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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

spielt die Wachsuggestion im menschlichen
Gemeinschaftsleben normalerweise eine solche
Rolle, daß sie sich in der Erziehung ohne
weiteres, auch wo sich der Erzieher dessen
gar nicht bewußt ist, geltend machen muß.
Die pädagogischen Ratschläge, die Guyau auf
dieser Erkenntnis aufbaut, sind gewiß nicht
durchaus neu, aber schon durch ihre Psycho¬
logische Begründung sicher wertvoll und daher
liegt der Wunsch nahe, daß sie in weitgehen¬
dem Maße beherzigt werden möchten. Die
Form, die Pinsk seinen Darstellungen gegeben
hat, ist dazu angetan, ihnen weite Verbreitung
zu sichern. Das kleine Buch ist ganz all¬
gemeinverständlich geschrieben, setzt gar keine
wissenschaftliche Kenntnis voraus, ist aber von
durchaus wissenschaftlichem Geist getragen.
Uns will es scheinen, daß es berufen ist, be¬
sonders Müttern kleiner Kinder wertvolle
Dienste zu leisten, denn gerade diese letzteren
sind ungemein suggestibel, d. h. für die Ein¬
führung wirksanier Faktoren in das Seelen¬
leben zugänglich -- eine Tatsache, die bei der
Erziehung gebührend berücksichtigt werden
M. U. sollte.

Geschichte

Paul Joachimsen: "Geschichtsauffassung
und Geschichtsschreibung in Deutschland
unter dem Einfluß des Humanismus." I.
Leipzig und Berlin, bei Teubner.

DieBetrachtung der wissenschaftlichen Denk¬
weise einer Epoche führt zur Kenntnis ihrer
gesamten geistigen Konstitution; für den Histo¬
riker muß es am nächsten liegen, sich in die
Auffassung der eigenen Disziplin in früherer
Zeit zu vertiefen. Gelingt es ihm, aus der
größeren oder geringeren Zahl der über¬
lieferten historischen Werke sich ein klares Bild
der Geschichtsauffassung zu machen, so liegen
die Ideen einer Periode vor ihm offen. Die
Schwierigkeit der Aufgabe liegt nicht allein
darin, alle Geschichtswerke jener Zeit zu
kennen, -- auch was geplant, aber nicht aus¬
geführt wurde, welche Aufnahme die Historiker
bei ihrem Publikum fanden,, muß berücksichtigt
werden,- und je einheitlicher das Denken einer
Epoche ist, je schärfer es sich von der vorher¬
gegangenen unterscheidet, um so leichter wird
sich der Forscher ein Bild, machen können.

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Für die Zeit des Humanismus > in
Deutschland hat der Münchner Historiker
Joachimsen dies unternommen, und sein Werk
muß über die Fachkreise hinaus Interesse er¬
regen,- weil die Philosophie des deutschen
Humanismus fast nur in Geschichtswerken
niedergelegt ist, und diese allein aus der großen
Zahl der humanistischen literarischen Erzeug¬
nisse Ewigkeitswert besitzen.

