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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Theodor Aörner
Zu seinem hundertsten Todestage (26. August)
Dr. Ivolfgang Stammler Vonin

is am 26. August des Jahres 1813 bei Gadebusch eine französische
Kugel den Leutnant und Adjutanten im Lützowschen Freikorps
Theodor Körner niederstreckte*), war die Trauer unter den Mit¬
streitern allgemein und tiefempfunden. Denn ein allezeit heiterer
und liebenswürdiger, geistreicher und begabter Kamerad war von
ihnen geschieden, der aus der beneidenswerten Stellung eines Wiener Hofburg¬
theaterdichters, aus den vergebens zurückhaltender Armen einer liebenden Braut
dem Rufe des Vaterlandes gefolgt war. Wenngleich von Geburt Sachsen, hatten
er wie sein Vater, der Oberappellationsgerichtsrat Christian Gottfried Körner
in Dresden, der kluge und kritikreiche Freund Schillers, zu jener kleinen Partei
im Königreiche gehört, die das Bündnis mit Napoleon als schmachvoll empfand
und dem Anschlusse an Preußen zur Abschüttelung des korsischen Joches auf das
eifrigste zustrebte.

Allein nicht nur den Freund betrauerten die Kameraden, sondern auch
den Dichter ihrer Lieder, der wie einst Tyrtäus die studentische Jugend, der
er selbst als einer der tollsten angehört hatte, zu den Waffen rief. Sogar ein
Knebel, der auf die Nachricht von Körners Tode an Charlotte von Schiller die
Philiströsen und kleinlichen Worte schreiben konnte: "Meine Kinder würde ich,
ohne Pflichten gegen die Obrigkeit, ansetzt nicht in den Krieg gehen lassen;
sonst bin ich mit der Welt noch ganz leidlich zufrieden, so lange ich zu essen
habe" (Jena. 19. Oktober 1813: L. Urlichs. Charlotte von Schiller und ihre
Freunde III, S. 345); -- sogar Knebel gestand drei Tage später: "Die Verse
des jungen Körner haben uns sämtliche, denen ich sie las, tief ergriffen. Ich
sehe nicht so sehr auf die Größe seines Genius, als auf den Wert seines



Die Legende von der angeblichen Ermordung des Dichters durch einen Gefangenen,
die Friedrich Kerse zu verbreiten suchte (vgl. Rheinisch-Westfälische Zeitung 1912, Ur. 1037),
hat mit guten Gründen und überlegener Kritik Karl Berger (Frankfurter Zeitung 1912,
Ur. 241) beseitigt; man vergleiche auch den zeitgenössischen Tagebuchbericht, den Fr. Krage
in der Germanisch-Romanischen Monatsschrift, Jahrgang V (1913), S. 170 f. mit¬
geteilt hat.


Theodor Aörner
Zu seinem hundertsten Todestage (26. August)
Dr. Ivolfgang Stammler Vonin

is am 26. August des Jahres 1813 bei Gadebusch eine französische
Kugel den Leutnant und Adjutanten im Lützowschen Freikorps
Theodor Körner niederstreckte*), war die Trauer unter den Mit¬
streitern allgemein und tiefempfunden. Denn ein allezeit heiterer
und liebenswürdiger, geistreicher und begabter Kamerad war von
ihnen geschieden, der aus der beneidenswerten Stellung eines Wiener Hofburg¬
theaterdichters, aus den vergebens zurückhaltender Armen einer liebenden Braut
dem Rufe des Vaterlandes gefolgt war. Wenngleich von Geburt Sachsen, hatten
er wie sein Vater, der Oberappellationsgerichtsrat Christian Gottfried Körner
in Dresden, der kluge und kritikreiche Freund Schillers, zu jener kleinen Partei
im Königreiche gehört, die das Bündnis mit Napoleon als schmachvoll empfand
und dem Anschlusse an Preußen zur Abschüttelung des korsischen Joches auf das
eifrigste zustrebte.

