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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Für das Erbrecht des Reiches

Der im November 1912 erschienene Aufruf wird im Hinblick auf
den von den verbündeten Regierungen eingebrachten Gesetzentwurf über
das Erbrecht des Staates vom 28. März 1913 noch einmal veröffent¬
licht, nachdem eine Reihe namhafter Persönlichkeiten ihren Beitritt erklärt
haben.

ach geltendem Recht wird ein Verstorbener, der keine letztwillige
Verfügung hinterläßt, nicht nur von seinen nächsten Angehörigen,
sondern in Ermangelung solcher auch von dem entferntesten Ver¬
wandten beerbt. Das Gesetz stammt aus dem römischen Recht
des sechsten Jahrhunderts. Sollte eine so schrankenlose Ver¬
wandtenerbfolge zu irgendeiner Zeit dem Gemeinwohl förderlich gewesen sein,
so ist sie in ihrer heutigen Geltung unvereinbar mit den Bedürfnissen und dem
Rechtsbewußtsein der Gegenwart. Nach dem Rechtsbewußtsein der. Gegenwart
haben die entfernteren Verwandten kein größeres moralisches Recht auf die Erb¬
schaft als jeder Fremde, als die Gesamtheit. Es erscheint deswegen im Hinblick
ans die wachsende Ausdehnung der Aufgaben des Deutschen Reiches recht und
billig, wenn solche im Grunde herrenlose Erbschaften nicht mehr als ein unver¬
dienter Gewinn lachenden Erben, sondern dem Reiche zugewiesen werden.
Unter seinem mächtigen Schutze wird jedes Vermögen in Deutschland erworben
und erhalten; seine Leistungen für die Gesamtheit und damit für den einzelnen
haben sich außerordentlich vermehrt und erhöht, während der weitere Familien¬
kreis sich aller Pflichten entledigt hat. auf die er sich früher zur Begründung
eines ErbaNspruches berufen konnte. Die Bestrebungen der verbündeten Re¬
gierungen, das Erbrecht nach dieser Richtung fortzubilden, stehen im Einklang
mit längst gewonnenen Ergebnissen der Volkswirtschafts- und Staatsrechtslehre
und im Einklang mit der Volksüberzeugung, wie sie sich in zahlreichen Kund¬
gebungen hervorragender Mitglieder aller politischen Parteien ausgesprochen hat.
Was die Verwendung der Einkünfte aus dem öffentlichen Erbrecht anlangt, fo
sollten heimfallende Erbschaften nicht zur Deckung von laufenden Ausgaben,


Grenzboten IV 1913 1


Für das Erbrecht des Reiches

Der im November 1912 erschienene Aufruf wird im Hinblick auf
den von den verbündeten Regierungen eingebrachten Gesetzentwurf über
das Erbrecht des Staates vom 28. März 1913 noch einmal veröffent¬
licht, nachdem eine Reihe namhafter Persönlichkeiten ihren Beitritt erklärt
haben.

ach geltendem Recht wird ein Verstorbener, der keine letztwillige
Verfügung hinterläßt, nicht nur von seinen nächsten Angehörigen,
sondern in Ermangelung solcher auch von dem entferntesten Ver¬
wandten beerbt. Das Gesetz stammt aus dem römischen Recht
des sechsten Jahrhunderts. Sollte eine so schrankenlose Ver¬
wandtenerbfolge zu irgendeiner Zeit dem Gemeinwohl förderlich gewesen sein,
so ist sie in ihrer heutigen Geltung unvereinbar mit den Bedürfnissen und dem
Rechtsbewußtsein der Gegenwart. Nach dem Rechtsbewußtsein der. Gegenwart
haben die entfernteren Verwandten kein größeres moralisches Recht auf die Erb¬
schaft als jeder Fremde, als die Gesamtheit. Es erscheint deswegen im Hinblick
ans die wachsende Ausdehnung der Aufgaben des Deutschen Reiches recht und
billig, wenn solche im Grunde herrenlose Erbschaften nicht mehr als ein unver¬
dienter Gewinn lachenden Erben, sondern dem Reiche zugewiesen werden.
Unter seinem mächtigen Schutze wird jedes Vermögen in Deutschland erworben
und erhalten; seine Leistungen für die Gesamtheit und damit für den einzelnen
haben sich außerordentlich vermehrt und erhöht, während der weitere Familien¬
kreis sich aller Pflichten entledigt hat. auf die er sich früher zur Begründung
eines ErbaNspruches berufen konnte. Die Bestrebungen der verbündeten Re¬
gierungen, das Erbrecht nach dieser Richtung fortzubilden, stehen im Einklang
mit längst gewonnenen Ergebnissen der Volkswirtschafts- und Staatsrechtslehre
und im Einklang mit der Volksüberzeugung, wie sie sich in zahlreichen Kund¬
gebungen hervorragender Mitglieder aller politischen Parteien ausgesprochen hat.
Was die Verwendung der Einkünfte aus dem öffentlichen Erbrecht anlangt, fo
sollten heimfallende Erbschaften nicht zur Deckung von laufenden Ausgaben,


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[0013] [Abbildung] Für das Erbrecht des Reiches Der im November 1912 erschienene Aufruf wird im Hinblick auf den von den verbündeten Regierungen eingebrachten Gesetzentwurf über das Erbrecht des Staates vom 28. März 1913 noch einmal veröffent¬ licht, nachdem eine Reihe namhafter Persönlichkeiten ihren Beitritt erklärt haben. ach geltendem Recht wird ein Verstorbener, der keine letztwillige Verfügung hinterläßt, nicht nur von seinen nächsten Angehörigen, sondern in Ermangelung solcher auch von dem entferntesten Ver¬ wandten beerbt. Das Gesetz stammt aus dem römischen Recht des sechsten Jahrhunderts. Sollte eine so schrankenlose Ver¬ wandtenerbfolge zu irgendeiner Zeit dem Gemeinwohl förderlich gewesen sein, so ist sie in ihrer heutigen Geltung unvereinbar mit den Bedürfnissen und dem Rechtsbewußtsein der Gegenwart. Nach dem Rechtsbewußtsein der. Gegenwart haben die entfernteren Verwandten kein größeres moralisches Recht auf die Erb¬ schaft als jeder Fremde, als die Gesamtheit. Es erscheint deswegen im Hinblick ans die wachsende Ausdehnung der Aufgaben des Deutschen Reiches recht und billig, wenn solche im Grunde herrenlose Erbschaften nicht mehr als ein unver¬ dienter Gewinn lachenden Erben, sondern dem Reiche zugewiesen werden. Unter seinem mächtigen Schutze wird jedes Vermögen in Deutschland erworben und erhalten; seine Leistungen für die Gesamtheit und damit für den einzelnen haben sich außerordentlich vermehrt und erhöht, während der weitere Familien¬ kreis sich aller Pflichten entledigt hat. auf die er sich früher zur Begründung eines ErbaNspruches berufen konnte. Die Bestrebungen der verbündeten Re¬ gierungen, das Erbrecht nach dieser Richtung fortzubilden, stehen im Einklang mit längst gewonnenen Ergebnissen der Volkswirtschafts- und Staatsrechtslehre und im Einklang mit der Volksüberzeugung, wie sie sich in zahlreichen Kund¬ gebungen hervorragender Mitglieder aller politischen Parteien ausgesprochen hat. Was die Verwendung der Einkünfte aus dem öffentlichen Erbrecht anlangt, fo sollten heimfallende Erbschaften nicht zur Deckung von laufenden Ausgaben, Grenzboten IV 1913 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/13>, abgerufen am 28.04.2024.