Nach einer kurzen Betrachtung der un¬
mittelbar vorhergehenden Geschichtsschreibung,
der minoritischen, fürstlichen und städtischen,
treten die großen Vorbilder, Petrarca, Bruni
mit seiner florentiner Geschichte, Biondo,
Lorenzo Valla und Enea Silvio auf, von
denen besonders der letzte durch seinen langen
Aufenthalt in Deutschland und den Stoff seiner
Werke auf die beginnende humanistische deutsche
Geschichtsschreibung einen starken Einfluß haben
mußte, diese ist zum Teil in ihren Problemen,
zum Teil der Form nach scholastisch, aber
in ihrem Streben, neue Quellen aufzufinden
und sie kritisch zu durchdringen, die eigene
persönliche Auffassung darzulegen, vor allem
aber in ihrem Patriotismus steht sie der
kommenden Generation nahe. Diese schafft
zunächst nach italienischem Vorbild die Welt¬
chroniken des Schedel und Nauklerus, um
uns dann in ihren glänzendsten Vertretern
Celtis, Hütten, Peutinger und seinem Kreis,
schließlich in Beatus Rhencmus' deutscher Ge¬
schichte auf den Höhepunkt humanistischer
Historiographie zu führen, ohne doch ein großes
abschließendes Werk hervorzubringen, wie es
die "(Zermania illustsaw" -- ein geographisch
angelegtes Kompendiuni über die ganze be¬
kannte Geschichte Deutschlands -- hätte werden
können. Das Entstehen dieses Planes, seine
Aufnahme bei dem Humaniftenkaiser Max und
die Verquickung mit dessen geneaologischen
Liebhabereien, sein Wiederaufleben im Kreis
des Nürnberger Pirkheimer, seine verfehlte
Verwirklichung durch JrenikuS, ähnliche Ver¬
suche Aventins und Münsters lehren uns den
"faustischen Allwissensdrang, die formalen Be¬
strebungen, den philosophischen und kulturellen
Optimismus" des deutschen Humanismus
kennen, um durch sein Scheitern in der Zeit
der Religionskämpfe zu beweisen, daß einem
solchen Werk, das jahrelange Arbeit gleich-
gesinnter Gelehrten forderte, der deutsche Hu-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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spielt die Wachsuggestion im menschlichen
Gemeinschaftsleben normalerweise eine solche
Rolle, daß sie sich in der Erziehung ohne
weiteres, auch wo sich der Erzieher dessen
gar nicht bewußt ist, geltend machen muß.
Die pädagogischen Ratschläge, die Guyau auf
dieser Erkenntnis aufbaut, sind gewiß nicht
durchaus neu, aber schon durch ihre Psycho¬
logische Begründung sicher wertvoll und daher
liegt der Wunsch nahe, daß sie in weitgehen¬
dem Maße beherzigt werden möchten. Die
Form, die Pinsk seinen Darstellungen gegeben
hat, ist dazu angetan, ihnen weite Verbreitung
zu sichern. Das kleine Buch ist ganz all¬
gemeinverständlich geschrieben, setzt gar keine
wissenschaftliche Kenntnis voraus, ist aber von
durchaus wissenschaftlichem Geist getragen.
Uns will es scheinen, daß es berufen ist, be¬
sonders Müttern kleiner Kinder wertvolle
Dienste zu leisten, denn gerade diese letzteren
sind ungemein suggestibel, d. h. für die Ein¬
führung wirksanier Faktoren in das Seelen¬
leben zugänglich — eine Tatsache, die bei der
Erziehung gebührend berücksichtigt werden
M. U. sollte.

Geschichte

Paul Joachimsen: „Geschichtsauffassung
und Geschichtsschreibung in Deutschland
unter dem Einfluß des Humanismus." I.
Leipzig und Berlin, bei Teubner.

DieBetrachtung der wissenschaftlichen Denk¬
weise einer Epoche führt zur Kenntnis ihrer
gesamten geistigen Konstitution; für den Histo¬
riker muß es am nächsten liegen, sich in die
Auffassung der eigenen Disziplin in früherer
Zeit zu vertiefen. Gelingt es ihm, aus der
größeren oder geringeren Zahl der über¬
lieferten historischen Werke sich ein klares Bild
der Geschichtsauffassung zu machen, so liegen
die Ideen einer Periode vor ihm offen. Die
Schwierigkeit der Aufgabe liegt nicht allein
darin, alle Geschichtswerke jener Zeit zu
kennen, — auch was geplant, aber nicht aus¬
geführt wurde, welche Aufnahme die Historiker
bei ihrem Publikum fanden,, muß berücksichtigt
werden,- und je einheitlicher das Denken einer
Epoche ist, je schärfer es sich von der vorher¬
gegangenen unterscheidet, um so leichter wird
sich der Forscher ein Bild, machen können.

