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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Seite gestanden und ihn davor bewahrt, ein "Macher" zu werden und in seichte
Dramenschreiberei auszuarten.

Für uns liegt, wie ein feinsinniger Kenner, Fritz Jonas, einmal bemerkt
hat, Körners eigenartige Bedeutung in der Verbindung seiner dichterischen Be¬
gabung mit einer todesmutigen vaterländischen Begeisterung.

Vielleicht hat Wilhelm von Humboldt das Richtige getroffen, wenn er nach
dem Fall des Jünglings an seine Gattin Karoline schreibt: "Je öfter ich an
ihn denke, desto mehr finde ich ihn glücklich, so geendet zu haben. Überhaupt
heiligt nichts so ein Leben als der Tod, und es ist wunderbar, wie ihm viele
Menschen so gram sind. Körner ist nun wirklich zu einer vollendeten Gestalt
geworden: Jugend, Dichtung, Vaterlandsliebe, Tapferkeit haben sich zu diesem
einen frühen Leben verschlungen. Wäre er leben geblieben, hätte sich das Ma¬
gische, das jetzt die beiden letzten Eigenschaften haben, in etwas ganz Gewöhn¬
liches verloren, was er mit vielen andern geteilt hätte; die Entwicklung der
Dichtung blieb zweifelhaft, und die Frische der Jugend verging" (Svdow,
Wilhelm und Karoline von Humboldt in ihren Briefen. Band IV, Seite 379).




Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Tagssfragen

[Spaltenumbruch]

Freiheiten überhaupt nur erwarten können.
Bebels Verhängnis war es, daß er, besonders
nach Durchführung der großen sozialpolitischen
Gesetze in den 1890er Jahren nicht den Weg
zur praktischen Mitarbeit im Reiche fand. Wie
er sich einst das Verdienst erwarb, durch seine
begeisternde Agitation die Massen der Hoffnungs¬
losigkeit ihres Daseins entrissen zu haben, indem
er ihnen zwar ferne aber doch lockende Ziele
wies, so konnte er durch rechtzeitiges Paktieren
mit dem bürgerlichen Staat sich den Lorbeer
eines Staatsmannes erringen. Aber da hat
er versagt. Nicht aus kleinlichen oder gar
unlauteren Motiven -- Bebel ist dazu ein
viel zu deutscher Mann geblieben --, aber
weil sein Wünschen die Phantasie so stark be¬
herrschte, daß er als politische Realität ansah,
was doch nur als ein Traum seiner Jugend
angesprochen werden konnte. Bebel hat Wohl
erst in den allerletzten Jahren seines Lebens
einzusehen begonnen, daß seine Kladde¬
radatschtheorie in Deutschland immer weniger
Aussicht auf Erfüllung haben könnte. Die
politischen Konsequenzen hat er jedenfalls aus
solcher Erkenntnis nicht gezogen. Darum
scheidet er auch belastet mit dem Vorwurf, ein


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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Seite gestanden und ihn davor bewahrt, ein „Macher" zu werden und in seichte
Dramenschreiberei auszuarten.

Für uns liegt, wie ein feinsinniger Kenner, Fritz Jonas, einmal bemerkt
hat, Körners eigenartige Bedeutung in der Verbindung seiner dichterischen Be¬
gabung mit einer todesmutigen vaterländischen Begeisterung.

Vielleicht hat Wilhelm von Humboldt das Richtige getroffen, wenn er nach
dem Fall des Jünglings an seine Gattin Karoline schreibt: „Je öfter ich an
ihn denke, desto mehr finde ich ihn glücklich, so geendet zu haben. Überhaupt
heiligt nichts so ein Leben als der Tod, und es ist wunderbar, wie ihm viele
Menschen so gram sind. Körner ist nun wirklich zu einer vollendeten Gestalt
geworden: Jugend, Dichtung, Vaterlandsliebe, Tapferkeit haben sich zu diesem
einen frühen Leben verschlungen. Wäre er leben geblieben, hätte sich das Ma¬
gische, das jetzt die beiden letzten Eigenschaften haben, in etwas ganz Gewöhn¬
liches verloren, was er mit vielen andern geteilt hätte; die Entwicklung der
Dichtung blieb zweifelhaft, und die Frische der Jugend verging" (Svdow,
Wilhelm und Karoline von Humboldt in ihren Briefen. Band IV, Seite 379).




Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Tagssfragen

[Spaltenumbruch]

Freiheiten überhaupt nur erwarten können.
Bebels Verhängnis war es, daß er, besonders
nach Durchführung der großen sozialpolitischen
Gesetze in den 1890er Jahren nicht den Weg
zur praktischen Mitarbeit im Reiche fand. Wie
er sich einst das Verdienst erwarb, durch seine
begeisternde Agitation die Massen der Hoffnungs¬
losigkeit ihres Daseins entrissen zu haben, indem
er ihnen zwar ferne aber doch lockende Ziele
wies, so konnte er durch rechtzeitiges Paktieren
mit dem bürgerlichen Staat sich den Lorbeer
eines Staatsmannes erringen. Aber da hat
er versagt. Nicht aus kleinlichen oder gar
unlauteren Motiven — Bebel ist dazu ein
viel zu deutscher Mann geblieben —, aber
weil sein Wünschen die Phantasie so stark be¬
herrschte, daß er als politische Realität ansah,
was doch nur als ein Traum seiner Jugend
angesprochen werden konnte. Bebel hat Wohl
erst in den allerletzten Jahren seines Lebens
einzusehen begonnen, daß seine Kladde¬
radatschtheorie in Deutschland immer weniger
Aussicht auf Erfüllung haben könnte. Die
politischen Konsequenzen hat er jedenfalls aus
solcher Erkenntnis nicht gezogen. Darum
scheidet er auch belastet mit dem Vorwurf, ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/390>, abgerufen am 09.05.2024.