner

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[0391] Maßgebliches und Unmaßgebliches diesem ganzen Land ein Jeglicher auf eine oder andre Art mit Israel vorwandt" .... Ich kann es nach allem Vorstehenden dem Leser getrost überlassen, sich selbst ein Urteil darüber zu bilden, ob ich mit meinem ander¬ weit gefällten Urteile, „die antisemitische Tendenz trete überall in der aufdringlichsten Weise zutage" und man könne „da wirklich nur noch von Brunnenvergiftung sprechen", dem „Redaktionskomitee" des „Semigotha" Unrecht getan habe. Dr. Stephan Kckulc von Strcidonitz Buchbesprechungen K. O. Melusina. Spinoza und sein Kreis. Historisch-kritische Studien über holländische Freigeister. Berlin. Karl Schnabel. 1909. Das 1894 erschienene holländische Werk ist jetzt von Lina Schneider ohne zwingenden Grund verdeutscht. Das Buch hat lediglich biographisch-historische Tendenz. Nach einigen Skizzen von Freigeistern aus der Zeit von Spinoza, Hermann van Nijswijck, Coornhert, Robbertz le Carn, einem Blick in die Rabbiner¬ schule zu Amsterdam, und auf das Schicksal Uriel da Costas, macht sich Melusina daran, die Resultate des Spinozabiographen van Violen, seines Landsmanns, zu erweitern und zu korrigieren. Es handelt sich jedoch nur um Feststellung von Quisguilien, zumeist auf Grund archivalischer Einzelforschung. Dadurch wird das Lebensbild Spinozas und seiner Freunde keineswegs sonderlich verschoben, noch werden neue psychologische Beziehungen ge¬ funden. Jedoch gibt sich das Buch, mit be¬ ständiger Beziehung auf die längst bekannten Briefe Spinozas, als eine neue Biographie, deren Mangel an darstellerischer Kraft zu¬ gunsten einer geradezu kleinstädtischen Be¬ haglichkeit enttäuscht. Dr. Wilhelm Böhm- Streifzüge durch das nordamerikanische Wirtschaftsleben. Von Dr. Ernst Schulhe- Großborstel. Halle, Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses. Preis 5 M. Je mehr sich unser deutsches Wirtschafts¬ leben industrialisiert und sich in seiner Struktur dem der Vereinigten Staaten nähert, desto mehr Veranlassung haben wir, uns das amerikanische Wirtschaftsleben genauer an¬ zusehen und zu prüfen, wohin der Weg bei solch riesenhafter und überhitzter Entwicklung führt, welche Vorzüge eine derartige Ge¬ staltung besitzt, und vor allem auch, welche Gebrechen und Mängel sie in sich schließt oder im Gefolge hat. Es gab eine Zeit, in der man in Deutschland jene gigantische Ent¬ wicklung nicht genug bewundern und preisen konnte, in der man von dem Lande der un¬ begrenzten wirtschaftlichen Möglichkeiten in allen Tonarten schwärmte und vor der Mcissen- haftigkeit und dem zahlenmäßig Großen, in dem alles dort drüben in die Erscheinung tritt, förmlich in Ehrfurcht erstarb. Heute sind wir von dieser kritiklosen Bewunderung einigermaßen geheilt. Eine ganzeReihe gründ¬ licher Kenner des Landes, unter ihnen der Verfasser des vorliegenden Buches, hat diesen Umschwung der Ansichten herbeigeführt. Schon in seinen kulturgeschichtlichen Streif¬ zügen „Aus demi Werden und Wachsen der Vereinigten Staaten" hat Ernst Schultze mit scharfem Blicke mancherlei Schäden erkannt und an sie die kritische Sonde gelegt. Diese sezierende Arbeit setzt er nun in seinem neuen Buche fort, und zwar sind eS diesmal Ein¬ drücke vornehmlich aus dem mittleren Westen und den Küstenstaaten des Stillen Ozeans, die er zu einheitlichen Bildern verwoben hat. In den beiden ersten Kapiteln führt er uns zwei amerikanische Unternehmertypen mit allen ihren Vorzügen und Schwächen vor Augen. Der eine davon ist der 1909 verstorbene Harriman, der König des nordamerikanischen Eisenbahnwesens. Aus ärmlichen Verhält¬ nissen hatte sich dieser Selfmademan durch kühne Eisenbahnspekulationen zu einem der einflußreichsten Männer in den Vereinigten Staaten emporgearbeitet: als Besitzer von mehr als einem Drittel der nordamerikanischen Schienenwege und Mitglied oder Vorsitzender im Direktorium von einundvierzig der wich¬ tigsten Industrie- oder Versicherungsgesell¬ schaften und Banken ist er gestorben. In der Bankwelt gefürchtet, in Paniken und Krachs von eisiger Kühle, strengster Zurückhaltung und bewundernswerter Selbstbeherrschung, ein fabelhafter Meister in: Börsenspiel, dem alle Mittel und Wege recht waren, wenn er nur dabei gewann, rücksichtslos und brutal im höchsten Grade, ein niedriger und gemeiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/391>, abgerufen am 05.05.2024.