Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Vom Ariege?

item in unserer kriegsschwangeren Zeit, wo die Großmächte Europas
mit umgelegten Sicherungsflügel in schwer prüfender Beobachtung
dein heiligen Kampfe um Sein oder Nichtsein auf dem Balkan
zuschauen, wird ein Buch auf den Ladentisch gestellt mit dem Titel:
"Vom Kriege" von: General von Clausewitz. Was soll das be¬
deuten? Soll es warnen, soll es reizen? -- Nein, doch nicht; denn es handelt
sich lediglich um die siebente Auflage des vor hundert Jahren geschriebenen
Werkes (Dümmlers Verlag, Berlin). Aber etwas Merkwürdiges ist doch an der
Sache. Auf schwarzem Einband, der Farbe des Todes, strahlt grelleuchtend
und blutigrot ein Flammeugebild uns entgegen, auf dem die düster-drohenden
Worte stehen "Vom Kriege". Wer dies sieht und nie etwas Bestimmtes vom
General von Clausewitz gehört hat -- und merkwürdigerweise gibt es viele
solcher Leute --, der muß vom Titelblatte schließend glauben, daß in dem
Buche die fürchterlichsten Dinge in nervenreizender Forni zusammengetragen
wären. Wie das Plakat eines Kinos mutet es an. Und wirft man nur einen
flüchtigen Blick in das Buch, sieht man nichts von Blut und Tod, nichts, was
die Sensationslust befriedigen könnte. Ruhige, sachliche Gedanken eines Philo¬
sophen empfangen den Leser. Warum nun wohl diese Form des Einbandes,
die an das Getöse des Jahrmarktes erinnert? Wem würde es einfallen, Kants
Kritik der reinen Vernunft mit einem Bilde der Großhirnrinde anzupreisen
oder Schopenhauers "die Welt als Wille und Vorstellung" mit einem Sternen¬
himmel, in dem der ringgeschmückte Saturn sich von der Sonne beleuchten
läßt? Ist Clausewitz denn ein geringerer als diese beiden allbekannten Geistes¬
helden? Ja, daran liegt es: er ist zu unbekannt im deutschen Vaterlande.
Diese Tatsache bedauernd, und in dem Wunsche, ihr abzuhelfen, mag die Wahl
dieses Umschlages erfolgt sein -- um, der Idee willen; die Kauflust anzuregen
und zu verdienen war der andere Grund -- in der Wirklichkeit. So unter¬
stützt die Idee die Wirklichkeit und die Wirklichkeit die Idee; beide stehen in
"Wechselwirkung" zueinander. Und mit diesem Gedanken haben wir festen
Fuß gefaßt in der Clausewitzschen Theorie vom Kriege.

Wir wollen den Umschlag also entschuldigen, weil er uns so schnell und
sicher in die Ideenwelt des großen Soldatenphilosophen einführt.




"Das erste Geschäft einer jeden Theorie ist das Aufräumen der durch¬
einandergeworfenen und, man kaun wohl sagen, sehr ineinander verworrenen




Vom Ariege?

