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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Menschenalter die Lehre des Malthus wider¬
legt; wohin das Zweikindersystem in der
Praxis sührt, dafür ihl Frankreich ein lehr¬
reiches, abschreckendes Beispiel, Man hat er¬
kannt, daß es kein größeres wirtschaftliches
Gut gibt, als den Menschen selbst, daß jeder
.Zuwachs um körperlichen und geistigen Kräften
ein Gewinn für die Nation ist. Deswegen
sind Bestrebungen mit Dank zu begrüßen,
"die dahin zielen, einer Entbölkerung vorzu¬
beugen, die bei dauernder Abnahme der Ge¬
burten droht. Nicht nur in Frankreich, son¬
dern auch in Deutschland sind Maßregeln
erwogen worden, kinderreiche Familien ver-
mögensrechtlich besser zu stellen. Neuerdings
noch hat das Gesetz über die Vermögens-
.zuwachssteuer Erleichterungen nach dieser
Richtung vorgesehen. Grundsätzlich steht nichts
im Wege, auf der Bahn weiter zu gehen und
auch bei der Erbfolge die Zahl der Kinder
>zu berücksichtigen. Sind nur wenige Kinder
vorhanden, so ist es vielleicht nicht unbillig,
wenn der Staat wenigstens teilweise an die
Stelle eines Kindes tritt, das sonst doch mit¬
erben würde. Ohnehin ist zu berücksichtigen,
daß das Lebensglück der Kinder nicht durch
jedes Tausend Mark höher verbürgt wird,
das ihnen die Kurzsichtigkeit der Eltern zu¬
wendet. Der Satz Karl Schefflers: Ein
Sattes Zinsenbewußtsein ist das schlimmste
Erbe, das Eltern ihren Kindern auf den
Lebensweg mitgeben können, -- dieser Satz
enthält eine tiefe Wahrheit. -- Daß eine
ähnliche Bestimmung, wie sie Ratgen befür¬
wortet, ihre Wirkung üben wird, läßt sich
kaum bezweifeln. Deswegen darf der Vor¬
schlag trotz seiner Schärfe als eine sehr be¬
achtenswerte Anregung für bedeutsame gesetz¬
geberische Maßnahmen bezeichnet werden.

Wirtschaft

Die Hebung des Kurses unserer Staats¬
papiere. Der niedere Stand des Kurses un-
sererReichs- und Staatsanleihen schädigt immer
weitere Kreise unseres Volkes; geht doch bei
dem Sinken des Kurses unserer 3 und S'/zPro-
Zentigen Papiere um 20 bis 26 Prozent gegen¬
über dein Höchststand um die Mitte der neun¬
ziger Jahre der an diesen Papieren erlittene
Verlust des sparenden deutschen Volkes in die
Milliarden!

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Wenn man die drei verschiedenen Sorten
von Anlehen ansieht, die wir besitzen, die
4Prozentigen, die 3>/z und 3prozentigen, so
sind an allen drei Sorten sehr erhebliche
Summen verloren gegangen. Die 4pro-
zentigen, die in den achtziger Jahren um 106
gehandelt wurden, stehen heute auf 97, so
daß also bei ihnen ein Verlust von 9 Prozent
entstanden ist. Dabei ist es aber in der Regel
gar nicht geblieben; denn die meisten dieser
4prozentigen Titel wurden anfangs der acht-
ziger Jahre bei den großen Konversionen auf
Z'./z Prozent herabgesetzt. Die Siaatsgläu-
biger mußten sich das gefallen lassen, weil
eben die anderen Staaten ihre Zinsen eben¬
falls herabsetzten. Diese Staatsgläubiger haben
deshalb in den letzten dreißig Jahren V- Pro¬
zent weniger Zins bezogen, als jetzt bezahlt
wird, und da außerdem der Kurs dieser ihnen
aufgezwungenen 3VzProzentigen Papiere jetzt
auf 83 gesunken ist, so haben diese Staats¬
gläubiger, wenn man den Zinsverlust von
>/z Prozent für dreißig Jahre mit 15 Mark
dazu zählt, von 100 Mark Kapital 33 Mark
verloren.

