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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Artikel "Die deutsche Kultur im Spiegel des
Bedeutungslehnworts", der offen erkenne"
läßt, wieviel wir in der Kultur und demnach
auch in der Sprache fremden Völkern ver¬
danken, vor allein den Römern und Fran¬
zosen. Die "Deutschen Kinderspiele" werden
in fesselnder Art zusammengestellt und auf
uralte indogermanische Kulthandlungen zurück¬
geführt. Auch ist es nicht zu verwundern,
daß der kundige Sammler und Denker der
"Schweizer Märchen" in einem Aufsatz "Die
Zwergsäger in der Schweiz" manches Neue
bringt, das auf Zustimmung, in einigen
Punkten vielleicht auch auf leisen Widerspruch
stoßen dürfte. Das alte Problem einer
"mittelhochdeutschen Schriftsprache" wird eben¬
falls untersucht und durch den methodisch
vorbildlichen Weg, den Singer dabei ein¬
schlägt, energisch gefördert.

Wissenschafilichen Charakter -- und darum
nur für die zünftigen Kreise bestimmt --
tragen die meisten übrigen Aufsätze, die sich
mit der Literatur des Mittelnlters beschäf¬
tigen; hier tritt singers Belesenheit und
Gelehrsamkeit zutage, aber auch seine Dar¬
stellungsgabe; er häuft das unverarbeitete
Material nicht nur vor uns auf, sondern er
weiß die rohen Stoffmassen zu durchdringen
und, mögen sie nun lateinischen, deutschen,
französischen, englischen Quellen entstammen,
in lichtvolle und klärende Beziehungen zuein¬
ander zu setzen. Besonders möchte ich als
Beleg hierfür den großen Artikel über "Apollo-
nius von Thrus" hervorheben, der aus zwei
Rezensionen hervorgegangen ist und manche
Nachträge zu den früheren Arbeiten des Ver¬
fassers auf diesem Gebiete bringt. "

Am anziehendsten ist der letzte Aufsatz
über Richard Heinzel, den plötzlich dahin¬
gegangenen bedeutenden Wiener Germanisten;
an der Hand des unveröffentlichten Brief¬
wechsels mit Wilhelm Scherer geht Singer
den Beziehungen der beiden vorbildlichen
Gelehrten nach und entwirft ein anziehendes
Bild aus jener Jugendzeit unserer Wissen¬
schaft. Alle die großen Fragen, die heute im
allgemeinen feststehen, tauchen darin zum
erstenmal auf; der männliche, begeisterungs¬
freudige, hochsinnige Charakter Scherers, seine
tiefschürfende Art, die neuen und wichtigen
Probleme zu entdecken und anzufassen, treten

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uns leuchtend entgegen; von der langsamen
und bis in die letzten Lebensjahre hie und
da sich ändernden Entwicklung des jungen
Heinzel zum Forschor und Menschen erhalten
wir ein fesselndes Bild. Kein Student der
Germanistik darf diese beiden Aufsätze un-
gelesen lassen I Möchte es Singer vergönnt
sein, uns dereinst ein Gesamtbild Heinzels zu
geben, das neben Scherers Grimm und
Müllenhosf zu stehen verdient!

Dr. Q.'olfgaug Stammler
"Des Freiherr" von der Trennt merk¬
würdige Lebensneschichte" ist von Gustav
Gugitz bei Georg Müller (München) neu her¬
ausgegeben. Buchschmuck von Paul Rennert,
2 Bände mit zahlreichen Bildbeigaben M. 8,
geb. M. 12.