Allein nicht nur den Freund betrauerten die Kameraden, sondern auch
den Dichter ihrer Lieder, der wie einst Tyrtäus die studentische Jugend, der
er selbst als einer der tollsten angehört hatte, zu den Waffen rief. Sogar ein
Knebel, der auf die Nachricht von Körners Tode an Charlotte von Schiller die
Philiströsen und kleinlichen Worte schreiben konnte: „Meine Kinder würde ich,
ohne Pflichten gegen die Obrigkeit, ansetzt nicht in den Krieg gehen lassen;
sonst bin ich mit der Welt noch ganz leidlich zufrieden, so lange ich zu essen
habe" (Jena. 19. Oktober 1813: L. Urlichs. Charlotte von Schiller und ihre
Freunde III, S. 345); — sogar Knebel gestand drei Tage später: „Die Verse
des jungen Körner haben uns sämtliche, denen ich sie las, tief ergriffen. Ich
sehe nicht so sehr auf die Größe seines Genius, als auf den Wert seines



Die Legende von der angeblichen Ermordung des Dichters durch einen Gefangenen,
die Friedrich Kerse zu verbreiten suchte (vgl. Rheinisch-Westfälische Zeitung 1912, Ur. 1037),
hat mit guten Gründen und überlegener Kritik Karl Berger (Frankfurter Zeitung 1912,
Ur. 241) beseitigt; man vergleiche auch den zeitgenössischen Tagebuchbericht, den Fr. Krage
in der Germanisch-Romanischen Monatsschrift, Jahrgang V (1913), S. 170 f. mit¬
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[0385] [Abbildung] Theodor Aörner Zu seinem hundertsten Todestage (26. August) Dr. Ivolfgang Stammler Vonin is am 26. August des Jahres 1813 bei Gadebusch eine französische Kugel den Leutnant und Adjutanten im Lützowschen Freikorps Theodor Körner niederstreckte*), war die Trauer unter den Mit¬ streitern allgemein und tiefempfunden. Denn ein allezeit heiterer und liebenswürdiger, geistreicher und begabter Kamerad war von ihnen geschieden, der aus der beneidenswerten Stellung eines Wiener Hofburg¬ theaterdichters, aus den vergebens zurückhaltender Armen einer liebenden Braut dem Rufe des Vaterlandes gefolgt war. Wenngleich von Geburt Sachsen, hatten er wie sein Vater, der Oberappellationsgerichtsrat Christian Gottfried Körner in Dresden, der kluge und kritikreiche Freund Schillers, zu jener kleinen Partei im Königreiche gehört, die das Bündnis mit Napoleon als schmachvoll empfand und dem Anschlusse an Preußen zur Abschüttelung des korsischen Joches auf das eifrigste zustrebte. Allein nicht nur den Freund betrauerten die Kameraden, sondern auch den Dichter ihrer Lieder, der wie einst Tyrtäus die studentische Jugend, der er selbst als einer der tollsten angehört hatte, zu den Waffen rief. Sogar ein Knebel, der auf die Nachricht von Körners Tode an Charlotte von Schiller die Philiströsen und kleinlichen Worte schreiben konnte: „Meine Kinder würde ich, ohne Pflichten gegen die Obrigkeit, ansetzt nicht in den Krieg gehen lassen; sonst bin ich mit der Welt noch ganz leidlich zufrieden, so lange ich zu essen habe" (Jena. 19. Oktober 1813: L. Urlichs. Charlotte von Schiller und ihre Freunde III, S. 345); — sogar Knebel gestand drei Tage später: „Die Verse des jungen Körner haben uns sämtliche, denen ich sie las, tief ergriffen. Ich sehe nicht so sehr auf die Größe seines Genius, als auf den Wert seines Die Legende von der angeblichen Ermordung des Dichters durch einen Gefangenen, die Friedrich Kerse zu verbreiten suchte (vgl. Rheinisch-Westfälische Zeitung 1912, Ur. 1037), hat mit guten Gründen und überlegener Kritik Karl Berger (Frankfurter Zeitung 1912, Ur. 241) beseitigt; man vergleiche auch den zeitgenössischen Tagebuchbericht, den Fr. Krage in der Germanisch-Romanischen Monatsschrift, Jahrgang V (1913), S. 170 f. mit¬ geteilt hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/385>, abgerufen am 08.05.2024.