item in unserer kriegsschwangeren Zeit, wo die Großmächte Europas
mit umgelegten Sicherungsflügel in schwer prüfender Beobachtung
dein heiligen Kampfe um Sein oder Nichtsein auf dem Balkan
zuschauen, wird ein Buch auf den Ladentisch gestellt mit dem Titel:
„Vom Kriege" von: General von Clausewitz. Was soll das be¬
deuten? Soll es warnen, soll es reizen? — Nein, doch nicht; denn es handelt
sich lediglich um die siebente Auflage des vor hundert Jahren geschriebenen
Werkes (Dümmlers Verlag, Berlin). Aber etwas Merkwürdiges ist doch an der
Sache. Auf schwarzem Einband, der Farbe des Todes, strahlt grelleuchtend
und blutigrot ein Flammeugebild uns entgegen, auf dem die düster-drohenden
Worte stehen „Vom Kriege". Wer dies sieht und nie etwas Bestimmtes vom
General von Clausewitz gehört hat — und merkwürdigerweise gibt es viele
solcher Leute —, der muß vom Titelblatte schließend glauben, daß in dem
Buche die fürchterlichsten Dinge in nervenreizender Forni zusammengetragen
wären. Wie das Plakat eines Kinos mutet es an. Und wirft man nur einen
flüchtigen Blick in das Buch, sieht man nichts von Blut und Tod, nichts, was
die Sensationslust befriedigen könnte. Ruhige, sachliche Gedanken eines Philo¬
sophen empfangen den Leser. Warum nun wohl diese Form des Einbandes,
die an das Getöse des Jahrmarktes erinnert? Wem würde es einfallen, Kants
Kritik der reinen Vernunft mit einem Bilde der Großhirnrinde anzupreisen
oder Schopenhauers „die Welt als Wille und Vorstellung" mit einem Sternen¬
himmel, in dem der ringgeschmückte Saturn sich von der Sonne beleuchten
läßt? Ist Clausewitz denn ein geringerer als diese beiden allbekannten Geistes¬
helden? Ja, daran liegt es: er ist zu unbekannt im deutschen Vaterlande.
Diese Tatsache bedauernd, und in dem Wunsche, ihr abzuhelfen, mag die Wahl
dieses Umschlages erfolgt sein — um, der Idee willen; die Kauflust anzuregen
und zu verdienen war der andere Grund — in der Wirklichkeit. So unter¬
stützt die Idee die Wirklichkeit und die Wirklichkeit die Idee; beide stehen in
„Wechselwirkung" zueinander. Und mit diesem Gedanken haben wir festen
Fuß gefaßt in der Clausewitzschen Theorie vom Kriege.

Wir wollen den Umschlag also entschuldigen, weil er uns so schnell und
sicher in die Ideenwelt des großen Soldatenphilosophen einführt.