In buchtechuischer Hinsicht verdient die
Ausgabe, wie alles, was in den letzten Jahren
bei Georg Müller erschienen ist, uneingeschränk¬
tes Lob. Die Wiedergabe der alten Stiche,
Porträts, Abbildungen der Trenckbecher, Druck¬
spiegel, Papier, Einband -- alles das zeugt
von dem hohen Standpunkt unserer neuen
Buchkunst, zu deren Ausbau Müllers Verlag
nicht am wenigsten beigetragen hat. Gugitz
hat die vier Bände der Originalausgabe
zusammengeschweißt und die langen und oft
wirklich langweiligen Betrachtungen im Stile
der sentimentalischen Reisen gekürzt; ein wirk¬
licher Vorteil für den heutigen Leser, der trotz
Wilhelm Raabe auf eine objektive Dar¬
stellungsart Anspruch zu machen gewöhnt ist.
Die biographischen Anmerkungen sind fleißig
zusammengesucht und beweisen, daß Trennt
sich in fast allen Fällen auf sein Gedächtnis
verlassen konnte. Zu der Anmerkung über
Bahrdt lit S- 72) könnte hinzugefügt werden:
derselbe B., den Goethe in seinem "Prolog
zu den neuesten Offenbarungen Gottes" ver¬
höhnte. Ohne derartige Beziehungen haben
die Anmerkungen eigentlich keinen rechten
Zweck. Hhndford hat mit Friedrichs Minister
Podewils den Breslauer Frieden vermittelt,
aber kaum "geschlossen", was Gugitz aus
Vehse kritiklos übernommen hat.

Mir scheint, daß der Herausgeber -- auf
Grund von Carlyles Abneigung? -- zu sehr
gegen Trennt eingenommen ist. Die harte
Beurteilung Josephs des Zweiten, einige

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Artikel „Die deutsche Kultur im Spiegel des
Bedeutungslehnworts", der offen erkenne»
läßt, wieviel wir in der Kultur und demnach
auch in der Sprache fremden Völkern ver¬
danken, vor allein den Römern und Fran¬
zosen. Die „Deutschen Kinderspiele" werden
in fesselnder Art zusammengestellt und auf
uralte indogermanische Kulthandlungen zurück¬
geführt. Auch ist es nicht zu verwundern,
daß der kundige Sammler und Denker der
„Schweizer Märchen" in einem Aufsatz „Die
Zwergsäger in der Schweiz" manches Neue
bringt, das auf Zustimmung, in einigen
Punkten vielleicht auch auf leisen Widerspruch
stoßen dürfte. Das alte Problem einer
„mittelhochdeutschen Schriftsprache" wird eben¬
falls untersucht und durch den methodisch
vorbildlichen Weg, den Singer dabei ein¬
schlägt, energisch gefördert.

Wissenschafilichen Charakter — und darum
nur für die zünftigen Kreise bestimmt —
tragen die meisten übrigen Aufsätze, die sich
mit der Literatur des Mittelnlters beschäf¬
tigen; hier tritt singers Belesenheit und
Gelehrsamkeit zutage, aber auch seine Dar¬
stellungsgabe; er häuft das unverarbeitete
Material nicht nur vor uns auf, sondern er
weiß die rohen Stoffmassen zu durchdringen
und, mögen sie nun lateinischen, deutschen,
französischen, englischen Quellen entstammen,
in lichtvolle und klärende Beziehungen zuein¬
ander zu setzen. Besonders möchte ich als
Beleg hierfür den großen Artikel über „Apollo-
nius von Thrus" hervorheben, der aus zwei
Rezensionen hervorgegangen ist und manche
Nachträge zu den früheren Arbeiten des Ver¬
fassers auf diesem Gebiete bringt. «

Am anziehendsten ist der letzte Aufsatz
über Richard Heinzel, den plötzlich dahin¬
gegangenen bedeutenden Wiener Germanisten;
an der Hand des unveröffentlichten Brief¬
wechsels mit Wilhelm Scherer geht Singer
den Beziehungen der beiden vorbildlichen
Gelehrten nach und entwirft ein anziehendes
Bild aus jener Jugendzeit unserer Wissen¬
schaft. Alle die großen Fragen, die heute im
allgemeinen feststehen, tauchen darin zum
erstenmal auf; der männliche, begeisterungs¬
freudige, hochsinnige Charakter Scherers, seine
tiefschürfende Art, die neuen und wichtigen
Probleme zu entdecken und anzufassen, treten

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uns leuchtend entgegen; von der langsamen
und bis in die letzten Lebensjahre hie und
da sich ändernden Entwicklung des jungen
Heinzel zum Forschor und Menschen erhalten
wir ein fesselndes Bild. Kein Student der
Germanistik darf diese beiden Aufsätze un-
gelesen lassen I Möchte es Singer vergönnt
sein, uns dereinst ein Gesamtbild Heinzels zu
geben, das neben Scherers Grimm und
Müllenhosf zu stehen verdient!

