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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

mindestens aber doch das Königtum germa¬
nischer Auffassung, wird zur Farce, zur nieder¬
trächtigen Posse, wenn die Freien in ihrer
ganzen Existenz der Gnade von Leuten über¬
antwortet und ausgeliefert siud, auf die der
König gnr keinen Einfluß mehr hat/'

Duimchen, der sich in Hamburg als un¬
abhängiger Petroleumimporteur eine glänzende
Position geschaffen hatte, ist selbst von der
Standard-Oil-Co, ausgehungert worden, seine
Pessimistische Beurteilung der durch die Trusts
geschaffenen Wirtschaftslage mag daher hier
und da einer kleinen Korrektur bedürfen, aber
in seinen Hauptausführungen hat er recht be¬
halten, ebenso behalten seine Positiven Vor¬
schläge und die Mittel, die er im Kampf
gegen die Trusts empfiehlt, bleibenden Wert,
Was er vor zehn Jahren angeregt hat, näm¬
lich "das gesetzliche Eingreifen in den Petro¬
leumhandel", wird sich hoffentlich unter der
Leitung eines tatkräftigen Reichsschatzsekretärs
in allernächster Zeit vollziehen.

Johannes Gcmlk
Erziehungsfragen

Volkserzieher von ", I. Ziehen, Quelle
u, Meyer, Leipzig 1911 ^ geb, 3,80 M, Die
Idee einer Wissenschaft von der BvlkSerziehung
ist ein Lieblingsgedanke Ziehens, Schon mehr¬
fach hat er sich dazu öffentlich geäußert, und
auch das vorliegende Buch soll in dieser Rich¬
tung anregen. Es soll in die verschiedenen
Gebiete der Volkserziehung einführen, und
zwar glaubt der Versasser diesen Zweck am
besten durch Lebensbeschreibungen großer
VolZserziehcr erreichen zu können. Er führt
den Leser also durch die Weltgeschichte und
macht überall da Halt, wo ihm ein vvlks-
pädagogisches Prinzip ganz besonders an¬
schaulich in einer Person verkörpert zu sein
scheint, Kaiser, Staatsmänner, Gelehrte,
Geistliche, Männer der sozialen Arbeit, oft
durch Zeit und Anschauung weit voneinander
getrennt, rücken unter diesem Gesichtspunkte
in eine Linie der Betrachtung, und mancher
Stern, der in der politischen Geschichts¬
schreibung seinerzeit neben den helleren Sonnen
verblassen mußte, leuchtet hier in mildem und
wärmendem Glänze, z, B, Adamantivs Korais,
Ignaz H, von Wessenberg, Oberlin und andere.
Allerdings würde die Lektüre des Buches noch

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belehrender und genußreicher sein, wenn der
Stil weniger gelehrtenhaft wäre und die
Lebensbilder mehr mit dein Auge des Künstlers
gesehen wären. Aber auch so ist das Buch
geeignet, starke Wirkungen auszulösen, be¬
sonders in unseren Tagen, wo die Not der
Zeit das Gewissen den Aufgaben der Volks¬
erziehung gegenüber wieder erheblich geschärft
hat. Hoffentlich findet es recht viele Leser,
und treibt sie nicht nur zum Nachdenken,
sondern auch zur opferfreudigen Mitarbeit
an der Lösung dieser Lebensfragen unserer
Nation,

