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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

des Negativs entsprochen werden müsse. Geht man so vor, dann wird man
selbst gegen die Aufnahme militärischer Übungen, die wir sogar mit Einschluß
des Scharfschießens von Artillerie für ganz besonders wünschenswert halten,
nichts Ernstliches einzuwenden vermögen.

Wenn die Filmindustrie systematischer als bisher mit Unterstützung der
Behörden und des Publikums die Herstellung zeitgeschichtlicher Films in Angriff
nimmt, so werden diese Films nicht nur in Gemeindekinos, in Musterlichtspiel¬
häusern gemeinnütziger Vereine, in kinematographischen Vorträgen von Gesell-
sellschaften für Volksbildung, in Sondervorstellungen für das Militär, für
Ingenieurvereine, volkskundliche Vereine u. tgi. gezeigt werden, sondern
immer mehr auch die Gunst des großen Publikums sich erringen und deshalb
auch in den üblichen Kinematographentheatern vorgeführt werden. Diese er¬
freuliche Entwicklung zu fördern ist Sache eines jeden, der auf sein Panier
geschrieben hat: "Verderben dem Schundfilm, Förderung dem guten Filu!"




Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Philosophie

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möglich, die naturwissenschaftlich-monistische
Weltanschauung im Leben lückenlos durchzu¬
führen und beizubehalten?

Diese Frage beantwortet Sigurd Ibsen
in seiner Essay-Sammlung "Menschliche
Quintessenz" (S. Fischer, Verlag, Berlin),
namentlich in dem ersten der vier Aufsätze:
"Natur und Mensch" in geistvoller und an¬
ziehender Weise -- negativ. Er rechnet den
Monismus zu jenen wissenschaftlichen Er¬
kenntnissen, die wir uns nur als Kenntnisse
aneignen, die aber nicht tiefer in unser Be¬
wußtsein Vordringen, so wie wir etwa die
wissenschaftliche Richtigkeit der Kopernika-
nischen Theorie anerkennen, in der Praxis
aber dem Ptolemäus huldigen.

Der Monismus kann aber auch nicht die
Grundlage für eine Praktische Weltanschauung
abgeben, er kann gar nicht tiefer in das Be¬
wußtsein des Menschen eindringen: denn er
würde für den Menschen "einen vollständigen
Verzicht auf das Menschliche, ein Aufgehen
unseres Ichs in ein Nicht-Ich voraussetzen".
Für den Menschen ist der Anthropozen-
trismus die natürliche Weltanschauung, in die
er immer und immer wieder zurückfällt. "Der
Mensch ist nun einmal von allen Gegenständen


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Maßgebliches und Unmaßgebliches

des Negativs entsprochen werden müsse. Geht man so vor, dann wird man
selbst gegen die Aufnahme militärischer Übungen, die wir sogar mit Einschluß
des Scharfschießens von Artillerie für ganz besonders wünschenswert halten,
nichts Ernstliches einzuwenden vermögen.

Wenn die Filmindustrie systematischer als bisher mit Unterstützung der
Behörden und des Publikums die Herstellung zeitgeschichtlicher Films in Angriff
nimmt, so werden diese Films nicht nur in Gemeindekinos, in Musterlichtspiel¬
häusern gemeinnütziger Vereine, in kinematographischen Vorträgen von Gesell-
sellschaften für Volksbildung, in Sondervorstellungen für das Militär, für
Ingenieurvereine, volkskundliche Vereine u. tgi. gezeigt werden, sondern
immer mehr auch die Gunst des großen Publikums sich erringen und deshalb
auch in den üblichen Kinematographentheatern vorgeführt werden. Diese er¬
freuliche Entwicklung zu fördern ist Sache eines jeden, der auf sein Panier
geschrieben hat: „Verderben dem Schundfilm, Förderung dem guten Filu!"




Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Philosophie

[Spaltenumbruch]

möglich, die naturwissenschaftlich-monistische
Weltanschauung im Leben lückenlos durchzu¬
führen und beizubehalten?

