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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

der Presse nicht erschöpft sehen. Die Frage
des meines Erachtens berechtigten Anspruchs
der Referendare auf Honorierung ihrer Arbeit
darf hier Wohl außer Betracht bleiben.

Dr. Krucckcnieyer
Memoiren
Josef von Görres.

Ausgewählte Werke
und Briefe. Herausgegeben und mit Ein¬
leitungen und Anmerkungen versehen von
Wilhelm Schellberg. Kempten und München
bei Jos. Kösel, 1911. Zwei Teile in einem
Bande.

Wenn in einem Menschen längere Zeit
hindurch niedere Triebe das Übergewicht
hatten, dann aber das Edlere in ihm durch¬
bricht und siegt, mag man von einer Wieder¬
geburt oder Bekehrung sprechen. Görres gibt
sich selbst das Zeugnis, das; sein Streben
immer rein gewesen sei (I, 173); seine Ent¬
wicklung vom Jakobiner zum gläubigen Katho¬
liken war nur eine Frucht tieferer Einsicht,
nicht die Folge einer Willenswandlung, dar¬
um darf man sie weder als Bekehrung Preisen
noch Abfall schelten. Die Revolution begrüßt
der Sohn der Aufklärung als den Beginn
eines neuen, eines schöneren Zeitalters: einer
vernünftigen Selbstregierung des Volkes nach
langem unheilvollen Despoten- und Pfaffen¬
regiment. "Der mächtige Schimmer, der
wie ein Blitzstrahl alle Winkel durchdrang,
schreckte die Despoten; sie blinzten das in
mächtiger Fülle dahinströmende Licht an;
ihnen war nur in Finsternis Wohl" (I, 4).
Was seinen Sinn änderte, war nicht die
Schreckensherrschaft; sentimental war er nicht.
"Es ist kein milder, liebevoller, schonender
Geist, der vom Anbeginne her durch die
Erdengeschichte unsichtbar geht; eine mutige,
unbezwingliche Kraft, eine finster verschlossene,
erbarmungslose Macht mit festem Willen
ohne Wanken führt sie dem ernsten Ziel ent¬
gegen" (I, 455). Sondern es war "der
stinkende Pfuhl" (II, 17), den er bei seinem
Aufenthalt in Paris kennen lernte, die Rück¬
kehr der Franzosen unter die Herrschaft eines
Despoten, wodurch sie ihre Unfähigkeit zur
Selbstregierung bekannten, und die Annexion
des linken Rheinufers. Er erkannte deutlich
die Verschiedenheit des französischen vom
deutschen Volkscharakter, das Unnatürliche der

[Spaltenumbruch]

Einbeziehung deutscher Stämme in den fran¬
zösischen Staat (I, 53 bis 6S), und daß der
Rhein nicht Deutschlands Grenze sondern
Deutschlands Pulsader ist. Von dieser Einsicht
beseelt, ward er einer der geistigen Führer
des Befreiungskampfes und gab vom Ja¬
nuar 1814 an seinen Rheinischen Merkur her¬
aus, den Napoleon die fünfte der ihn be¬
kämpfenden Großmächte genannt hat. Für
die Neugestaltung Deutschlands konnte in
einer Zeit, da aus allen deutschen Kehlen
Arndts "O nein, o nein o nein o nein, sein
Vaterland muß größer sein" erschallte, kein
anderes als das großdeutsche Ideal in Be¬
tracht kommen (I, 564 und II, 387). War
nun schon die "Deutschtümelei" an sich, hinter
der jeder Bureaukrat die Revolution witterte,
in Wien und Berlin gleich sehr verhaßt, so
mußten die großdeutschen Pläne im Norden
noch ganz besonders anstoßen, weil bei der
damaligen Weltstellung der Dynastien Hohen-
zollern und Habsburg an Unterordnung
dieser unter jene nicht gedacht werden konnte,
das Umgekehrte eher möglich schien. Hierzu
kam sein Kampf gegen den Wiener Kongreß,
der Elsaß-Lothringen um Frankreich verriet
und überhaupt durch seine schwächliche Nach¬
giebigkeit gegen die französische Diplomatie
alle deutschen Patrioten erbitterte (I, 530 bis
533); ferner daß er der Mißstimmung der
Rheinländer gegen das neue preußische Re¬
gime kräftigen Ausdruck verlieh und den An¬
spruch der deutschen Stämme auf Verfassungen
versucht. Da war es denn nicht zu verwun¬
dern, daß die Preußische Regierung seine
Schrift "Teutschland und die Revolution" (sie
war durch die Ermordung Kotzebues an¬
geregt), zum Anlaß nahm, gegen den un¬
bequemen Mahner und Warner einzuschreiten.
Sie bereitete dadurch den Franzosen den
Triumph, ihren größten Feind auf französischem
Boden Schutz suchen zu sehen. Seine Sprache
Berlin gegenüber war allerdings von nicht
zu rechtfertigender Schärfe, denn er, der viel¬
seitige, litt an einer höchst einseitigen Ab¬
neigung gegen den Norden, die um so selt¬
samer erscheint, da er die Preußischen Truppen
schätzen gelernt hatte. Zum Teil war daran
schuld, daß er nie in die mittleren und öst¬
lichen Gegenden Norddeutschlands gekommen
war; Perthes schrieb ihm einmal: "Deutsch-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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der Presse nicht erschöpft sehen. Die Frage
des meines Erachtens berechtigten Anspruchs
der Referendare auf Honorierung ihrer Arbeit
darf hier Wohl außer Betracht bleiben.