[Spaltenumbruch]

Für die Zeit des Humanismus > in
Deutschland hat der Münchner Historiker
Joachimsen dies unternommen, und sein Werk
muß über die Fachkreise hinaus Interesse er¬
regen,- weil die Philosophie des deutschen
Humanismus fast nur in Geschichtswerken
niedergelegt ist, und diese allein aus der großen
Zahl der humanistischen literarischen Erzeug¬
nisse Ewigkeitswert besitzen.

Nach einer kurzen Betrachtung der un¬
mittelbar vorhergehenden Geschichtsschreibung,
der minoritischen, fürstlichen und städtischen,
treten die großen Vorbilder, Petrarca, Bruni
mit seiner florentiner Geschichte, Biondo,
Lorenzo Valla und Enea Silvio auf, von
denen besonders der letzte durch seinen langen
Aufenthalt in Deutschland und den Stoff seiner
Werke auf die beginnende humanistische deutsche
Geschichtsschreibung einen starken Einfluß haben
mußte, diese ist zum Teil in ihren Problemen,
zum Teil der Form nach scholastisch, aber
in ihrem Streben, neue Quellen aufzufinden
und sie kritisch zu durchdringen, die eigene
persönliche Auffassung darzulegen, vor allem
aber in ihrem Patriotismus steht sie der
kommenden Generation nahe. Diese schafft
zunächst nach italienischem Vorbild die Welt¬
chroniken des Schedel und Nauklerus, um
uns dann in ihren glänzendsten Vertretern
Celtis, Hütten, Peutinger und seinem Kreis,
schließlich in Beatus Rhencmus' deutscher Ge¬
schichte auf den Höhepunkt humanistischer
Historiographie zu führen, ohne doch ein großes
abschließendes Werk hervorzubringen, wie es
die „(Zermania illustsaw" — ein geographisch
angelegtes Kompendiuni über die ganze be¬
kannte Geschichte Deutschlands — hätte werden
können. Das Entstehen dieses Planes, seine
Aufnahme bei dem Humaniftenkaiser Max und
die Verquickung mit dessen geneaologischen
Liebhabereien, sein Wiederaufleben im Kreis
des Nürnberger Pirkheimer, seine verfehlte
Verwirklichung durch JrenikuS, ähnliche Ver¬
suche Aventins und Münsters lehren uns den
„faustischen Allwissensdrang, die formalen Be¬
strebungen, den philosophischen und kulturellen
Optimismus" des deutschen Humanismus
kennen, um durch sein Scheitern in der Zeit
der Religionskämpfe zu beweisen, daß einem
solchen Werk, das jahrelange Arbeit gleich-
gesinnter Gelehrten forderte, der deutsche Hu-

