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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reisebriefe von Fritz Reck-Malleczewcn
6. Ieeru8 tropicuZ

Als wir vor Valparaisos Amphitheater lagen und am Tage in der Glut¬
sonne brieten, am Abend im "eisigen Suber" froren, ratterten die Dampfwinden
uns ein wunderliches Ding an Bord: eine Kiste, gut zwölf Meter lang und
kaum zwei Meter breit. Vorn bei der Back wurde sie verstaut. Wir rieten auf
alles mögliche. Der erste Offizier, der um den Inhalt wußte, lächelte nur
ironisch und führte mich schließlich nach vorn an das seltsame Ding heran. Und
durch die weiten Fugen der Verpackung sah ich eine Menge Spanndrähte und
eine große weiße Fläche und dann noch eine. Da wußte ich Bescheid, zumal
auf den Brettern der Verpackung in großen schwarzen Buchstaben das Wort
"Farman" geschrieben stand. Ich sah den Seemann etwas fragend an: wir
gingen nach der tropischen Westküste! Wer wollte denn da fliegen? Der andere
wußte es auch nicht. Aber schon am nächsten Tag löste sich das Rätsel: ein
brauner Gesell kletterte das Fallrepp hoch, ein kleiner eleganter Kerl, in seiner
Eleganz ein wenig eine Boulevardfigur. Er sagte guten Tag und nannte seinen
Namen. Da stellte es sich heraus, daß es ein chilenischer Offizier war, der
oben in den Republiken des Nordens Schauflüge veranstalten wollte. "Auf Ein¬
ladung der Regierungen?" O nein, für Geld! Daß das für meinen europäischen
Horizont ein wenig merkwürdig war, konnte er nicht recht begreifen. . . .

Im übrigen war er ein netter Kerl. Es stellte sich bald heraus, daß er
auch eine Weile nach Berlin kommandiert gewesen war. Dann hatte er bei
Paris das Fliegen erlernt und wußte allerlei Schnurriges von den französischen
Flugplätzen zu erzählen und von seinen Fahrten im Element - Bavard, dessen
starkes Schwanken ihm entschieden ungemütlicher gewesen war als die Stöße
seines Flugzeuges.

So plauderten wir uns -- wenn ich an Bord war und es nicht vorzog,
die Strecken von Hafen zu Hafen an Land reisend oder reitend zurückzulegen --
bis zu seinem Bestimmungsort hinauf. Am Vorabend, als seine Mechaniker sich
schon an der Kiste zu schaffen machten, kam er mit einer Bitte: ob ich nicht sein
Fluggast sein wolle. Wenigstens einmal: die Leute würden mehr staunen, wenn
sich ein Europäer ihm anvertraue, müsse ich wissen.




Reisebriefe von Fritz Reck-Malleczewcn
6. Ieeru8 tropicuZ

Als wir vor Valparaisos Amphitheater lagen und am Tage in der Glut¬
sonne brieten, am Abend im „eisigen Suber" froren, ratterten die Dampfwinden
uns ein wunderliches Ding an Bord: eine Kiste, gut zwölf Meter lang und
kaum zwei Meter breit. Vorn bei der Back wurde sie verstaut. Wir rieten auf
alles mögliche. Der erste Offizier, der um den Inhalt wußte, lächelte nur
ironisch und führte mich schließlich nach vorn an das seltsame Ding heran. Und
durch die weiten Fugen der Verpackung sah ich eine Menge Spanndrähte und
eine große weiße Fläche und dann noch eine. Da wußte ich Bescheid, zumal
auf den Brettern der Verpackung in großen schwarzen Buchstaben das Wort
„Farman" geschrieben stand. Ich sah den Seemann etwas fragend an: wir
gingen nach der tropischen Westküste! Wer wollte denn da fliegen? Der andere
wußte es auch nicht. Aber schon am nächsten Tag löste sich das Rätsel: ein
brauner Gesell kletterte das Fallrepp hoch, ein kleiner eleganter Kerl, in seiner
Eleganz ein wenig eine Boulevardfigur. Er sagte guten Tag und nannte seinen
Namen. Da stellte es sich heraus, daß es ein chilenischer Offizier war, der
oben in den Republiken des Nordens Schauflüge veranstalten wollte. „Auf Ein¬
ladung der Regierungen?" O nein, für Geld! Daß das für meinen europäischen
Horizont ein wenig merkwürdig war, konnte er nicht recht begreifen. . . .