Diese Frage beantwortet Sigurd Ibsen
in seiner Essay-Sammlung „Menschliche
Quintessenz" (S. Fischer, Verlag, Berlin),
namentlich in dem ersten der vier Aufsätze:
„Natur und Mensch" in geistvoller und an¬
ziehender Weise — negativ. Er rechnet den
Monismus zu jenen wissenschaftlichen Er¬
kenntnissen, die wir uns nur als Kenntnisse
aneignen, die aber nicht tiefer in unser Be¬
wußtsein Vordringen, so wie wir etwa die
wissenschaftliche Richtigkeit der Kopernika-
nischen Theorie anerkennen, in der Praxis
aber dem Ptolemäus huldigen.

Der Monismus kann aber auch nicht die
Grundlage für eine Praktische Weltanschauung
abgeben, er kann gar nicht tiefer in das Be¬
wußtsein des Menschen eindringen: denn er
würde für den Menschen „einen vollständigen
Verzicht auf das Menschliche, ein Aufgehen
unseres Ichs in ein Nicht-Ich voraussetzen".
Für den Menschen ist der Anthropozen-
trismus die natürliche Weltanschauung, in die
er immer und immer wieder zurückfällt. „Der
Mensch ist nun einmal von allen Gegenständen


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[0632] Maßgebliches und Unmaßgebliches des Negativs entsprochen werden müsse. Geht man so vor, dann wird man selbst gegen die Aufnahme militärischer Übungen, die wir sogar mit Einschluß des Scharfschießens von Artillerie für ganz besonders wünschenswert halten, nichts Ernstliches einzuwenden vermögen. Wenn die Filmindustrie systematischer als bisher mit Unterstützung der Behörden und des Publikums die Herstellung zeitgeschichtlicher Films in Angriff nimmt, so werden diese Films nicht nur in Gemeindekinos, in Musterlichtspiel¬ häusern gemeinnütziger Vereine, in kinematographischen Vorträgen von Gesell- sellschaften für Volksbildung, in Sondervorstellungen für das Militär, für Ingenieurvereine, volkskundliche Vereine u. tgi. gezeigt werden, sondern immer mehr auch die Gunst des großen Publikums sich erringen und deshalb auch in den üblichen Kinematographentheatern vorgeführt werden. Diese er¬ freuliche Entwicklung zu fördern ist Sache eines jeden, der auf sein Panier geschrieben hat: „Verderben dem Schundfilm, Förderung dem guten Filu!" Maßgebliches und Unmaßgebliches Philosophie möglich, die naturwissenschaftlich-monistische Weltanschauung im Leben lückenlos durchzu¬ führen und beizubehalten? Diese Frage beantwortet Sigurd Ibsen in seiner Essay-Sammlung „Menschliche Quintessenz" (S. Fischer, Verlag, Berlin), namentlich in dem ersten der vier Aufsätze: „Natur und Mensch" in geistvoller und an¬ ziehender Weise — negativ. Er rechnet den Monismus zu jenen wissenschaftlichen Er¬ kenntnissen, die wir uns nur als Kenntnisse aneignen, die aber nicht tiefer in unser Be¬ wußtsein Vordringen, so wie wir etwa die wissenschaftliche Richtigkeit der Kopernika- nischen Theorie anerkennen, in der Praxis aber dem Ptolemäus huldigen. Der Monismus kann aber auch nicht die Grundlage für eine Praktische Weltanschauung abgeben, er kann gar nicht tiefer in das Be¬ wußtsein des Menschen eindringen: denn er würde für den Menschen „einen vollständigen Verzicht auf das Menschliche, ein Aufgehen unseres Ichs in ein Nicht-Ich voraussetzen". Für den Menschen ist der Anthropozen- trismus die natürliche Weltanschauung, in die er immer und immer wieder zurückfällt. „Der Mensch ist nun einmal von allen Gegenständen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/632>, abgerufen am 08.05.2024.