Dr, Eduard l^aveiistein-
Tagesfragen

Litcrnrische Halbwelt. Ihre Heimat ist
Wien. Nicht das Wien der "schönen blauen
Donau", der süßen Mädels und des Stephnn-
doms, sondern jene vom lokalen Hintergrunde
losgelöste wunderliche Kulturzentrnle, die den
Austausch von Waren zwischen den Hinter¬
ländern der österreichisch - ungarischen Mon¬
archie und dem westlichen Europa vermittelt.
Man hat nicht mit Unrecht gesagt, daß hier
die Tore Asiens sich öffnen. Alles, was aus
der großen Kulturfremdheit und unbeherrschten
Grenzenlosigkeit des Ostens kommt und nach
Westen hindrängt, alles, was diese schier
unerschöpfliche Pandorabüchse herzugeben hat,
Pralle hier zum ersten Male mit der Ab-
geschlissenhe.it und dem urbauen Geschmack
eines ausgesprochen europäischen Empfindens
zusammen. Hier vertauschen die "zugereister"
Panduren, Kroaten, Serben, Montenegriner
und Galizier ihr mehr oder weniger schmie¬
riges Kostüm zum ersten Male mit dem
Kleide, das Europens übertünchte Höflichkeit
vorschreibt. Hier wird mit dem Rocke meist
auch die Religion und der kompromittierende
Name abgelegt. Hier ist die Fixigkeit im
Erraffen kleiner Kulturzipfel Trumpf, Und
hier herrscht von Anfang bis zu Ende jenes be¬
neidenswerte Anpassungs- und Einfühlungs¬
vermögen, dus nnr im Heute lebt und alles,
Was noch gestern und vorgestern gewesen, wie
einen bösen Traum von sich abschüttelt.

Das geistige Parvenütum, dus sich von
Wien ans wie ein schmutziger Strom über
die deutschen Hanptstädie, insbesondere über
Berlin und München ergossen hat, hat

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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mindestens aber doch das Königtum germa¬
nischer Auffassung, wird zur Farce, zur nieder¬
trächtigen Posse, wenn die Freien in ihrer
ganzen Existenz der Gnade von Leuten über¬
antwortet und ausgeliefert siud, auf die der
König gnr keinen Einfluß mehr hat/'

Duimchen, der sich in Hamburg als un¬
abhängiger Petroleumimporteur eine glänzende
Position geschaffen hatte, ist selbst von der
Standard-Oil-Co, ausgehungert worden, seine
Pessimistische Beurteilung der durch die Trusts
geschaffenen Wirtschaftslage mag daher hier
und da einer kleinen Korrektur bedürfen, aber
in seinen Hauptausführungen hat er recht be¬
halten, ebenso behalten seine Positiven Vor¬
schläge und die Mittel, die er im Kampf
gegen die Trusts empfiehlt, bleibenden Wert,
Was er vor zehn Jahren angeregt hat, näm¬
lich „das gesetzliche Eingreifen in den Petro¬
leumhandel", wird sich hoffentlich unter der
Leitung eines tatkräftigen Reichsschatzsekretärs
in allernächster Zeit vollziehen.

Johannes Gcmlk
Erziehungsfragen

Volkserzieher von », I. Ziehen, Quelle
u, Meyer, Leipzig 1911 ^ geb, 3,80 M, Die
Idee einer Wissenschaft von der BvlkSerziehung
ist ein Lieblingsgedanke Ziehens, Schon mehr¬
fach hat er sich dazu öffentlich geäußert, und
auch das vorliegende Buch soll in dieser Rich¬
tung anregen. Es soll in die verschiedenen
Gebiete der Volkserziehung einführen, und
zwar glaubt der Versasser diesen Zweck am
besten durch Lebensbeschreibungen großer
VolZserziehcr erreichen zu können. Er führt
den Leser also durch die Weltgeschichte und
macht überall da Halt, wo ihm ein vvlks-
pädagogisches Prinzip ganz besonders an¬
schaulich in einer Person verkörpert zu sein
scheint, Kaiser, Staatsmänner, Gelehrte,
Geistliche, Männer der sozialen Arbeit, oft
durch Zeit und Anschauung weit voneinander
getrennt, rücken unter diesem Gesichtspunkte
in eine Linie der Betrachtung, und mancher
Stern, der in der politischen Geschichts¬
schreibung seinerzeit neben den helleren Sonnen
verblassen mußte, leuchtet hier in mildem und
wärmendem Glänze, z, B, Adamantivs Korais,
Ignaz H, von Wessenberg, Oberlin und andere.
Allerdings würde die Lektüre des Buches noch

