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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Karl Salzer

hat, für sie verloren seien. Sie denkt auch an die kranke Sophie, und dann
sagt sie:

"Aber Herr Amtsrichter, dann sind Sie so gut und tun Sie die Sach möglichst
beschleunigen. Sorgen Sie dafür, daß die Äcker mitsamt der Kreszenz versteigert
werden, aber, wie gesagt, bald, damit nix verdirbt I"

"Ja, gewiß, Fräulein, das wird geschehen!" entgegnet der Amtsrichter.

Darauf heißt der Bürgermeister den Polizeidiener Rüppel die Bücher wieder
zusammenschnüren und aufs Rathaus tragen.

Die Beamten gehen: der Amtsrichter, der Aktuar, der Bürgermeister und
der Polizeidiener. Willem, der Geselle, öffnet ihnen das Tor, das er hinter
dem Juden wieder verschlossen hat, denn die Menschenmasse harrt noch immer
davor.

Als die Männer heraustreten, machen die Vordersten eine Gasse. Sie
schreien auch nicht mehr: Mer wollen unser Geld eraus hawwe! Erst als die
Viere den Menschenknäuel fast durchschritten haben, rufen einige der am weitesten
Zurückstehenden:

"Na, Rüppel, wie stehen dann die Aktie?"

Sie rufen zwar den Polizeidiener, aber die Antwort erwarten sie vom Bürger¬
meister. Aber da dreht sich der Amtsrichter herum, wühlt sich wieder in den
Menschenhaufen und sagt barsch und stoßend:

"Hört mal, ihr lieben Spelzheimer, seid mir mal bitte ein bißchen weniger
rennend! Wenn die Gerichtsbehörde eine die Öffentlichkeit interessierende Angelegen¬
heit in die Hand genommen hat, so hat eben die Öffentlichkeit das Bewußtsein
zu haben, daß ihre Angelegenheit nach Recht und Gerechtigkeit geregelt wird. Und
alles Weitere geht diese Öffentlichkeit nichts an, verstanden?"

Das hat der Amtsrichter sehr spitz heraus geschnauzt. Er hat sich in die
Grobheit der staatlichen Autorität geworfen, und das wirkt. Die Schreier machen
dumme Gesichter, und als der Amtsrichter mit dankender Stimme herausknappt:
,,'n Abend!" da ziehen sie die Kappen und Hüte ab und zerstreuen sich und tuscheln
nur noch leise. Gegen den Amtsrichter ballen sie die Fäuste im Sack, gegen das
Schmiedehaus aber recken sie sie wild und ohne Scheu. Sie rütteln auch an der
Torklinke, als die "Herrn vom Gericht" mit dem Bürgermeister und dem Polizei¬
diener um die Ecke verschwunden sind. Und die dahinter stehen, denken, daß es
doch für alle Fälle gut sei, wenn ein Tor mächtig ist und hochragend bis unter
den Bogen eines Tores aus kräftigem Mauerwerk.

6.

Mit verstörten Mienen sitzen Karl und seine Tante beisammen.

"Tante Seelchen!" sagt der Bursche, "Tante Seelchen, 's ist mir grad, als
hätt' ich geträumt drin in der Slud, so dumm ist mir's. Sag mir's noch mal:
es ist also wirklich wahr, der Vater hat unrecht gehandelt und sich dessent¬
wegen . . ."

Tante Seelchen patscht ans die Schürze, streicht daran herunter, seufzt schwer
und antwortet:

"Bub, wenn er's selber geschrieben hat, daß es wahr wär, bleibt uns nix
anderes übrig, als es auch zu glauben!"


Karl Salzer

hat, für sie verloren seien. Sie denkt auch an die kranke Sophie, und dann
sagt sie:

„Aber Herr Amtsrichter, dann sind Sie so gut und tun Sie die Sach möglichst
beschleunigen. Sorgen Sie dafür, daß die Äcker mitsamt der Kreszenz versteigert
werden, aber, wie gesagt, bald, damit nix verdirbt I"

„Ja, gewiß, Fräulein, das wird geschehen!" entgegnet der Amtsrichter.

Darauf heißt der Bürgermeister den Polizeidiener Rüppel die Bücher wieder
zusammenschnüren und aufs Rathaus tragen.

Die Beamten gehen: der Amtsrichter, der Aktuar, der Bürgermeister und
der Polizeidiener. Willem, der Geselle, öffnet ihnen das Tor, das er hinter
dem Juden wieder verschlossen hat, denn die Menschenmasse harrt noch immer
davor.

Als die Männer heraustreten, machen die Vordersten eine Gasse. Sie
schreien auch nicht mehr: Mer wollen unser Geld eraus hawwe! Erst als die
Viere den Menschenknäuel fast durchschritten haben, rufen einige der am weitesten
Zurückstehenden:

„Na, Rüppel, wie stehen dann die Aktie?"

Sie rufen zwar den Polizeidiener, aber die Antwort erwarten sie vom Bürger¬
meister. Aber da dreht sich der Amtsrichter herum, wühlt sich wieder in den
Menschenhaufen und sagt barsch und stoßend:

„Hört mal, ihr lieben Spelzheimer, seid mir mal bitte ein bißchen weniger
rennend! Wenn die Gerichtsbehörde eine die Öffentlichkeit interessierende Angelegen¬
heit in die Hand genommen hat, so hat eben die Öffentlichkeit das Bewußtsein
zu haben, daß ihre Angelegenheit nach Recht und Gerechtigkeit geregelt wird. Und
alles Weitere geht diese Öffentlichkeit nichts an, verstanden?"

