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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Goethe der Weise

Da rinnt in alle Runzeln, die Male Holtner im Gesichte hat, ein gütiges
Lachen, und sie sagt:

"Nein, auf Kerb darf man sich net lumpen lassen. Ich auch net!"

Sie greift in die Tasche des Rockes. Es klimpert darin. Male hat kein
Portemonnaie und keine Börse; sie trägt das Geld lose in der Tasche. Indem
sie den Rock nach hinten spannt, krabscht sie es zusammen und streicht es auf der
flachen Hand auseinander:

"So reich wie unsere zwei Herrn bin ich jo net, Karl, aber für 5 Mark
langt's doch noch! Da!"

Karl ist sprachlos. Er guckt die Dreie der Reihe nach an. Die Lippen
stehen ihm leise auseinander. Nach einer Weile aber sagt er:

,Meroö auch, mereS auch! Aber ich weiß wirklich net, wie ich das alles
ausgeben soll!"

"Na, geh nur matt" meint Harnes Holtner, "das wird sich schon finden!
So ein paar Flaschen Wein reißen ins Geld. Brauchst keinen Rachenputzer zu
trinken, das ist net nötig. Jetzert allo, zieh dein Säckchen an und mach dich
fertig!"

Karl fährt in seinen Rock, wischt den Mund ab, an dem noch einige Kuchen¬
krümchen hängen, setzt den Hut auf und geht:

"Na, dann adscheh beisammen!" Sieben Uhr komm ich heim und futter
die Gaul!"

"Das ist net notwendig!" entgegnet Hannes Holtner. "Amesier du dich nur!
Ich mach die Gaul heut selber! Laß dir von der Tante Male den Torschlüssel
geben, kannst du heimkommen, wann du willst. Allo, Male, geb dem Bub den
Torschlüssel!" (Fortsetzung folgt)


Goethe der Weise Houston Stewart Lhamberlain Von

Wir entnehmen diesen Aufsatz dem soeben erschienenen umfangreichen
Werk Chamberlains über Goethe. (Verlag von F. Bruckmann A-G
..
Die Schriftltg. München 1912. Preis brosch. 16 M.)

l velde ist, glaube ich, der weiseste Mensch, von dem wir Kunde
besitzen; jedenfalls bildet der Besitz wahrer Weisheit ein hervor¬
ragendes Kennzeichen dieses Mannes unter anderen bedeutendsten
Männern. Er ist nicht Religionsstifter, nicht Verkünder einer
philosophischen Doktrin, nicht stupender Gelehrter, noch träumt
er von sozialpolitischer Allbeglückung; vielmehr steht er zu allen derartigen
Geistesrichtungen in einem Widerspruch, der ihn solchen Männern gegenüber


Goethe der Weise

Da rinnt in alle Runzeln, die Male Holtner im Gesichte hat, ein gütiges
Lachen, und sie sagt:

„Nein, auf Kerb darf man sich net lumpen lassen. Ich auch net!"

Sie greift in die Tasche des Rockes. Es klimpert darin. Male hat kein
Portemonnaie und keine Börse; sie trägt das Geld lose in der Tasche. Indem
sie den Rock nach hinten spannt, krabscht sie es zusammen und streicht es auf der
flachen Hand auseinander:

„So reich wie unsere zwei Herrn bin ich jo net, Karl, aber für 5 Mark
langt's doch noch! Da!"

Karl ist sprachlos. Er guckt die Dreie der Reihe nach an. Die Lippen
stehen ihm leise auseinander. Nach einer Weile aber sagt er:

,Meroö auch, mereS auch! Aber ich weiß wirklich net, wie ich das alles
ausgeben soll!"

„Na, geh nur matt" meint Harnes Holtner, „das wird sich schon finden!
So ein paar Flaschen Wein reißen ins Geld. Brauchst keinen Rachenputzer zu
trinken, das ist net nötig. Jetzert allo, zieh dein Säckchen an und mach dich
fertig!"

