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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Freiherr von Marschall
to. von Massow von

cum ein Mann in hoher, weithin sichtbarer Stellung aus dieser
Zeitlichkeit abberufen wird, dann kann man sich beim Lesen der
zahlreichen Nachrufe, die ihm in allen Tageszeitungen und Zeit¬
schriften pflichtgemäß gewidmet werden, häufig kaum des Gefühls
erwehren, daß dieser Nachrufspflicht gewöhnlich recht handwerks¬
mäßig und schablonenhaft genügt wird, wenn es nicht gerade einer von den
ganz Großen ist, deren Tuten mit einem besonderen Griffel im Buch der Ge¬
schichte verzeichnet sind. Aus dein Kreise derer, die dem Verstorbenen menschlich
näher gestanden haben, mischt sich wohl hier und da eine Note aufrichtiger
Trauer in den Chor, aber den meisten merkt man doch an, daß sie es eilig
haben, ihre konventionelle Verbeugung vor der Majestät des Todes und den
Verdiensten des Dahingeschiedenen zu machen. Die schnellebige Zeit kann den
Augenblick nicht erwarten, wo man von etwas anderem spricht, und was uns
da -- man möchte fast sagen: anstandshalber -- als Trauer vorgeführt wird,
weckt nur zu leicht die Erinnerung an die bitter-skeptische Frage Hamlets: Was
ist ihm Hekuba?

Aber es ist doch nicht immer so. Es gibt Lücken, die sich auch in einer
Zeit, die soviel Oberflächlichkeit und Ansprüche zur Schau zu tragen scheint,
schwer schließen, die auch in weiteren Kreisen mit aufrichtigem Schmerz empfunden
werden. Wen von allen, die der Entwicklung unseres Vaterlandes in den
letzten Jahrzehnten mit Aufmerksamkeit und mit warmem Herzen gefolgt sind,
hätte nicht ein jäher Schreck durchzuckt, eine tiefe Niedergeschlagenheit ergriffen,
als die Trauerkunde von Badenweiler die Welt durcheilte? Hier war mehr
als konventionelle Trauer um einen verdienstvollen, hochgestellten Mann; hier
regte sich das Bewußtsein eines schweren Schlages für das deutsche Volk, das
in dem Freiherrn von Marschall einen seiner besten Männer verloren hat.

Eben jetzt hatte man Großes von ihm erwartet. Er hatte soeben erst die
schwerste Aufgabe übernommen, die einem deutschen Diplomaten überhaupt gestellt


Grenzboten IV 1912 1


Freiherr von Marschall
to. von Massow von

cum ein Mann in hoher, weithin sichtbarer Stellung aus dieser
Zeitlichkeit abberufen wird, dann kann man sich beim Lesen der
zahlreichen Nachrufe, die ihm in allen Tageszeitungen und Zeit¬
schriften pflichtgemäß gewidmet werden, häufig kaum des Gefühls
erwehren, daß dieser Nachrufspflicht gewöhnlich recht handwerks¬
mäßig und schablonenhaft genügt wird, wenn es nicht gerade einer von den
ganz Großen ist, deren Tuten mit einem besonderen Griffel im Buch der Ge¬
schichte verzeichnet sind. Aus dein Kreise derer, die dem Verstorbenen menschlich
näher gestanden haben, mischt sich wohl hier und da eine Note aufrichtiger
Trauer in den Chor, aber den meisten merkt man doch an, daß sie es eilig
haben, ihre konventionelle Verbeugung vor der Majestät des Todes und den
Verdiensten des Dahingeschiedenen zu machen. Die schnellebige Zeit kann den
Augenblick nicht erwarten, wo man von etwas anderem spricht, und was uns
da — man möchte fast sagen: anstandshalber — als Trauer vorgeführt wird,
weckt nur zu leicht die Erinnerung an die bitter-skeptische Frage Hamlets: Was
ist ihm Hekuba?

Aber es ist doch nicht immer so. Es gibt Lücken, die sich auch in einer
Zeit, die soviel Oberflächlichkeit und Ansprüche zur Schau zu tragen scheint,
schwer schließen, die auch in weiteren Kreisen mit aufrichtigem Schmerz empfunden
werden. Wen von allen, die der Entwicklung unseres Vaterlandes in den
letzten Jahrzehnten mit Aufmerksamkeit und mit warmem Herzen gefolgt sind,
hätte nicht ein jäher Schreck durchzuckt, eine tiefe Niedergeschlagenheit ergriffen,
als die Trauerkunde von Badenweiler die Welt durcheilte? Hier war mehr
als konventionelle Trauer um einen verdienstvollen, hochgestellten Mann; hier
regte sich das Bewußtsein eines schweren Schlages für das deutsche Volk, das
in dem Freiherrn von Marschall einen seiner besten Männer verloren hat.

Eben jetzt hatte man Großes von ihm erwartet. Er hatte soeben erst die
schwerste Aufgabe übernommen, die einem deutschen Diplomaten überhaupt gestellt


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[0013] [Abbildung] Freiherr von Marschall to. von Massow von cum ein Mann in hoher, weithin sichtbarer Stellung aus dieser Zeitlichkeit abberufen wird, dann kann man sich beim Lesen der zahlreichen Nachrufe, die ihm in allen Tageszeitungen und Zeit¬ schriften pflichtgemäß gewidmet werden, häufig kaum des Gefühls erwehren, daß dieser Nachrufspflicht gewöhnlich recht handwerks¬ mäßig und schablonenhaft genügt wird, wenn es nicht gerade einer von den ganz Großen ist, deren Tuten mit einem besonderen Griffel im Buch der Ge¬ schichte verzeichnet sind. Aus dein Kreise derer, die dem Verstorbenen menschlich näher gestanden haben, mischt sich wohl hier und da eine Note aufrichtiger Trauer in den Chor, aber den meisten merkt man doch an, daß sie es eilig haben, ihre konventionelle Verbeugung vor der Majestät des Todes und den Verdiensten des Dahingeschiedenen zu machen. Die schnellebige Zeit kann den Augenblick nicht erwarten, wo man von etwas anderem spricht, und was uns da — man möchte fast sagen: anstandshalber — als Trauer vorgeführt wird, weckt nur zu leicht die Erinnerung an die bitter-skeptische Frage Hamlets: Was ist ihm Hekuba? Aber es ist doch nicht immer so. Es gibt Lücken, die sich auch in einer Zeit, die soviel Oberflächlichkeit und Ansprüche zur Schau zu tragen scheint, schwer schließen, die auch in weiteren Kreisen mit aufrichtigem Schmerz empfunden werden. Wen von allen, die der Entwicklung unseres Vaterlandes in den letzten Jahrzehnten mit Aufmerksamkeit und mit warmem Herzen gefolgt sind, hätte nicht ein jäher Schreck durchzuckt, eine tiefe Niedergeschlagenheit ergriffen, als die Trauerkunde von Badenweiler die Welt durcheilte? Hier war mehr als konventionelle Trauer um einen verdienstvollen, hochgestellten Mann; hier regte sich das Bewußtsein eines schweren Schlages für das deutsche Volk, das in dem Freiherrn von Marschall einen seiner besten Männer verloren hat. Eben jetzt hatte man Großes von ihm erwartet. Er hatte soeben erst die schwerste Aufgabe übernommen, die einem deutschen Diplomaten überhaupt gestellt Grenzboten IV 1912 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/13>, abgerufen am 08.05.2024.