Dr. Krucckcnieyer
Memoiren
Josef von Görres.

Ausgewählte Werke
und Briefe. Herausgegeben und mit Ein¬
leitungen und Anmerkungen versehen von
Wilhelm Schellberg. Kempten und München
bei Jos. Kösel, 1911. Zwei Teile in einem
Bande.

Wenn in einem Menschen längere Zeit
hindurch niedere Triebe das Übergewicht
hatten, dann aber das Edlere in ihm durch¬
bricht und siegt, mag man von einer Wieder¬
geburt oder Bekehrung sprechen. Görres gibt
sich selbst das Zeugnis, das; sein Streben
immer rein gewesen sei (I, 173); seine Ent¬
wicklung vom Jakobiner zum gläubigen Katho¬
liken war nur eine Frucht tieferer Einsicht,
nicht die Folge einer Willenswandlung, dar¬
um darf man sie weder als Bekehrung Preisen
noch Abfall schelten. Die Revolution begrüßt
der Sohn der Aufklärung als den Beginn
eines neuen, eines schöneren Zeitalters: einer
vernünftigen Selbstregierung des Volkes nach
langem unheilvollen Despoten- und Pfaffen¬
regiment. „Der mächtige Schimmer, der
wie ein Blitzstrahl alle Winkel durchdrang,
schreckte die Despoten; sie blinzten das in
mächtiger Fülle dahinströmende Licht an;
ihnen war nur in Finsternis Wohl" (I, 4).
Was seinen Sinn änderte, war nicht die
Schreckensherrschaft; sentimental war er nicht.
„Es ist kein milder, liebevoller, schonender
Geist, der vom Anbeginne her durch die
Erdengeschichte unsichtbar geht; eine mutige,
unbezwingliche Kraft, eine finster verschlossene,
erbarmungslose Macht mit festem Willen
ohne Wanken führt sie dem ernsten Ziel ent¬
gegen" (I, 455). Sondern es war „der
stinkende Pfuhl" (II, 17), den er bei seinem
Aufenthalt in Paris kennen lernte, die Rück¬
kehr der Franzosen unter die Herrschaft eines
Despoten, wodurch sie ihre Unfähigkeit zur
Selbstregierung bekannten, und die Annexion
des linken Rheinufers. Er erkannte deutlich
die Verschiedenheit des französischen vom
deutschen Volkscharakter, das Unnatürliche der

[Spaltenumbruch]

Einbeziehung deutscher Stämme in den fran¬
zösischen Staat (I, 53 bis 6S), und daß der
Rhein nicht Deutschlands Grenze sondern
Deutschlands Pulsader ist. Von dieser Einsicht
beseelt, ward er einer der geistigen Führer
des Befreiungskampfes und gab vom Ja¬
nuar 1814 an seinen Rheinischen Merkur her¬
aus, den Napoleon die fünfte der ihn be¬
kämpfenden Großmächte genannt hat. Für
die Neugestaltung Deutschlands konnte in
einer Zeit, da aus allen deutschen Kehlen
Arndts „O nein, o nein o nein o nein, sein
Vaterland muß größer sein" erschallte, kein
anderes als das großdeutsche Ideal in Be¬
tracht kommen (I, 564 und II, 387). War
nun schon die „Deutschtümelei" an sich, hinter
der jeder Bureaukrat die Revolution witterte,
in Wien und Berlin gleich sehr verhaßt, so
mußten die großdeutschen Pläne im Norden
noch ganz besonders anstoßen, weil bei der
damaligen Weltstellung der Dynastien Hohen-
zollern und Habsburg an Unterordnung
dieser unter jene nicht gedacht werden konnte,
das Umgekehrte eher möglich schien. Hierzu
kam sein Kampf gegen den Wiener Kongreß,
der Elsaß-Lothringen um Frankreich verriet
und überhaupt durch seine schwächliche Nach¬
giebigkeit gegen die französische Diplomatie
alle deutschen Patrioten erbitterte (I, 530 bis
533); ferner daß er der Mißstimmung der
Rheinländer gegen das neue preußische Re¬
gime kräftigen Ausdruck verlieh und den An¬
spruch der deutschen Stämme auf Verfassungen
versucht. Da war es denn nicht zu verwun¬
dern, daß die Preußische Regierung seine
Schrift „Teutschland und die Revolution" (sie
war durch die Ermordung Kotzebues an¬
geregt), zum Anlaß nahm, gegen den un¬
bequemen Mahner und Warner einzuschreiten.
Sie bereitete dadurch den Franzosen den
Triumph, ihren größten Feind auf französischem
Boden Schutz suchen zu sehen. Seine Sprache
Berlin gegenüber war allerdings von nicht
zu rechtfertigender Schärfe, denn er, der viel¬
seitige, litt an einer höchst einseitigen Ab¬
neigung gegen den Norden, die um so selt¬
samer erscheint, da er die Preußischen Truppen
schätzen gelernt hatte. Zum Teil war daran
schuld, daß er nie in die mittleren und öst¬
lichen Gegenden Norddeutschlands gekommen
war; Perthes schrieb ihm einmal: „Deutsch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/400>, abgerufen am 08.05.2024.