Dr. Q.'olfgaug Stammler
„Des Freiherr» von der Trennt merk¬
würdige Lebensneschichte" ist von Gustav
Gugitz bei Georg Müller (München) neu her¬
ausgegeben. Buchschmuck von Paul Rennert,
2 Bände mit zahlreichen Bildbeigaben M. 8,
geb. M. 12.

In buchtechuischer Hinsicht verdient die
Ausgabe, wie alles, was in den letzten Jahren
bei Georg Müller erschienen ist, uneingeschränk¬
tes Lob. Die Wiedergabe der alten Stiche,
Porträts, Abbildungen der Trenckbecher, Druck¬
spiegel, Papier, Einband — alles das zeugt
von dem hohen Standpunkt unserer neuen
Buchkunst, zu deren Ausbau Müllers Verlag
nicht am wenigsten beigetragen hat. Gugitz
hat die vier Bände der Originalausgabe
zusammengeschweißt und die langen und oft
wirklich langweiligen Betrachtungen im Stile
der sentimentalischen Reisen gekürzt; ein wirk¬
licher Vorteil für den heutigen Leser, der trotz
Wilhelm Raabe auf eine objektive Dar¬
stellungsart Anspruch zu machen gewöhnt ist.
Die biographischen Anmerkungen sind fleißig
zusammengesucht und beweisen, daß Trennt
sich in fast allen Fällen auf sein Gedächtnis
verlassen konnte. Zu der Anmerkung über
Bahrdt lit S- 72) könnte hinzugefügt werden:
derselbe B., den Goethe in seinem „Prolog
zu den neuesten Offenbarungen Gottes" ver¬
höhnte. Ohne derartige Beziehungen haben
die Anmerkungen eigentlich keinen rechten
Zweck. Hhndford hat mit Friedrichs Minister
Podewils den Breslauer Frieden vermittelt,
aber kaum „geschlossen", was Gugitz aus
Vehse kritiklos übernommen hat.

Mir scheint, daß der Herausgeber — auf
Grund von Carlyles Abneigung? — zu sehr
gegen Trennt eingenommen ist. Die harte
Beurteilung Josephs des Zweiten, einige

