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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Weihenstephan lernten ihn Wohl die meisten
angehenden Fachgenossen näher kennen; hier
erfuhren sie, welch eine glückliche Mischung
von wissenschaftlichem Ernst und sonniger
Frohnatur in ihm sich einte, die erst dem sich
ganz offenbarte, der das Glück hatte, in
sein gastfreies Haus gezogen zu werden.
Wenn er da dem Besucher gegenüber in dem
fast historisch gewordenen Schaukelstuhl saß
und wissenschaftliche und persönliche Ange¬
legenheiten besprach, wenn er, dem ein frischer,
treffsicherer Humor jederzeit zu Gebote stand,
ein Urteil abgab oder einen Rat erteilte,
dann fühlte man, daß dieser Lehrer mit war¬
mem Herzen zu seinem Schüler stand.

Schon in Schulpforta, dieser wichtigen,
alten Pflegestätte humanistischer Bildung,
hatte Erich Schmidt in dem deutschen Unter¬
richt des Literarhistorikers Koberstein die ersten
entscheidenden Anregungen und Eindrücke von
jener Wissenschaft empfangen, der er sein
Leben weihte. So wurde er Wilhelm Scherers
Schüler und fünfzehn Jahre später sein Nach¬
folger im Lehramt an der Berliner Univer¬
sität. Die Großherzogin Sophie betraute ihn
mit der ersten Sichtung und Ordnung von
Goethes Nachlaß, und hierbei hatte er, wie
er selbst einmal das charakteristische Scherz¬
wort Prägte, das Glück, "sich ins Urfäustchcn
zu lachen": er fand in der Abschrift des
Fräuleins von Göchhausen den Urfaust.

Eine großartige Wirksamkeit entfaltete er
als Professor in Berlin. Wie er die Wissen¬
schaft der Literaturforschung auffaßte, das hat
er deutlich gesagt, als er in das Album der
Germanistenkneipe die Losung eintrug: "Du
sollst nicht töten, sondern lebendig machen!"
Nicht den Buchstaben (obwohl auch der nicht
übersehen werden darf), sondern den Geist
der Dichtung gilt es zu erfassen I Ganz un¬
merklich führte er seine Hörer zu dieser ideellen
Auffassung der Kunstwerke, dadurch auch die
Kritik auf eine höhere Warte stellend. Durch
feine Methode, die nie die Fühlung mit dem
modernen Leben verlor, hat er einen zahl¬
reichen, in seinem Sinne weiter schaffenden
Nachwuchs herangebildet.

Wehmütig nehmen wir noch einmal sein
letztes Werk zur Hand, die Ausgabe der Briefe
Cnrolinens; in tiefer Ergriffenheit lesen wir
wiederholt er> wundervolle, ein Bild reiner

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Menschlichkeit begreifende und deutende Ein¬
leitung zu diesem Buche, und in staunender
Bewunderung durchblättern wir den Kom¬
mentar, in dem eine Unsumme von Einzel¬
kenntnissen zu einer Geschichte der roman¬
tischen Periode sich zusammenfügt.

Einer Persönlichkeit von stark und eigen
gefügtem, ragendem Wuchs, einem Künstler
des Lebens und der Wissenschaft, einem Men¬
schen in des Wortes höchster und schönster
Bedeutung trauern wir nach, auf den wir
Goethes Epigramm anwenden dürfen:

Auf deinem Grabstein wird man lesen:
Das ist fürwahr ein Mensch gewesen!
Heinz Amelung
Aunstgewerbe

Farbenphvtographie. Das Problem der
Photographie in natürlichen Farben ist durch
die Autochromie, durch die Autochromplatte
der Gebrüder Lumiöre der Lösung ein ganz
beträchtliches Stück näher gerückt. Wirklich
gelöst ist es allerdings noch nicht, denn die
Autochromie ist kein direktes Farbenverfahren,
das uns die Naturfarben selbst direkt auf die
Platte zaubert, sondern ein indirektes Ver¬
fahren. In die Schicht der Lumiöre-Platte
sind Stärkekörnchen in den drei Grundfarben
Rot, Gelb-Grün, Blau eingebettet, die in
der Durchsicht auf additiven Wege die ein¬
zelnen Gegenstände der Aufnahme in an¬
nähernd natürlichen Farben erscheinen lassen.
Wir sehen also in der farbigen Autochrom¬
platte immer nur die Farben und Farben¬
mischungen jener Schicht von Stärkekörnchen,
den sogenannten Farbraster, niemals aber
die Farben der Natur selber. Dennoch ist
uns in dem Autochromverfahren ein Sur¬
rogat für eine wirkliche Photographie in
natürlichen Farben gegeben, das alle An¬
sprüche vollkommen erfüllt, die man billiger¬
weise stellen kann.

