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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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anrüchigen Gesinnungen und von sentimen¬
talen Unmöglichkeiten, daß man das Buch
mit einem herzlich schlechten Geschmack auf der
Zunge fortlegt. Man braucht ganz gewiß
nicht Prüde zu sein, um den Stilgebauerschen
Roman als beträchtliche Herausforderung zu
empfinden. Er ist so skrupellos in der Wahl
seiner Mittel, so durchsichtig in der Art seiner
verderblichen Spekulation, daß man ihn ebenso¬
gut aus ästhetischen wie aus moralischen
Gründen verwerfen muß. Die deutsche Lite¬
ratur hat auf keinen Fall mit Dingen dieser
Art zu schassen. Sie wird es ganz entschieden
ablehnen, mit den Ausgeburten einer Phan¬
tasie behelligt zu werden, die unverkennbar auf
der Hintertreppe zu Hause ist. Und sie wird
ferner, schon aus Selbsterhaltungstrieb, un¬
erbittlich darauf dringen, daß Bücher dieser
Art möglichst weithin sichtbar mit der war¬
nenden Aufschrift "Giftl" versehen werden.

Dr. Arthur Westxha
Aunst

L. Potpeschnigg. "Aus der Kindheit
bildender Kunst." (Säemann-Schriften für
Erziehung und Unterricht. Heft 2) Leipzig,
Teubner. 1912. 1,60 M.


[Spaltenumbruch]

schönen entstanden ist, die andere, zu der
hauptsächlich die Ethnologen (E. Grosse,
K. von den Steinen u. a.) gehören, macht
geltend, daß es eine durch lange Übung
thematisierte Darstellung eines Naturgegen¬
standes, also erst das Endprodukt einer Ent¬
wicklung ist, auch sprachlich nicht als Orna¬
ment, sondern als der konkrete Gegenstand,
den es nachbildet, empfunden wird. Die
letztere Meinung erhält nun eine höchst be¬
achtenswerte Stütze in der vorliegenden, sorg¬
fältig gearbeiteten kleinen Schrift einer Zeichen¬
lehrerin. Sie betont nachdrücklich, daß kein
Kind aus sich selbst heraus darauf kommt,
ein Ornament zu zeichnen, daß vielmehr
Darstellung eines Objektes stets der Aus¬
gangspunkt der Zeichnung ist. "Kein Kind
bringt an seiner Zeichnung Verbesserungen
im Sinne einer genaueren Symmetrie oder
dergleichen an. -- Rhythmus und Symmetrie,
,die ewigen Postulate alles Kunstschaffens',
sind den Menschen gar nicht angeboren,
müssen mühsam erworben werden", und zwar
nicht innerhalb bildnerischer Tätigkeit, sondern
im Handwerk. Und ohne zu verkennen,
daß bei Kindern und bei Naturvölkern nicht
die gleichen Verhältnisse gegeben sind, schließt
sie: "Die Absicht auf Dekoration oder
Schmuck gehört gewiß nicht dem Anfange
einer Entwicklung darstellender Kunst an."
Sehr interessant sind auch die mitgeteilten
Beobachtungen über die Entwicklung kind¬
licher Darstellung, über Behandlung der
Plastik und die daraus sich ergebenden For¬
derungen für den Zeichenunterricht. Wer sich
mit den berührten Fragen beschäftigt, aber
auch, wer Verständnis gewinnen will für
Kinderzeichnungen, sei auf das mit vielen
Reproduktionen ausgestattete Büchlein nach¬
drücklich hingewiesen.

Dr. R. Schach [Ende Spaltensatz]

frei und selbständig aus Gefallen am Form¬




Maßgebliches und Unmaßgebliches

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anrüchigen Gesinnungen und von sentimen¬
talen Unmöglichkeiten, daß man das Buch
mit einem herzlich schlechten Geschmack auf der
Zunge fortlegt. Man braucht ganz gewiß
nicht Prüde zu sein, um den Stilgebauerschen
Roman als beträchtliche Herausforderung zu
empfinden. Er ist so skrupellos in der Wahl
seiner Mittel, so durchsichtig in der Art seiner
verderblichen Spekulation, daß man ihn ebenso¬
gut aus ästhetischen wie aus moralischen
Gründen verwerfen muß. Die deutsche Lite¬
ratur hat auf keinen Fall mit Dingen dieser
Art zu schassen. Sie wird es ganz entschieden
ablehnen, mit den Ausgeburten einer Phan¬
tasie behelligt zu werden, die unverkennbar auf
der Hintertreppe zu Hause ist. Und sie wird
ferner, schon aus Selbsterhaltungstrieb, un¬
erbittlich darauf dringen, daß Bücher dieser
Art möglichst weithin sichtbar mit der war¬
nenden Aufschrift „Giftl" versehen werden.

Dr. Arthur Westxha
Aunst

L. Potpeschnigg. „Aus der Kindheit
bildender Kunst." (Säemann-Schriften für
Erziehung und Unterricht. Heft 2) Leipzig,
Teubner. 1912. 1,60 M.


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schönen entstanden ist, die andere, zu der
hauptsächlich die Ethnologen (E. Grosse,
K. von den Steinen u. a.) gehören, macht
geltend, daß es eine durch lange Übung
thematisierte Darstellung eines Naturgegen¬
standes, also erst das Endprodukt einer Ent¬
wicklung ist, auch sprachlich nicht als Orna¬
ment, sondern als der konkrete Gegenstand,
den es nachbildet, empfunden wird. Die
letztere Meinung erhält nun eine höchst be¬
achtenswerte Stütze in der vorliegenden, sorg¬
fältig gearbeiteten kleinen Schrift einer Zeichen¬
lehrerin. Sie betont nachdrücklich, daß kein
Kind aus sich selbst heraus darauf kommt,
ein Ornament zu zeichnen, daß vielmehr
Darstellung eines Objektes stets der Aus¬
gangspunkt der Zeichnung ist. „Kein Kind
bringt an seiner Zeichnung Verbesserungen
im Sinne einer genaueren Symmetrie oder
dergleichen an. — Rhythmus und Symmetrie,
,die ewigen Postulate alles Kunstschaffens',
sind den Menschen gar nicht angeboren,
müssen mühsam erworben werden", und zwar
nicht innerhalb bildnerischer Tätigkeit, sondern
im Handwerk. Und ohne zu verkennen,
daß bei Kindern und bei Naturvölkern nicht
die gleichen Verhältnisse gegeben sind, schließt
sie: „Die Absicht auf Dekoration oder
Schmuck gehört gewiß nicht dem Anfange
einer Entwicklung darstellender Kunst an."
Sehr interessant sind auch die mitgeteilten
Beobachtungen über die Entwicklung kind¬
licher Darstellung, über Behandlung der
Plastik und die daraus sich ergebenden For¬
derungen für den Zeichenunterricht. Wer sich
mit den berührten Fragen beschäftigt, aber
auch, wer Verständnis gewinnen will für
Kinderzeichnungen, sei auf das mit vielen
Reproduktionen ausgestattete Büchlein nach¬
drücklich hingewiesen.

Dr. R. Schach [Ende Spaltensatz]

frei und selbständig aus Gefallen am Form¬




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/394>, abgerufen am 08.05.2024.