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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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T>er neue Träger des Volks-Hchillerpreises
Dr. Karl Freye von in

ulenberg ist alles Gute zu wünschen, auch der Volks-Schillerpreis.
Aber für sein Liebesstück "Belinde" hat er ihn nicht verdient.

Denn "Belinde" ist gar kein Drama. Es ist ein Plan, eine
Skizze, die den Leser (gesehen habe ich das Stück noch nicht)
durchaus nicht befriedigt, wenn auch ihre Hauptentwicklung
energische Richtung hat. Hier ist Gerippe, aber kein Fleisch. Und leider ist
noch ein zweiter großer Mangel da: Eulenbergs Manier ist hier in uner¬
träglicher Art versteinert und hervorgetrieben. Seine Neigung. Komik und
Tragik zu mischen, ist ganz willkürlich betont, bis zum Läppischen. Und es ist
zu befürchten, daß Eulenberg der plötzliche Erfolg dieses Stückes im doppelten
Sinne schadet: einmal in der Meinung des Publikums, das ihn gerade nach
dieseni Werk beurteilen wird, dann in seiner eigenen Überzeugung von seinem
Können.

Eulenberg selbst wird nichts davon zugeben wollen. Aber man soll es
ihm um so mehr sagen, daß er irrt oder zu irren droht. Er schreibt neuer¬
dings seine Dramen so rasch, daß man staunend in einem gereimten Bekenntnis
von der übermäßig peinigenden Selbstkritik las, die er an seinem Schaffen übe.
Und er hat sich theoretisch verrannt. Er will durchaus auf eine Mischgattung
der Tragikomödie hinaus, die ihn in dieser einseitigen Bevorzugung nicht mehr
zur vollen Entfaltung seiner poetischen Fähigkeiten kommen läßt.

Gerade die neueren Werke Eulenbergs sind von Mitschaffenden höchlich
gelobt. Dehmel in seiner Arbeit "Tragik und Drama", die er seiner Tragi¬
komödie "Der Mitmensch" vorangestellt hat, rühmt den "Natürlichen Vater",
und Frank Wedekind spricht bei dem gleichen Stück (das er sehr unsinnig mit
Niebergalls Lokalposse zusammenstellt) von einer "herrlichen Schöpfung", von
"vollendeter Form". Mit dem Lob dieses Stückes haben nun beide ohne
Zweifel recht, und rühmen muß man auch Eulenbergs echteste "Tragikomödie"
"Alles um Geld". Trotzdem aber sollte man den Dichter unablässig warnen,
in die Sphäre dieser beiden besonders stehenden Stücke sich zu bannen und sich
immer mehr Wedekinds Grotesken zu nähern. Gerade darin wird Eulenberg
von Freunden bestärkt; da heißt es in Peter Hamechers Büchlein über Eulen-




T>er neue Träger des Volks-Hchillerpreises
Dr. Karl Freye von in

ulenberg ist alles Gute zu wünschen, auch der Volks-Schillerpreis.
Aber für sein Liebesstück „Belinde" hat er ihn nicht verdient.

Denn „Belinde" ist gar kein Drama. Es ist ein Plan, eine
Skizze, die den Leser (gesehen habe ich das Stück noch nicht)
durchaus nicht befriedigt, wenn auch ihre Hauptentwicklung
energische Richtung hat. Hier ist Gerippe, aber kein Fleisch. Und leider ist
noch ein zweiter großer Mangel da: Eulenbergs Manier ist hier in uner¬
träglicher Art versteinert und hervorgetrieben. Seine Neigung. Komik und
Tragik zu mischen, ist ganz willkürlich betont, bis zum Läppischen. Und es ist
zu befürchten, daß Eulenberg der plötzliche Erfolg dieses Stückes im doppelten
Sinne schadet: einmal in der Meinung des Publikums, das ihn gerade nach
dieseni Werk beurteilen wird, dann in seiner eigenen Überzeugung von seinem
Können.