Aus diesem Grunde nutzt man die Auto¬
chromie in immer steigendem Maße nament¬
lich auch in den Kreisen der Liebhaber¬
photographen, neben denen der Berufs¬
photographen und der Wissenschaft, weidlich
aus, um sich ein annähernd getreues Bild
vom farbigen Reiz der Wirklichkeit zu ver¬
schaffen. Leider gibt eS bis heute noch kein
einigermaßen brauchbares Verfahren, um von

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Weihenstephan lernten ihn Wohl die meisten
angehenden Fachgenossen näher kennen; hier
erfuhren sie, welch eine glückliche Mischung
von wissenschaftlichem Ernst und sonniger
Frohnatur in ihm sich einte, die erst dem sich
ganz offenbarte, der das Glück hatte, in
sein gastfreies Haus gezogen zu werden.
Wenn er da dem Besucher gegenüber in dem
fast historisch gewordenen Schaukelstuhl saß
und wissenschaftliche und persönliche Ange¬
legenheiten besprach, wenn er, dem ein frischer,
treffsicherer Humor jederzeit zu Gebote stand,
ein Urteil abgab oder einen Rat erteilte,
dann fühlte man, daß dieser Lehrer mit war¬
mem Herzen zu seinem Schüler stand.

Schon in Schulpforta, dieser wichtigen,
alten Pflegestätte humanistischer Bildung,
hatte Erich Schmidt in dem deutschen Unter¬
richt des Literarhistorikers Koberstein die ersten
entscheidenden Anregungen und Eindrücke von
jener Wissenschaft empfangen, der er sein
Leben weihte. So wurde er Wilhelm Scherers
Schüler und fünfzehn Jahre später sein Nach¬
folger im Lehramt an der Berliner Univer¬
sität. Die Großherzogin Sophie betraute ihn
mit der ersten Sichtung und Ordnung von
Goethes Nachlaß, und hierbei hatte er, wie
er selbst einmal das charakteristische Scherz¬
wort Prägte, das Glück, „sich ins Urfäustchcn
zu lachen": er fand in der Abschrift des
Fräuleins von Göchhausen den Urfaust.

Eine großartige Wirksamkeit entfaltete er
als Professor in Berlin. Wie er die Wissen¬
schaft der Literaturforschung auffaßte, das hat
er deutlich gesagt, als er in das Album der
Germanistenkneipe die Losung eintrug: „Du
sollst nicht töten, sondern lebendig machen!"
Nicht den Buchstaben (obwohl auch der nicht
übersehen werden darf), sondern den Geist
der Dichtung gilt es zu erfassen I Ganz un¬
merklich führte er seine Hörer zu dieser ideellen
Auffassung der Kunstwerke, dadurch auch die
Kritik auf eine höhere Warte stellend. Durch
feine Methode, die nie die Fühlung mit dem
modernen Leben verlor, hat er einen zahl¬
reichen, in seinem Sinne weiter schaffenden
Nachwuchs herangebildet.

Wehmütig nehmen wir noch einmal sein
letztes Werk zur Hand, die Ausgabe der Briefe
Cnrolinens; in tiefer Ergriffenheit lesen wir
wiederholt er> wundervolle, ein Bild reiner

[Spaltenumbruch]

Menschlichkeit begreifende und deutende Ein¬
leitung zu diesem Buche, und in staunender
Bewunderung durchblättern wir den Kom¬
mentar, in dem eine Unsumme von Einzel¬
kenntnissen zu einer Geschichte der roman¬
tischen Periode sich zusammenfügt.

Einer Persönlichkeit von stark und eigen
gefügtem, ragendem Wuchs, einem Künstler
des Lebens und der Wissenschaft, einem Men¬
schen in des Wortes höchster und schönster
Bedeutung trauern wir nach, auf den wir
Goethes Epigramm anwenden dürfen:

Auf deinem Grabstein wird man lesen:
Das ist fürwahr ein Mensch gewesen!
Heinz Amelung
Aunstgewerbe

Farbenphvtographie. Das Problem der
Photographie in natürlichen Farben ist durch
die Autochromie, durch die Autochromplatte
der Gebrüder Lumiöre der Lösung ein ganz
beträchtliches Stück näher gerückt. Wirklich
gelöst ist es allerdings noch nicht, denn die
Autochromie ist kein direktes Farbenverfahren,
das uns die Naturfarben selbst direkt auf die
Platte zaubert, sondern ein indirektes Ver¬
fahren. In die Schicht der Lumiöre-Platte
sind Stärkekörnchen in den drei Grundfarben
Rot, Gelb-Grün, Blau eingebettet, die in
der Durchsicht auf additiven Wege die ein¬
zelnen Gegenstände der Aufnahme in an¬
nähernd natürlichen Farben erscheinen lassen.
Wir sehen also in der farbigen Autochrom¬
platte immer nur die Farben und Farben¬
mischungen jener Schicht von Stärkekörnchen,
den sogenannten Farbraster, niemals aber
die Farben der Natur selber. Dennoch ist
uns in dem Autochromverfahren ein Sur¬
rogat für eine wirkliche Photographie in
natürlichen Farben gegeben, das alle An¬
sprüche vollkommen erfüllt, die man billiger¬
weise stellen kann.

Aus diesem Grunde nutzt man die Auto¬
chromie in immer steigendem Maße nament¬
lich auch in den Kreisen der Liebhaber¬
photographen, neben denen der Berufs¬
photographen und der Wissenschaft, weidlich
aus, um sich ein annähernd getreues Bild
vom farbigen Reiz der Wirklichkeit zu ver¬
schaffen. Leider gibt eS bis heute noch kein
einigermaßen brauchbares Verfahren, um von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/306>, abgerufen am 08.05.2024.