„Das erste Geschäft einer jeden Theorie ist das Aufräumen der durch¬
einandergeworfenen und, man kaun wohl sagen, sehr ineinander verworrenen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0124" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325644"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341897_325519/figures/grenzboten_341897_325519_325644_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Vom Ariege?</head><lb/>
          <p xml:id="ID_506"> item in unserer kriegsschwangeren Zeit, wo die Großmächte Europas<lb/>
mit umgelegten Sicherungsflügel in schwer prüfender Beobachtung<lb/>
dein heiligen Kampfe um Sein oder Nichtsein auf dem Balkan<lb/>
zuschauen, wird ein Buch auf den Ladentisch gestellt mit dem Titel:<lb/>
&#x201E;Vom Kriege" von: General von Clausewitz. Was soll das be¬<lb/>
deuten? Soll es warnen, soll es reizen? &#x2014; Nein, doch nicht; denn es handelt<lb/>
sich lediglich um die siebente Auflage des vor hundert Jahren geschriebenen<lb/>
Werkes (Dümmlers Verlag, Berlin). Aber etwas Merkwürdiges ist doch an der<lb/>
Sache. Auf schwarzem Einband, der Farbe des Todes, strahlt grelleuchtend<lb/>
und blutigrot ein Flammeugebild uns entgegen, auf dem die düster-drohenden<lb/>
Worte stehen &#x201E;Vom Kriege". Wer dies sieht und nie etwas Bestimmtes vom<lb/>
General von Clausewitz gehört hat &#x2014; und merkwürdigerweise gibt es viele<lb/>
solcher Leute &#x2014;, der muß vom Titelblatte schließend glauben, daß in dem<lb/>
Buche die fürchterlichsten Dinge in nervenreizender Forni zusammengetragen<lb/>
wären. Wie das Plakat eines Kinos mutet es an. Und wirft man nur einen<lb/>
flüchtigen Blick in das Buch, sieht man nichts von Blut und Tod, nichts, was<lb/>
die Sensationslust befriedigen könnte. Ruhige, sachliche Gedanken eines Philo¬<lb/>
sophen empfangen den Leser. Warum nun wohl diese Form des Einbandes,<lb/>
die an das Getöse des Jahrmarktes erinnert? Wem würde es einfallen, Kants<lb/>
Kritik der reinen Vernunft mit einem Bilde der Großhirnrinde anzupreisen<lb/>
oder Schopenhauers &#x201E;die Welt als Wille und Vorstellung" mit einem Sternen¬<lb/>
himmel, in dem der ringgeschmückte Saturn sich von der Sonne beleuchten<lb/>
läßt? Ist Clausewitz denn ein geringerer als diese beiden allbekannten Geistes¬<lb/>
helden? Ja, daran liegt es: er ist zu unbekannt im deutschen Vaterlande.<lb/>
Diese Tatsache bedauernd, und in dem Wunsche, ihr abzuhelfen, mag die Wahl<lb/>
dieses Umschlages erfolgt sein &#x2014; um, der Idee willen; die Kauflust anzuregen<lb/>
und zu verdienen war der andere Grund &#x2014; in der Wirklichkeit. So unter¬<lb/>
stützt die Idee die Wirklichkeit und die Wirklichkeit die Idee; beide stehen in<lb/>
&#x201E;Wechselwirkung" zueinander. Und mit diesem Gedanken haben wir festen<lb/>
Fuß gefaßt in der Clausewitzschen Theorie vom Kriege.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_507"> Wir wollen den Umschlag also entschuldigen, weil er uns so schnell und<lb/>
sicher in die Ideenwelt des großen Soldatenphilosophen einführt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_508" next="#ID_509"> &#x201E;Das erste Geschäft einer jeden Theorie ist das Aufräumen der durch¬<lb/>
einandergeworfenen und, man kaun wohl sagen, sehr ineinander verworrenen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0124] [Abbildung] Vom Ariege? item in unserer kriegsschwangeren Zeit, wo die Großmächte Europas mit umgelegten Sicherungsflügel in schwer prüfender Beobachtung dein heiligen Kampfe um Sein oder Nichtsein auf dem Balkan zuschauen, wird ein Buch auf den Ladentisch gestellt mit dem Titel: „Vom Kriege" von: General von Clausewitz. Was soll das be¬ deuten? Soll es warnen, soll es reizen? — Nein, doch nicht; denn es handelt sich lediglich um die siebente Auflage des vor hundert Jahren geschriebenen Werkes (Dümmlers Verlag, Berlin). Aber etwas Merkwürdiges ist doch an der Sache. Auf schwarzem Einband, der Farbe des Todes, strahlt grelleuchtend und blutigrot ein Flammeugebild uns entgegen, auf dem die düster-drohenden Worte stehen „Vom Kriege". Wer dies sieht und nie etwas Bestimmtes vom General von Clausewitz gehört hat — und merkwürdigerweise gibt es viele solcher Leute —, der muß vom Titelblatte schließend glauben, daß in dem Buche die fürchterlichsten Dinge in nervenreizender Forni zusammengetragen wären. Wie das Plakat eines Kinos mutet es an. Und wirft man nur einen flüchtigen Blick in das Buch, sieht man nichts von Blut und Tod, nichts, was die Sensationslust befriedigen könnte. Ruhige, sachliche Gedanken eines Philo¬ sophen empfangen den Leser. Warum nun wohl diese Form des Einbandes, die an das Getöse des Jahrmarktes erinnert? Wem würde es einfallen, Kants Kritik der reinen Vernunft mit einem Bilde der Großhirnrinde anzupreisen oder Schopenhauers „die Welt als Wille und Vorstellung" mit einem Sternen¬ himmel, in dem der ringgeschmückte Saturn sich von der Sonne beleuchten läßt? Ist Clausewitz denn ein geringerer als diese beiden allbekannten Geistes¬ helden? Ja, daran liegt es: er ist zu unbekannt im deutschen Vaterlande. Diese Tatsache bedauernd, und in dem Wunsche, ihr abzuhelfen, mag die Wahl dieses Umschlages erfolgt sein — um, der Idee willen; die Kauflust anzuregen und zu verdienen war der andere Grund — in der Wirklichkeit. So unter¬ stützt die Idee die Wirklichkeit und die Wirklichkeit die Idee; beide stehen in „Wechselwirkung" zueinander. Und mit diesem Gedanken haben wir festen Fuß gefaßt in der Clausewitzschen Theorie vom Kriege. Wir wollen den Umschlag also entschuldigen, weil er uns so schnell und sicher in die Ideenwelt des großen Soldatenphilosophen einführt. „Das erste Geschäft einer jeden Theorie ist das Aufräumen der durch¬ einandergeworfenen und, man kaun wohl sagen, sehr ineinander verworrenen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/124
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/124>, abgerufen am 09.05.2024.