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[0594] Maßgebliches und Unmaßgebliches spielt die Wachsuggestion im menschlichen Gemeinschaftsleben normalerweise eine solche Rolle, daß sie sich in der Erziehung ohne weiteres, auch wo sich der Erzieher dessen gar nicht bewußt ist, geltend machen muß. Die pädagogischen Ratschläge, die Guyau auf dieser Erkenntnis aufbaut, sind gewiß nicht durchaus neu, aber schon durch ihre Psycho¬ logische Begründung sicher wertvoll und daher liegt der Wunsch nahe, daß sie in weitgehen¬ dem Maße beherzigt werden möchten. Die Form, die Pinsk seinen Darstellungen gegeben hat, ist dazu angetan, ihnen weite Verbreitung zu sichern. Das kleine Buch ist ganz all¬ gemeinverständlich geschrieben, setzt gar keine wissenschaftliche Kenntnis voraus, ist aber von durchaus wissenschaftlichem Geist getragen. Uns will es scheinen, daß es berufen ist, be¬ sonders Müttern kleiner Kinder wertvolle Dienste zu leisten, denn gerade diese letzteren sind ungemein suggestibel, d. h. für die Ein¬ führung wirksanier Faktoren in das Seelen¬ leben zugänglich — eine Tatsache, die bei der Erziehung gebührend berücksichtigt werden M. U. sollte. Geschichte Paul Joachimsen: „Geschichtsauffassung und Geschichtsschreibung in Deutschland unter dem Einfluß des Humanismus." I. Leipzig und Berlin, bei Teubner. DieBetrachtung der wissenschaftlichen Denk¬ weise einer Epoche führt zur Kenntnis ihrer gesamten geistigen Konstitution; für den Histo¬ riker muß es am nächsten liegen, sich in die Auffassung der eigenen Disziplin in früherer Zeit zu vertiefen. Gelingt es ihm, aus der größeren oder geringeren Zahl der über¬ lieferten historischen Werke sich ein klares Bild der Geschichtsauffassung zu machen, so liegen die Ideen einer Periode vor ihm offen. Die Schwierigkeit der Aufgabe liegt nicht allein darin, alle Geschichtswerke jener Zeit zu kennen, — auch was geplant, aber nicht aus¬ geführt wurde, welche Aufnahme die Historiker bei ihrem Publikum fanden,, muß berücksichtigt werden,- und je einheitlicher das Denken einer Epoche ist, je schärfer es sich von der vorher¬ gegangenen unterscheidet, um so leichter wird sich der Forscher ein Bild, machen können. Für die Zeit des Humanismus > in Deutschland hat der Münchner Historiker Joachimsen dies unternommen, und sein Werk muß über die Fachkreise hinaus Interesse er¬ regen,- weil die Philosophie des deutschen Humanismus fast nur in Geschichtswerken niedergelegt ist, und diese allein aus der großen Zahl der humanistischen literarischen Erzeug¬ nisse Ewigkeitswert besitzen. Nach einer kurzen Betrachtung der un¬ mittelbar vorhergehenden Geschichtsschreibung, der minoritischen, fürstlichen und städtischen, treten die großen Vorbilder, Petrarca, Bruni mit seiner florentiner Geschichte, Biondo, Lorenzo Valla und Enea Silvio auf, von denen besonders der letzte durch seinen langen Aufenthalt in Deutschland und den Stoff seiner Werke auf die beginnende humanistische deutsche Geschichtsschreibung einen starken Einfluß haben mußte, diese ist zum Teil in ihren Problemen, zum Teil der Form nach scholastisch, aber in ihrem Streben, neue Quellen aufzufinden und sie kritisch zu durchdringen, die eigene persönliche Auffassung darzulegen, vor allem aber in ihrem Patriotismus steht sie der kommenden Generation nahe. Diese schafft zunächst nach italienischem Vorbild die Welt¬ chroniken des Schedel und Nauklerus, um uns dann in ihren glänzendsten Vertretern Celtis, Hütten, Peutinger und seinem Kreis, schließlich in Beatus Rhencmus' deutscher Ge¬ schichte auf den Höhepunkt humanistischer Historiographie zu führen, ohne doch ein großes abschließendes Werk hervorzubringen, wie es die „(Zermania illustsaw" — ein geographisch angelegtes Kompendiuni über die ganze be¬ kannte Geschichte Deutschlands — hätte werden können. Das Entstehen dieses Planes, seine Aufnahme bei dem Humaniftenkaiser Max und die Verquickung mit dessen geneaologischen Liebhabereien, sein Wiederaufleben im Kreis des Nürnberger Pirkheimer, seine verfehlte Verwirklichung durch JrenikuS, ähnliche Ver¬ suche Aventins und Münsters lehren uns den „faustischen Allwissensdrang, die formalen Be¬ strebungen, den philosophischen und kulturellen Optimismus" des deutschen Humanismus kennen, um durch sein Scheitern in der Zeit der Religionskämpfe zu beweisen, daß einem solchen Werk, das jahrelange Arbeit gleich- gesinnter Gelehrten forderte, der deutsche Hu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/594>, abgerufen am 04.05.2024.