Noch schlechter freilich ist es den Käufern
3prozentiger Anlehen ergangen. Als diese
Papiere unter der Führung des ehemaligen
preußischen Finanzministers Miguel in den
neunziger Jahren auf den Markt geworfen
wurden, trieb sie der Geldmarkt auf nahezu
100; heute stehen diese Papiere auf 75, so
daß die Besitzer derselben neben einem Zins¬
verluste von 1 Prozent während fünfundzwanzig
Jahren noch 25 Prozent an ihrem Kapital,
also zusammen 50 Mark an 100 Mark Ka¬
pital Verlust haben. Und dabei handelt es
sich, namentlich bei den 3'/sProzentigen Pa¬
pieren, großenteils um kleine Leute aus dem
Mittelstande, um Beamte, Gewerbetreibende,
Handwerker, Landwirte, um Leute, die nicht
spekulieren, sondern ihr Geld "bombensicher"
anlegen wollten, das sie "groschenweise ver¬
dient" hatten, um Mündelgelder und Stiftungs¬
kapitalien, also um Gelder, für deren sichere
Anlage der Staat als Schutzvogt die recht¬
liche und sittliche Gewährschaft schuldet.

Hier tut also Hilfe dringend not und es
fragt sich deshalb Wohl nur, wie diese Hilfe
erfolgen kann. Unsere Papiere freiwillig wieder
"hinaufzukonvertieren", wie das schon borge-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Menschenalter die Lehre des Malthus wider¬
legt; wohin das Zweikindersystem in der
Praxis sührt, dafür ihl Frankreich ein lehr¬
reiches, abschreckendes Beispiel, Man hat er¬
kannt, daß es kein größeres wirtschaftliches
Gut gibt, als den Menschen selbst, daß jeder
.Zuwachs um körperlichen und geistigen Kräften
ein Gewinn für die Nation ist. Deswegen
sind Bestrebungen mit Dank zu begrüßen,
«die dahin zielen, einer Entbölkerung vorzu¬
beugen, die bei dauernder Abnahme der Ge¬
burten droht. Nicht nur in Frankreich, son¬
dern auch in Deutschland sind Maßregeln
erwogen worden, kinderreiche Familien ver-
mögensrechtlich besser zu stellen. Neuerdings
noch hat das Gesetz über die Vermögens-
.zuwachssteuer Erleichterungen nach dieser
Richtung vorgesehen. Grundsätzlich steht nichts
im Wege, auf der Bahn weiter zu gehen und
auch bei der Erbfolge die Zahl der Kinder
>zu berücksichtigen. Sind nur wenige Kinder
vorhanden, so ist es vielleicht nicht unbillig,
wenn der Staat wenigstens teilweise an die
Stelle eines Kindes tritt, das sonst doch mit¬
erben würde. Ohnehin ist zu berücksichtigen,
daß das Lebensglück der Kinder nicht durch
jedes Tausend Mark höher verbürgt wird,
das ihnen die Kurzsichtigkeit der Eltern zu¬
wendet. Der Satz Karl Schefflers: Ein
Sattes Zinsenbewußtsein ist das schlimmste
Erbe, das Eltern ihren Kindern auf den
Lebensweg mitgeben können, — dieser Satz
enthält eine tiefe Wahrheit. — Daß eine
ähnliche Bestimmung, wie sie Ratgen befür¬
wortet, ihre Wirkung üben wird, läßt sich
kaum bezweifeln. Deswegen darf der Vor¬
schlag trotz seiner Schärfe als eine sehr be¬
achtenswerte Anregung für bedeutsame gesetz¬
geberische Maßnahmen bezeichnet werden.

Wirtschaft

Die Hebung des Kurses unserer Staats¬
papiere. Der niedere Stand des Kurses un-
sererReichs- und Staatsanleihen schädigt immer
weitere Kreise unseres Volkes; geht doch bei
dem Sinken des Kurses unserer 3 und S'/zPro-
Zentigen Papiere um 20 bis 26 Prozent gegen¬
über dein Höchststand um die Mitte der neun¬
ziger Jahre der an diesen Papieren erlittene
Verlust des sparenden deutschen Volkes in die
Milliarden!