Eulenberg selbst wird nichts davon zugeben wollen. Aber man soll es
ihm um so mehr sagen, daß er irrt oder zu irren droht. Er schreibt neuer¬
dings seine Dramen so rasch, daß man staunend in einem gereimten Bekenntnis
von der übermäßig peinigenden Selbstkritik las, die er an seinem Schaffen übe.
Und er hat sich theoretisch verrannt. Er will durchaus auf eine Mischgattung
der Tragikomödie hinaus, die ihn in dieser einseitigen Bevorzugung nicht mehr
zur vollen Entfaltung seiner poetischen Fähigkeiten kommen läßt.

Gerade die neueren Werke Eulenbergs sind von Mitschaffenden höchlich
gelobt. Dehmel in seiner Arbeit „Tragik und Drama", die er seiner Tragi¬
komödie „Der Mitmensch" vorangestellt hat, rühmt den „Natürlichen Vater",
und Frank Wedekind spricht bei dem gleichen Stück (das er sehr unsinnig mit
Niebergalls Lokalposse zusammenstellt) von einer „herrlichen Schöpfung", von
„vollendeter Form". Mit dem Lob dieses Stückes haben nun beide ohne
Zweifel recht, und rühmen muß man auch Eulenbergs echteste „Tragikomödie"
„Alles um Geld". Trotzdem aber sollte man den Dichter unablässig warnen,
in die Sphäre dieser beiden besonders stehenden Stücke sich zu bannen und sich
immer mehr Wedekinds Grotesken zu nähern. Gerade darin wird Eulenberg
von Freunden bestärkt; da heißt es in Peter Hamechers Büchlein über Eulen-


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[0290] [Abbildung] T>er neue Träger des Volks-Hchillerpreises Dr. Karl Freye von in ulenberg ist alles Gute zu wünschen, auch der Volks-Schillerpreis. Aber für sein Liebesstück „Belinde" hat er ihn nicht verdient. Denn „Belinde" ist gar kein Drama. Es ist ein Plan, eine Skizze, die den Leser (gesehen habe ich das Stück noch nicht) durchaus nicht befriedigt, wenn auch ihre Hauptentwicklung energische Richtung hat. Hier ist Gerippe, aber kein Fleisch. Und leider ist noch ein zweiter großer Mangel da: Eulenbergs Manier ist hier in uner¬ träglicher Art versteinert und hervorgetrieben. Seine Neigung. Komik und Tragik zu mischen, ist ganz willkürlich betont, bis zum Läppischen. Und es ist zu befürchten, daß Eulenberg der plötzliche Erfolg dieses Stückes im doppelten Sinne schadet: einmal in der Meinung des Publikums, das ihn gerade nach dieseni Werk beurteilen wird, dann in seiner eigenen Überzeugung von seinem Können. Eulenberg selbst wird nichts davon zugeben wollen. Aber man soll es ihm um so mehr sagen, daß er irrt oder zu irren droht. Er schreibt neuer¬ dings seine Dramen so rasch, daß man staunend in einem gereimten Bekenntnis von der übermäßig peinigenden Selbstkritik las, die er an seinem Schaffen übe. Und er hat sich theoretisch verrannt. Er will durchaus auf eine Mischgattung der Tragikomödie hinaus, die ihn in dieser einseitigen Bevorzugung nicht mehr zur vollen Entfaltung seiner poetischen Fähigkeiten kommen läßt. Gerade die neueren Werke Eulenbergs sind von Mitschaffenden höchlich gelobt. Dehmel in seiner Arbeit „Tragik und Drama", die er seiner Tragi¬ komödie „Der Mitmensch" vorangestellt hat, rühmt den „Natürlichen Vater", und Frank Wedekind spricht bei dem gleichen Stück (das er sehr unsinnig mit Niebergalls Lokalposse zusammenstellt) von einer „herrlichen Schöpfung", von „vollendeter Form". Mit dem Lob dieses Stückes haben nun beide ohne Zweifel recht, und rühmen muß man auch Eulenbergs echteste „Tragikomödie" „Alles um Geld". Trotzdem aber sollte man den Dichter unablässig warnen, in die Sphäre dieser beiden besonders stehenden Stücke sich zu bannen und sich immer mehr Wedekinds Grotesken zu nähern. Gerade darin wird Eulenberg von Freunden bestärkt; da heißt es in Peter Hamechers Büchlein über Eulen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/290>, abgerufen am 04.05.2024.