Im übrigen war er ein netter Kerl. Es stellte sich bald heraus, daß er
auch eine Weile nach Berlin kommandiert gewesen war. Dann hatte er bei
Paris das Fliegen erlernt und wußte allerlei Schnurriges von den französischen
Flugplätzen zu erzählen und von seinen Fahrten im Element - Bavard, dessen
starkes Schwanken ihm entschieden ungemütlicher gewesen war als die Stöße
seines Flugzeuges.

So plauderten wir uns — wenn ich an Bord war und es nicht vorzog,
die Strecken von Hafen zu Hafen an Land reisend oder reitend zurückzulegen —
bis zu seinem Bestimmungsort hinauf. Am Vorabend, als seine Mechaniker sich
schon an der Kiste zu schaffen machten, kam er mit einer Bitte: ob ich nicht sein
Fluggast sein wolle. Wenigstens einmal: die Leute würden mehr staunen, wenn
sich ein Europäer ihm anvertraue, müsse ich wissen.


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[0134] [Abbildung] Reisebriefe von Fritz Reck-Malleczewcn 6. Ieeru8 tropicuZ Als wir vor Valparaisos Amphitheater lagen und am Tage in der Glut¬ sonne brieten, am Abend im „eisigen Suber" froren, ratterten die Dampfwinden uns ein wunderliches Ding an Bord: eine Kiste, gut zwölf Meter lang und kaum zwei Meter breit. Vorn bei der Back wurde sie verstaut. Wir rieten auf alles mögliche. Der erste Offizier, der um den Inhalt wußte, lächelte nur ironisch und führte mich schließlich nach vorn an das seltsame Ding heran. Und durch die weiten Fugen der Verpackung sah ich eine Menge Spanndrähte und eine große weiße Fläche und dann noch eine. Da wußte ich Bescheid, zumal auf den Brettern der Verpackung in großen schwarzen Buchstaben das Wort „Farman" geschrieben stand. Ich sah den Seemann etwas fragend an: wir gingen nach der tropischen Westküste! Wer wollte denn da fliegen? Der andere wußte es auch nicht. Aber schon am nächsten Tag löste sich das Rätsel: ein brauner Gesell kletterte das Fallrepp hoch, ein kleiner eleganter Kerl, in seiner Eleganz ein wenig eine Boulevardfigur. Er sagte guten Tag und nannte seinen Namen. Da stellte es sich heraus, daß es ein chilenischer Offizier war, der oben in den Republiken des Nordens Schauflüge veranstalten wollte. „Auf Ein¬ ladung der Regierungen?" O nein, für Geld! Daß das für meinen europäischen Horizont ein wenig merkwürdig war, konnte er nicht recht begreifen. . . . Im übrigen war er ein netter Kerl. Es stellte sich bald heraus, daß er auch eine Weile nach Berlin kommandiert gewesen war. Dann hatte er bei Paris das Fliegen erlernt und wußte allerlei Schnurriges von den französischen Flugplätzen zu erzählen und von seinen Fahrten im Element - Bavard, dessen starkes Schwanken ihm entschieden ungemütlicher gewesen war als die Stöße seines Flugzeuges. So plauderten wir uns — wenn ich an Bord war und es nicht vorzog, die Strecken von Hafen zu Hafen an Land reisend oder reitend zurückzulegen — bis zu seinem Bestimmungsort hinauf. Am Vorabend, als seine Mechaniker sich schon an der Kiste zu schaffen machten, kam er mit einer Bitte: ob ich nicht sein Fluggast sein wolle. Wenigstens einmal: die Leute würden mehr staunen, wenn sich ein Europäer ihm anvertraue, müsse ich wissen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/134>, abgerufen am 28.04.2024.