Das hat der Amtsrichter sehr spitz heraus geschnauzt. Er hat sich in die
Grobheit der staatlichen Autorität geworfen, und das wirkt. Die Schreier machen
dumme Gesichter, und als der Amtsrichter mit dankender Stimme herausknappt:
,,'n Abend!" da ziehen sie die Kappen und Hüte ab und zerstreuen sich und tuscheln
nur noch leise. Gegen den Amtsrichter ballen sie die Fäuste im Sack, gegen das
Schmiedehaus aber recken sie sie wild und ohne Scheu. Sie rütteln auch an der
Torklinke, als die „Herrn vom Gericht" mit dem Bürgermeister und dem Polizei¬
diener um die Ecke verschwunden sind. Und die dahinter stehen, denken, daß es
doch für alle Fälle gut sei, wenn ein Tor mächtig ist und hochragend bis unter
den Bogen eines Tores aus kräftigem Mauerwerk.

6.

Mit verstörten Mienen sitzen Karl und seine Tante beisammen.

„Tante Seelchen!" sagt der Bursche, „Tante Seelchen, 's ist mir grad, als
hätt' ich geträumt drin in der Slud, so dumm ist mir's. Sag mir's noch mal:
es ist also wirklich wahr, der Vater hat unrecht gehandelt und sich dessent¬
wegen . . ."

Tante Seelchen patscht ans die Schürze, streicht daran herunter, seufzt schwer
und antwortet:

„Bub, wenn er's selber geschrieben hat, daß es wahr wär, bleibt uns nix
anderes übrig, als es auch zu glauben!"


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[0632] Karl Salzer hat, für sie verloren seien. Sie denkt auch an die kranke Sophie, und dann sagt sie: „Aber Herr Amtsrichter, dann sind Sie so gut und tun Sie die Sach möglichst beschleunigen. Sorgen Sie dafür, daß die Äcker mitsamt der Kreszenz versteigert werden, aber, wie gesagt, bald, damit nix verdirbt I" „Ja, gewiß, Fräulein, das wird geschehen!" entgegnet der Amtsrichter. Darauf heißt der Bürgermeister den Polizeidiener Rüppel die Bücher wieder zusammenschnüren und aufs Rathaus tragen. Die Beamten gehen: der Amtsrichter, der Aktuar, der Bürgermeister und der Polizeidiener. Willem, der Geselle, öffnet ihnen das Tor, das er hinter dem Juden wieder verschlossen hat, denn die Menschenmasse harrt noch immer davor. Als die Männer heraustreten, machen die Vordersten eine Gasse. Sie schreien auch nicht mehr: Mer wollen unser Geld eraus hawwe! Erst als die Viere den Menschenknäuel fast durchschritten haben, rufen einige der am weitesten Zurückstehenden: „Na, Rüppel, wie stehen dann die Aktie?" Sie rufen zwar den Polizeidiener, aber die Antwort erwarten sie vom Bürger¬ meister. Aber da dreht sich der Amtsrichter herum, wühlt sich wieder in den Menschenhaufen und sagt barsch und stoßend: „Hört mal, ihr lieben Spelzheimer, seid mir mal bitte ein bißchen weniger rennend! Wenn die Gerichtsbehörde eine die Öffentlichkeit interessierende Angelegen¬ heit in die Hand genommen hat, so hat eben die Öffentlichkeit das Bewußtsein zu haben, daß ihre Angelegenheit nach Recht und Gerechtigkeit geregelt wird. Und alles Weitere geht diese Öffentlichkeit nichts an, verstanden?" Das hat der Amtsrichter sehr spitz heraus geschnauzt. Er hat sich in die Grobheit der staatlichen Autorität geworfen, und das wirkt. Die Schreier machen dumme Gesichter, und als der Amtsrichter mit dankender Stimme herausknappt: ,,'n Abend!" da ziehen sie die Kappen und Hüte ab und zerstreuen sich und tuscheln nur noch leise. Gegen den Amtsrichter ballen sie die Fäuste im Sack, gegen das Schmiedehaus aber recken sie sie wild und ohne Scheu. Sie rütteln auch an der Torklinke, als die „Herrn vom Gericht" mit dem Bürgermeister und dem Polizei¬ diener um die Ecke verschwunden sind. Und die dahinter stehen, denken, daß es doch für alle Fälle gut sei, wenn ein Tor mächtig ist und hochragend bis unter den Bogen eines Tores aus kräftigem Mauerwerk. 6. Mit verstörten Mienen sitzen Karl und seine Tante beisammen. „Tante Seelchen!" sagt der Bursche, „Tante Seelchen, 's ist mir grad, als hätt' ich geträumt drin in der Slud, so dumm ist mir's. Sag mir's noch mal: es ist also wirklich wahr, der Vater hat unrecht gehandelt und sich dessent¬ wegen . . ." Tante Seelchen patscht ans die Schürze, streicht daran herunter, seufzt schwer und antwortet: „Bub, wenn er's selber geschrieben hat, daß es wahr wär, bleibt uns nix anderes übrig, als es auch zu glauben!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/632>, abgerufen am 05.05.2024.