[Spaltenumbruch]

Wenn man die drei verschiedenen Sorten
von Anlehen ansieht, die wir besitzen, die
4Prozentigen, die 3>/z und 3prozentigen, so
sind an allen drei Sorten sehr erhebliche
Summen verloren gegangen. Die 4pro-
zentigen, die in den achtziger Jahren um 106
gehandelt wurden, stehen heute auf 97, so
daß also bei ihnen ein Verlust von 9 Prozent
entstanden ist. Dabei ist es aber in der Regel
gar nicht geblieben; denn die meisten dieser
4prozentigen Titel wurden anfangs der acht-
ziger Jahre bei den großen Konversionen auf
Z'./z Prozent herabgesetzt. Die Siaatsgläu-
biger mußten sich das gefallen lassen, weil
eben die anderen Staaten ihre Zinsen eben¬
falls herabsetzten. Diese Staatsgläubiger haben
deshalb in den letzten dreißig Jahren V- Pro¬
zent weniger Zins bezogen, als jetzt bezahlt
wird, und da außerdem der Kurs dieser ihnen
aufgezwungenen 3VzProzentigen Papiere jetzt
auf 83 gesunken ist, so haben diese Staats¬
gläubiger, wenn man den Zinsverlust von
>/z Prozent für dreißig Jahre mit 15 Mark
dazu zählt, von 100 Mark Kapital 33 Mark
verloren.

Noch schlechter freilich ist es den Käufern
3prozentiger Anlehen ergangen. Als diese
Papiere unter der Führung des ehemaligen
preußischen Finanzministers Miguel in den
neunziger Jahren auf den Markt geworfen
wurden, trieb sie der Geldmarkt auf nahezu
100; heute stehen diese Papiere auf 75, so
daß die Besitzer derselben neben einem Zins¬
verluste von 1 Prozent während fünfundzwanzig
Jahren noch 25 Prozent an ihrem Kapital,
also zusammen 50 Mark an 100 Mark Ka¬
pital Verlust haben. Und dabei handelt es
sich, namentlich bei den 3'/sProzentigen Pa¬
pieren, großenteils um kleine Leute aus dem
Mittelstande, um Beamte, Gewerbetreibende,
Handwerker, Landwirte, um Leute, die nicht
spekulieren, sondern ihr Geld „bombensicher"
anlegen wollten, das sie „groschenweise ver¬
dient" hatten, um Mündelgelder und Stiftungs¬
kapitalien, also um Gelder, für deren sichere
Anlage der Staat als Schutzvogt die recht¬
liche und sittliche Gewährschaft schuldet.

Hier tut also Hilfe dringend not und es
fragt sich deshalb Wohl nur, wie diese Hilfe
erfolgen kann. Unsere Papiere freiwillig wieder
„hinaufzukonvertieren", wie das schon borge-