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belehrender und genußreicher sein, wenn der
Stil weniger gelehrtenhaft wäre und die
Lebensbilder mehr mit dein Auge des Künstlers
gesehen wären. Aber auch so ist das Buch
geeignet, starke Wirkungen auszulösen, be¬
sonders in unseren Tagen, wo die Not der
Zeit das Gewissen den Aufgaben der Volks¬
erziehung gegenüber wieder erheblich geschärft
hat. Hoffentlich findet es recht viele Leser,
und treibt sie nicht nur zum Nachdenken,
sondern auch zur opferfreudigen Mitarbeit
an der Lösung dieser Lebensfragen unserer
Nation,

Dr, Eduard l^aveiistein-
Tagesfragen

Litcrnrische Halbwelt. Ihre Heimat ist
Wien. Nicht das Wien der „schönen blauen
Donau", der süßen Mädels und des Stephnn-
doms, sondern jene vom lokalen Hintergrunde
losgelöste wunderliche Kulturzentrnle, die den
Austausch von Waren zwischen den Hinter¬
ländern der österreichisch - ungarischen Mon¬
archie und dem westlichen Europa vermittelt.
Man hat nicht mit Unrecht gesagt, daß hier
die Tore Asiens sich öffnen. Alles, was aus
der großen Kulturfremdheit und unbeherrschten
Grenzenlosigkeit des Ostens kommt und nach
Westen hindrängt, alles, was diese schier
unerschöpfliche Pandorabüchse herzugeben hat,
Pralle hier zum ersten Male mit der Ab-
geschlissenhe.it und dem urbauen Geschmack
eines ausgesprochen europäischen Empfindens
zusammen. Hier vertauschen die „zugereister"
Panduren, Kroaten, Serben, Montenegriner
und Galizier ihr mehr oder weniger schmie¬
riges Kostüm zum ersten Male mit dem
Kleide, das Europens übertünchte Höflichkeit
vorschreibt. Hier wird mit dem Rocke meist
auch die Religion und der kompromittierende
Name abgelegt. Hier ist die Fixigkeit im
Erraffen kleiner Kulturzipfel Trumpf, Und
hier herrscht von Anfang bis zu Ende jenes be¬
neidenswerte Anpassungs- und Einfühlungs¬
vermögen, dus nnr im Heute lebt und alles,
Was noch gestern und vorgestern gewesen, wie
einen bösen Traum von sich abschüttelt.

Das geistige Parvenütum, dus sich von
Wien ans wie ein schmutziger Strom über
die deutschen Hanptstädie, insbesondere über
Berlin und München ergossen hat, hat