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[0206] Maßgebliches und Unmaßgebliches Artikel „Die deutsche Kultur im Spiegel des Bedeutungslehnworts", der offen erkenne» läßt, wieviel wir in der Kultur und demnach auch in der Sprache fremden Völkern ver¬ danken, vor allein den Römern und Fran¬ zosen. Die „Deutschen Kinderspiele" werden in fesselnder Art zusammengestellt und auf uralte indogermanische Kulthandlungen zurück¬ geführt. Auch ist es nicht zu verwundern, daß der kundige Sammler und Denker der „Schweizer Märchen" in einem Aufsatz „Die Zwergsäger in der Schweiz" manches Neue bringt, das auf Zustimmung, in einigen Punkten vielleicht auch auf leisen Widerspruch stoßen dürfte. Das alte Problem einer „mittelhochdeutschen Schriftsprache" wird eben¬ falls untersucht und durch den methodisch vorbildlichen Weg, den Singer dabei ein¬ schlägt, energisch gefördert. Wissenschafilichen Charakter — und darum nur für die zünftigen Kreise bestimmt — tragen die meisten übrigen Aufsätze, die sich mit der Literatur des Mittelnlters beschäf¬ tigen; hier tritt singers Belesenheit und Gelehrsamkeit zutage, aber auch seine Dar¬ stellungsgabe; er häuft das unverarbeitete Material nicht nur vor uns auf, sondern er weiß die rohen Stoffmassen zu durchdringen und, mögen sie nun lateinischen, deutschen, französischen, englischen Quellen entstammen, in lichtvolle und klärende Beziehungen zuein¬ ander zu setzen. Besonders möchte ich als Beleg hierfür den großen Artikel über „Apollo- nius von Thrus" hervorheben, der aus zwei Rezensionen hervorgegangen ist und manche Nachträge zu den früheren Arbeiten des Ver¬ fassers auf diesem Gebiete bringt. « Am anziehendsten ist der letzte Aufsatz über Richard Heinzel, den plötzlich dahin¬ gegangenen bedeutenden Wiener Germanisten; an der Hand des unveröffentlichten Brief¬ wechsels mit Wilhelm Scherer geht Singer den Beziehungen der beiden vorbildlichen Gelehrten nach und entwirft ein anziehendes Bild aus jener Jugendzeit unserer Wissen¬ schaft. Alle die großen Fragen, die heute im allgemeinen feststehen, tauchen darin zum erstenmal auf; der männliche, begeisterungs¬ freudige, hochsinnige Charakter Scherers, seine tiefschürfende Art, die neuen und wichtigen Probleme zu entdecken und anzufassen, treten uns leuchtend entgegen; von der langsamen und bis in die letzten Lebensjahre hie und da sich ändernden Entwicklung des jungen Heinzel zum Forschor und Menschen erhalten wir ein fesselndes Bild. Kein Student der Germanistik darf diese beiden Aufsätze un- gelesen lassen I Möchte es Singer vergönnt sein, uns dereinst ein Gesamtbild Heinzels zu geben, das neben Scherers Grimm und Müllenhosf zu stehen verdient! Dr. Q.'olfgaug Stammler „Des Freiherr» von der Trennt merk¬ würdige Lebensneschichte" ist von Gustav Gugitz bei Georg Müller (München) neu her¬ ausgegeben. Buchschmuck von Paul Rennert, 2 Bände mit zahlreichen Bildbeigaben M. 8, geb. M. 12. In buchtechuischer Hinsicht verdient die Ausgabe, wie alles, was in den letzten Jahren bei Georg Müller erschienen ist, uneingeschränk¬ tes Lob. Die Wiedergabe der alten Stiche, Porträts, Abbildungen der Trenckbecher, Druck¬ spiegel, Papier, Einband — alles das zeugt von dem hohen Standpunkt unserer neuen Buchkunst, zu deren Ausbau Müllers Verlag nicht am wenigsten beigetragen hat. Gugitz hat die vier Bände der Originalausgabe zusammengeschweißt und die langen und oft wirklich langweiligen Betrachtungen im Stile der sentimentalischen Reisen gekürzt; ein wirk¬ licher Vorteil für den heutigen Leser, der trotz Wilhelm Raabe auf eine objektive Dar¬ stellungsart Anspruch zu machen gewöhnt ist. Die biographischen Anmerkungen sind fleißig zusammengesucht und beweisen, daß Trennt sich in fast allen Fällen auf sein Gedächtnis verlassen konnte. Zu der Anmerkung über Bahrdt lit S- 72) könnte hinzugefügt werden: derselbe B., den Goethe in seinem „Prolog zu den neuesten Offenbarungen Gottes" ver¬ höhnte. Ohne derartige Beziehungen haben die Anmerkungen eigentlich keinen rechten Zweck. Hhndford hat mit Friedrichs Minister Podewils den Breslauer Frieden vermittelt, aber kaum „geschlossen", was Gugitz aus Vehse kritiklos übernommen hat. Mir scheint, daß der Herausgeber — auf Grund von Carlyles Abneigung? — zu sehr gegen Trennt eingenommen ist. Die harte Beurteilung Josephs des Zweiten, einige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/206>, abgerufen am 04.05.2024.