Karl fährt in seinen Rock, wischt den Mund ab, an dem noch einige Kuchen¬
krümchen hängen, setzt den Hut auf und geht:

„Na, dann adscheh beisammen!" Sieben Uhr komm ich heim und futter
die Gaul!"

„Das ist net notwendig!" entgegnet Hannes Holtner. „Amesier du dich nur!
Ich mach die Gaul heut selber! Laß dir von der Tante Male den Torschlüssel
geben, kannst du heimkommen, wann du willst. Allo, Male, geb dem Bub den
Torschlüssel!" (Fortsetzung folgt)


Goethe der Weise Houston Stewart Lhamberlain Von

Wir entnehmen diesen Aufsatz dem soeben erschienenen umfangreichen
Werk Chamberlains über Goethe. (Verlag von F. Bruckmann A-G
..
Die Schriftltg. München 1912. Preis brosch. 16 M.)

l velde ist, glaube ich, der weiseste Mensch, von dem wir Kunde
besitzen; jedenfalls bildet der Besitz wahrer Weisheit ein hervor¬
ragendes Kennzeichen dieses Mannes unter anderen bedeutendsten
Männern. Er ist nicht Religionsstifter, nicht Verkünder einer
philosophischen Doktrin, nicht stupender Gelehrter, noch träumt
er von sozialpolitischer Allbeglückung; vielmehr steht er zu allen derartigen
Geistesrichtungen in einem Widerspruch, der ihn solchen Männern gegenüber


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[0437] Goethe der Weise Da rinnt in alle Runzeln, die Male Holtner im Gesichte hat, ein gütiges Lachen, und sie sagt: „Nein, auf Kerb darf man sich net lumpen lassen. Ich auch net!" Sie greift in die Tasche des Rockes. Es klimpert darin. Male hat kein Portemonnaie und keine Börse; sie trägt das Geld lose in der Tasche. Indem sie den Rock nach hinten spannt, krabscht sie es zusammen und streicht es auf der flachen Hand auseinander: „So reich wie unsere zwei Herrn bin ich jo net, Karl, aber für 5 Mark langt's doch noch! Da!" Karl ist sprachlos. Er guckt die Dreie der Reihe nach an. Die Lippen stehen ihm leise auseinander. Nach einer Weile aber sagt er: ,Meroö auch, mereS auch! Aber ich weiß wirklich net, wie ich das alles ausgeben soll!" „Na, geh nur matt" meint Harnes Holtner, „das wird sich schon finden! So ein paar Flaschen Wein reißen ins Geld. Brauchst keinen Rachenputzer zu trinken, das ist net nötig. Jetzert allo, zieh dein Säckchen an und mach dich fertig!" Karl fährt in seinen Rock, wischt den Mund ab, an dem noch einige Kuchen¬ krümchen hängen, setzt den Hut auf und geht: „Na, dann adscheh beisammen!" Sieben Uhr komm ich heim und futter die Gaul!" „Das ist net notwendig!" entgegnet Hannes Holtner. „Amesier du dich nur! Ich mach die Gaul heut selber! Laß dir von der Tante Male den Torschlüssel geben, kannst du heimkommen, wann du willst. Allo, Male, geb dem Bub den Torschlüssel!" (Fortsetzung folgt) Goethe der Weise Houston Stewart Lhamberlain Von Wir entnehmen diesen Aufsatz dem soeben erschienenen umfangreichen Werk Chamberlains über Goethe. (Verlag von F. Bruckmann A-G .. Die Schriftltg. München 1912. Preis brosch. 16 M.) l velde ist, glaube ich, der weiseste Mensch, von dem wir Kunde besitzen; jedenfalls bildet der Besitz wahrer Weisheit ein hervor¬ ragendes Kennzeichen dieses Mannes unter anderen bedeutendsten Männern. Er ist nicht Religionsstifter, nicht Verkünder einer philosophischen Doktrin, nicht stupender Gelehrter, noch träumt er von sozialpolitischer Allbeglückung; vielmehr steht er zu allen derartigen Geistesrichtungen in einem Widerspruch, der ihn solchen Männern gegenüber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/437>, abgerufen am 08.05.2024.