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[0348] Maßgebliches und Unmaßgebliches mindestens aber doch das Königtum germa¬ nischer Auffassung, wird zur Farce, zur nieder¬ trächtigen Posse, wenn die Freien in ihrer ganzen Existenz der Gnade von Leuten über¬ antwortet und ausgeliefert siud, auf die der König gnr keinen Einfluß mehr hat/' Duimchen, der sich in Hamburg als un¬ abhängiger Petroleumimporteur eine glänzende Position geschaffen hatte, ist selbst von der Standard-Oil-Co, ausgehungert worden, seine Pessimistische Beurteilung der durch die Trusts geschaffenen Wirtschaftslage mag daher hier und da einer kleinen Korrektur bedürfen, aber in seinen Hauptausführungen hat er recht be¬ halten, ebenso behalten seine Positiven Vor¬ schläge und die Mittel, die er im Kampf gegen die Trusts empfiehlt, bleibenden Wert, Was er vor zehn Jahren angeregt hat, näm¬ lich „das gesetzliche Eingreifen in den Petro¬ leumhandel", wird sich hoffentlich unter der Leitung eines tatkräftigen Reichsschatzsekretärs in allernächster Zeit vollziehen. Johannes Gcmlk Erziehungsfragen Volkserzieher von », I. Ziehen, Quelle u, Meyer, Leipzig 1911 ^ geb, 3,80 M, Die Idee einer Wissenschaft von der BvlkSerziehung ist ein Lieblingsgedanke Ziehens, Schon mehr¬ fach hat er sich dazu öffentlich geäußert, und auch das vorliegende Buch soll in dieser Rich¬ tung anregen. Es soll in die verschiedenen Gebiete der Volkserziehung einführen, und zwar glaubt der Versasser diesen Zweck am besten durch Lebensbeschreibungen großer VolZserziehcr erreichen zu können. Er führt den Leser also durch die Weltgeschichte und macht überall da Halt, wo ihm ein vvlks- pädagogisches Prinzip ganz besonders an¬ schaulich in einer Person verkörpert zu sein scheint, Kaiser, Staatsmänner, Gelehrte, Geistliche, Männer der sozialen Arbeit, oft durch Zeit und Anschauung weit voneinander getrennt, rücken unter diesem Gesichtspunkte in eine Linie der Betrachtung, und mancher Stern, der in der politischen Geschichts¬ schreibung seinerzeit neben den helleren Sonnen verblassen mußte, leuchtet hier in mildem und wärmendem Glänze, z, B, Adamantivs Korais, Ignaz H, von Wessenberg, Oberlin und andere. Allerdings würde die Lektüre des Buches noch belehrender und genußreicher sein, wenn der Stil weniger gelehrtenhaft wäre und die Lebensbilder mehr mit dein Auge des Künstlers gesehen wären. Aber auch so ist das Buch geeignet, starke Wirkungen auszulösen, be¬ sonders in unseren Tagen, wo die Not der Zeit das Gewissen den Aufgaben der Volks¬ erziehung gegenüber wieder erheblich geschärft hat. Hoffentlich findet es recht viele Leser, und treibt sie nicht nur zum Nachdenken, sondern auch zur opferfreudigen Mitarbeit an der Lösung dieser Lebensfragen unserer Nation, Dr, Eduard l^aveiistein- Tagesfragen Litcrnrische Halbwelt. Ihre Heimat ist Wien. Nicht das Wien der „schönen blauen Donau", der süßen Mädels und des Stephnn- doms, sondern jene vom lokalen Hintergrunde losgelöste wunderliche Kulturzentrnle, die den Austausch von Waren zwischen den Hinter¬ ländern der österreichisch - ungarischen Mon¬ archie und dem westlichen Europa vermittelt. Man hat nicht mit Unrecht gesagt, daß hier die Tore Asiens sich öffnen. Alles, was aus der großen Kulturfremdheit und unbeherrschten Grenzenlosigkeit des Ostens kommt und nach Westen hindrängt, alles, was diese schier unerschöpfliche Pandorabüchse herzugeben hat, Pralle hier zum ersten Male mit der Ab- geschlissenhe.it und dem urbauen Geschmack eines ausgesprochen europäischen Empfindens zusammen. Hier vertauschen die „zugereister" Panduren, Kroaten, Serben, Montenegriner und Galizier ihr mehr oder weniger schmie¬ riges Kostüm zum ersten Male mit dem Kleide, das Europens übertünchte Höflichkeit vorschreibt. Hier wird mit dem Rocke meist auch die Religion und der kompromittierende Name abgelegt. Hier ist die Fixigkeit im Erraffen kleiner Kulturzipfel Trumpf, Und hier herrscht von Anfang bis zu Ende jenes be¬ neidenswerte Anpassungs- und Einfühlungs¬ vermögen, dus nnr im Heute lebt und alles, Was noch gestern und vorgestern gewesen, wie einen bösen Traum von sich abschüttelt. Das geistige Parvenütum, dus sich von Wien ans wie ein schmutziger Strom über die deutschen Hanptstädie, insbesondere über Berlin und München ergossen hat, hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/348>, abgerufen am 08.05.2024.