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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Wünsche an Herrn von Jagow

mir in einem peinlichen Kontrast zu dem inneren Gehalt des Ringes zu stehen,
wenn in der Kampfszene zwischen Hunding und Siegmund Brunhild plötzlich
schwebend über den Kämpfenden erscheint. Dazu kommt eine merkwürdige
Vorliebe für ein Gewirr von Feuerwerkeffekten. Erda erscheint nie anders als
in irgendeinem bengalischen Lichte. Irgendwo donnert, leuchtet, blitzt es fast
immer. Und stört auf diese Weise das ernste, einfache Spiel, in dem eine
Götterwelt zugrunde geht.

Das sind gewiß Kleinigkeiten, und doch lehnen wir heute entschieden viel
von der Gesamtwirkung ab, wenn man diese Fremdkörper nicht überall beseitigt,
wo sie nicht absolut notwendig sind. Sie sind in dem großen Werke selbst so
störend, wie manche unsympathische Episode in dem Leben seines Schöpfers.
Nur kleinen Seelen wird dadurch das Bild seines solchen verzerrt. Zumal
wir nichts an der Tatsache ändern können, daß ein Größter unserer Zeit un¬
angenehme Kleinheiten zeigte.

Hier aber können wir Schwächen tilgen, können sein Werk veredeln, das
er uns nicht zur Mumifizierung hinterließ, sondern zum ewigen Fortleben.

Und dazu gehört ein immerwährendes Mühen und Weiterbauen.



Wünsche an Herrn von Jagow

adretter, als nach Lage der Dinge und infolge vieler bei solchem
Anlaß zu erledigender formaler Geschäfte zu erwarten war, hat
sich in der Person des bisherigen Botschafters zu Rom, Gottlieb
von Jagow, der Nachfolger für den plötzlich dahingerafften Staats¬
sekretär von Kiderlen gefunden. Den neuen Herrn kennen
wir nicht und die Tageszeitungen, die mit spaltenlangen Artikeln über ihn auf¬
warteten, haben nichts gebracht, was unsere Haltung irgendwie beeinflussen könnte.
Somit entzieht es sich auch vorläufig unserer Kenntnis, was Herr von Jagow als
Chef des Auswärtigen Amts und als technischer Mitarbeiter des gegenwärtig
amtierenden Reichskanzlers wird leisten können.


Wünsche an Herrn von Jagow

mir in einem peinlichen Kontrast zu dem inneren Gehalt des Ringes zu stehen,
wenn in der Kampfszene zwischen Hunding und Siegmund Brunhild plötzlich
schwebend über den Kämpfenden erscheint. Dazu kommt eine merkwürdige
Vorliebe für ein Gewirr von Feuerwerkeffekten. Erda erscheint nie anders als
in irgendeinem bengalischen Lichte. Irgendwo donnert, leuchtet, blitzt es fast
immer. Und stört auf diese Weise das ernste, einfache Spiel, in dem eine
Götterwelt zugrunde geht.

Das sind gewiß Kleinigkeiten, und doch lehnen wir heute entschieden viel
von der Gesamtwirkung ab, wenn man diese Fremdkörper nicht überall beseitigt,
wo sie nicht absolut notwendig sind. Sie sind in dem großen Werke selbst so
störend, wie manche unsympathische Episode in dem Leben seines Schöpfers.
Nur kleinen Seelen wird dadurch das Bild seines solchen verzerrt. Zumal
wir nichts an der Tatsache ändern können, daß ein Größter unserer Zeit un¬
angenehme Kleinheiten zeigte.

Hier aber können wir Schwächen tilgen, können sein Werk veredeln, das
er uns nicht zur Mumifizierung hinterließ, sondern zum ewigen Fortleben.

Und dazu gehört ein immerwährendes Mühen und Weiterbauen.



Wünsche an Herrn von Jagow

adretter, als nach Lage der Dinge und infolge vieler bei solchem
Anlaß zu erledigender formaler Geschäfte zu erwarten war, hat
sich in der Person des bisherigen Botschafters zu Rom, Gottlieb
von Jagow, der Nachfolger für den plötzlich dahingerafften Staats¬
sekretär von Kiderlen gefunden. Den neuen Herrn kennen
wir nicht und die Tageszeitungen, die mit spaltenlangen Artikeln über ihn auf¬
warteten, haben nichts gebracht, was unsere Haltung irgendwie beeinflussen könnte.
Somit entzieht es sich auch vorläufig unserer Kenntnis, was Herr von Jagow als
Chef des Auswärtigen Amts und als technischer Mitarbeiter des gegenwärtig
amtierenden Reichskanzlers wird leisten können.


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[0156] Wünsche an Herrn von Jagow mir in einem peinlichen Kontrast zu dem inneren Gehalt des Ringes zu stehen, wenn in der Kampfszene zwischen Hunding und Siegmund Brunhild plötzlich schwebend über den Kämpfenden erscheint. Dazu kommt eine merkwürdige Vorliebe für ein Gewirr von Feuerwerkeffekten. Erda erscheint nie anders als in irgendeinem bengalischen Lichte. Irgendwo donnert, leuchtet, blitzt es fast immer. Und stört auf diese Weise das ernste, einfache Spiel, in dem eine Götterwelt zugrunde geht. Das sind gewiß Kleinigkeiten, und doch lehnen wir heute entschieden viel von der Gesamtwirkung ab, wenn man diese Fremdkörper nicht überall beseitigt, wo sie nicht absolut notwendig sind. Sie sind in dem großen Werke selbst so störend, wie manche unsympathische Episode in dem Leben seines Schöpfers. Nur kleinen Seelen wird dadurch das Bild seines solchen verzerrt. Zumal wir nichts an der Tatsache ändern können, daß ein Größter unserer Zeit un¬ angenehme Kleinheiten zeigte. Hier aber können wir Schwächen tilgen, können sein Werk veredeln, das er uns nicht zur Mumifizierung hinterließ, sondern zum ewigen Fortleben. Und dazu gehört ein immerwährendes Mühen und Weiterbauen. [Abbildung] Wünsche an Herrn von Jagow adretter, als nach Lage der Dinge und infolge vieler bei solchem Anlaß zu erledigender formaler Geschäfte zu erwarten war, hat sich in der Person des bisherigen Botschafters zu Rom, Gottlieb von Jagow, der Nachfolger für den plötzlich dahingerafften Staats¬ sekretär von Kiderlen gefunden. Den neuen Herrn kennen wir nicht und die Tageszeitungen, die mit spaltenlangen Artikeln über ihn auf¬ warteten, haben nichts gebracht, was unsere Haltung irgendwie beeinflussen könnte. Somit entzieht es sich auch vorläufig unserer Kenntnis, was Herr von Jagow als Chef des Auswärtigen Amts und als technischer Mitarbeiter des gegenwärtig amtierenden Reichskanzlers wird leisten können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/156>, abgerufen am 04.05.2024.