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[0535] Maßgebliches und Unmaßgebliches Menschenalter die Lehre des Malthus wider¬ legt; wohin das Zweikindersystem in der Praxis sührt, dafür ihl Frankreich ein lehr¬ reiches, abschreckendes Beispiel, Man hat er¬ kannt, daß es kein größeres wirtschaftliches Gut gibt, als den Menschen selbst, daß jeder .Zuwachs um körperlichen und geistigen Kräften ein Gewinn für die Nation ist. Deswegen sind Bestrebungen mit Dank zu begrüßen, «die dahin zielen, einer Entbölkerung vorzu¬ beugen, die bei dauernder Abnahme der Ge¬ burten droht. Nicht nur in Frankreich, son¬ dern auch in Deutschland sind Maßregeln erwogen worden, kinderreiche Familien ver- mögensrechtlich besser zu stellen. Neuerdings noch hat das Gesetz über die Vermögens- .zuwachssteuer Erleichterungen nach dieser Richtung vorgesehen. Grundsätzlich steht nichts im Wege, auf der Bahn weiter zu gehen und auch bei der Erbfolge die Zahl der Kinder >zu berücksichtigen. Sind nur wenige Kinder vorhanden, so ist es vielleicht nicht unbillig, wenn der Staat wenigstens teilweise an die Stelle eines Kindes tritt, das sonst doch mit¬ erben würde. Ohnehin ist zu berücksichtigen, daß das Lebensglück der Kinder nicht durch jedes Tausend Mark höher verbürgt wird, das ihnen die Kurzsichtigkeit der Eltern zu¬ wendet. Der Satz Karl Schefflers: Ein Sattes Zinsenbewußtsein ist das schlimmste Erbe, das Eltern ihren Kindern auf den Lebensweg mitgeben können, — dieser Satz enthält eine tiefe Wahrheit. — Daß eine ähnliche Bestimmung, wie sie Ratgen befür¬ wortet, ihre Wirkung üben wird, läßt sich kaum bezweifeln. Deswegen darf der Vor¬ schlag trotz seiner Schärfe als eine sehr be¬ achtenswerte Anregung für bedeutsame gesetz¬ geberische Maßnahmen bezeichnet werden. Wirtschaft Die Hebung des Kurses unserer Staats¬ papiere. Der niedere Stand des Kurses un- sererReichs- und Staatsanleihen schädigt immer weitere Kreise unseres Volkes; geht doch bei dem Sinken des Kurses unserer 3 und S'/zPro- Zentigen Papiere um 20 bis 26 Prozent gegen¬ über dein Höchststand um die Mitte der neun¬ ziger Jahre der an diesen Papieren erlittene Verlust des sparenden deutschen Volkes in die Milliarden! Wenn man die drei verschiedenen Sorten von Anlehen ansieht, die wir besitzen, die 4Prozentigen, die 3>/z und 3prozentigen, so sind an allen drei Sorten sehr erhebliche Summen verloren gegangen. Die 4pro- zentigen, die in den achtziger Jahren um 106 gehandelt wurden, stehen heute auf 97, so daß also bei ihnen ein Verlust von 9 Prozent entstanden ist. Dabei ist es aber in der Regel gar nicht geblieben; denn die meisten dieser 4prozentigen Titel wurden anfangs der acht- ziger Jahre bei den großen Konversionen auf Z'./z Prozent herabgesetzt. Die Siaatsgläu- biger mußten sich das gefallen lassen, weil eben die anderen Staaten ihre Zinsen eben¬ falls herabsetzten. Diese Staatsgläubiger haben deshalb in den letzten dreißig Jahren V- Pro¬ zent weniger Zins bezogen, als jetzt bezahlt wird, und da außerdem der Kurs dieser ihnen aufgezwungenen 3VzProzentigen Papiere jetzt auf 83 gesunken ist, so haben diese Staats¬ gläubiger, wenn man den Zinsverlust von >/z Prozent für dreißig Jahre mit 15 Mark dazu zählt, von 100 Mark Kapital 33 Mark verloren. Noch schlechter freilich ist es den Käufern 3prozentiger Anlehen ergangen. Als diese Papiere unter der Führung des ehemaligen preußischen Finanzministers Miguel in den neunziger Jahren auf den Markt geworfen wurden, trieb sie der Geldmarkt auf nahezu 100; heute stehen diese Papiere auf 75, so daß die Besitzer derselben neben einem Zins¬ verluste von 1 Prozent während fünfundzwanzig Jahren noch 25 Prozent an ihrem Kapital, also zusammen 50 Mark an 100 Mark Ka¬ pital Verlust haben. Und dabei handelt es sich, namentlich bei den 3'/sProzentigen Pa¬ pieren, großenteils um kleine Leute aus dem Mittelstande, um Beamte, Gewerbetreibende, Handwerker, Landwirte, um Leute, die nicht spekulieren, sondern ihr Geld „bombensicher" anlegen wollten, das sie „groschenweise ver¬ dient" hatten, um Mündelgelder und Stiftungs¬ kapitalien, also um Gelder, für deren sichere Anlage der Staat als Schutzvogt die recht¬ liche und sittliche Gewährschaft schuldet. Hier tut also Hilfe dringend not und es fragt sich deshalb Wohl nur, wie diese Hilfe erfolgen kann. Unsere Papiere freiwillig wieder „hinaufzukonvertieren", wie das schon borge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/535>, abgerufen am 08.05.2024.