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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reisebricfc

7. I'rczpica

Über den fernen Bergketten der Anden wird der Himmel klar. Verliert
den weißen Giftnebel, den Guanaquils Höllenfümpfe am Tage ausbrüten.
Tief unten im Süden wird das Kreuz entzündet. Vom Czimborasso, von
der fernen Wunderstadt Quito her kommt der erste erlösende kühle Gletscher-
Hauch.

Du warst tot den ganzen, langen Tag, solange diese entsetzliche Sonne
ohne Erbarmen alles Leben tötete und nur settes Sumpfkraut und in
Schlangeneiern ekles Giftgewürm brütete. Du warst tot und starr, wie dieser
eherne Gluthimmel tot und starr ist. Und nun erst weckt dich der erste kühle
Lufthauch.

Horch, nun erwacht es auch da drüben. Im Sumpf brüllt der Bullock-
frosch. Die Stadt, die wie ein aus der Lava befreiter Totenort dalag, beginnt
sich zu regen. Das Restchen Dämmerung, das die Tropensonne dem müden
Menschen gönnt, spielt über die endlosen Sümpfe und gibt ihnen etwas von
den Farben der heimatlichen Ebene.

Nun zieht es heran, Boot auf Boot. Uralte Weisen erklingen, wie sie
hier erklungen sein mögen, lange, bevor Pizarro das Jnkareich in Blut ersäufte.
Männer von unentwirrbarer Blutmischung, aber die braunen Körper von einer
Schönheit, das Muskelspiel von einer Harmonie, wie ich es nie zuvor sah.
Leichte, sorglose Naturkinder.- die bunte Decke, armselig und fadenscheinig, um¬
spielt den nackten Körper in Linien und Farben, die den Adel dieser Glieder
zum Klassizismus steigern. Mädchen, fast nackt, blumenbekränzt. Das lacht
und singt und lockt und jauchzt wie eine Bacchantinnenschar. Der kultiviertere
Typ mit den strengen spanischen Zügen, in denen Sinnentaumel und mönchischer
Fanatismus eine seltsame Hochzeit feiern. . . Das alles zieht an dir vorbei
in weichen lässigen Bewegungen, in denen ein ewiges Verlangen nach dem
Leben liegt.

Bestrickender Blumenduft zieht schwer und süß herüber von den Gärten
der Berge. . .


"Des Westwinds Säuseln und des Baches Rieseln

Stimmen jede Fiber zur Entzückung,

Die Blumen duften auf den bunten Wiesen" ...


'"jZOH. auch diese Nacht ist eine von jenen, die die Stirn mit Rosen kränzen!
Es ist eine Sinnlichkeit in ihr, schwer und betäubend und verzehrend. Ver¬
zehrend und ködert. Wehre dich gegen diesen Zauber und du wirst ein Antlitz
sehen, so grauenvoll und hart, daß du erbebst.

Gehe einmal im nüchternen Lichte des Tages durch jene Stadt, deren
goldviolette Lichter dir jetzt in lockenden Farbenton herüberwinken. Du wirst
kein Paradies sehen, du wirst irre Todesschreie hören. Du wirst Leichenzug
auf Leichenzug fehen, alle mit jenen entsetzlichen engen südländischen Särgen.
Denn Pest und Gelbfieber rasen durch die Gassen und raffen täglich ein halb


Reisebricfc

7. I'rczpica

Über den fernen Bergketten der Anden wird der Himmel klar. Verliert
den weißen Giftnebel, den Guanaquils Höllenfümpfe am Tage ausbrüten.
Tief unten im Süden wird das Kreuz entzündet. Vom Czimborasso, von
der fernen Wunderstadt Quito her kommt der erste erlösende kühle Gletscher-
Hauch.

Du warst tot den ganzen, langen Tag, solange diese entsetzliche Sonne
ohne Erbarmen alles Leben tötete und nur settes Sumpfkraut und in
Schlangeneiern ekles Giftgewürm brütete. Du warst tot und starr, wie dieser
eherne Gluthimmel tot und starr ist. Und nun erst weckt dich der erste kühle
Lufthauch.

Horch, nun erwacht es auch da drüben. Im Sumpf brüllt der Bullock-
frosch. Die Stadt, die wie ein aus der Lava befreiter Totenort dalag, beginnt
sich zu regen. Das Restchen Dämmerung, das die Tropensonne dem müden
Menschen gönnt, spielt über die endlosen Sümpfe und gibt ihnen etwas von
den Farben der heimatlichen Ebene.

Nun zieht es heran, Boot auf Boot. Uralte Weisen erklingen, wie sie
hier erklungen sein mögen, lange, bevor Pizarro das Jnkareich in Blut ersäufte.
Männer von unentwirrbarer Blutmischung, aber die braunen Körper von einer
Schönheit, das Muskelspiel von einer Harmonie, wie ich es nie zuvor sah.
Leichte, sorglose Naturkinder.- die bunte Decke, armselig und fadenscheinig, um¬
spielt den nackten Körper in Linien und Farben, die den Adel dieser Glieder
zum Klassizismus steigern. Mädchen, fast nackt, blumenbekränzt. Das lacht
und singt und lockt und jauchzt wie eine Bacchantinnenschar. Der kultiviertere
Typ mit den strengen spanischen Zügen, in denen Sinnentaumel und mönchischer
Fanatismus eine seltsame Hochzeit feiern. . . Das alles zieht an dir vorbei
in weichen lässigen Bewegungen, in denen ein ewiges Verlangen nach dem
Leben liegt.

Bestrickender Blumenduft zieht schwer und süß herüber von den Gärten
der Berge. . .


„Des Westwinds Säuseln und des Baches Rieseln

Stimmen jede Fiber zur Entzückung,

Die Blumen duften auf den bunten Wiesen" ...


'"jZOH. auch diese Nacht ist eine von jenen, die die Stirn mit Rosen kränzen!
Es ist eine Sinnlichkeit in ihr, schwer und betäubend und verzehrend. Ver¬
zehrend und ködert. Wehre dich gegen diesen Zauber und du wirst ein Antlitz
sehen, so grauenvoll und hart, daß du erbebst.

Gehe einmal im nüchternen Lichte des Tages durch jene Stadt, deren
goldviolette Lichter dir jetzt in lockenden Farbenton herüberwinken. Du wirst
kein Paradies sehen, du wirst irre Todesschreie hören. Du wirst Leichenzug
auf Leichenzug fehen, alle mit jenen entsetzlichen engen südländischen Särgen.
Denn Pest und Gelbfieber rasen durch die Gassen und raffen täglich ein halb


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[0137] Reisebricfc 7. I'rczpica Über den fernen Bergketten der Anden wird der Himmel klar. Verliert den weißen Giftnebel, den Guanaquils Höllenfümpfe am Tage ausbrüten. Tief unten im Süden wird das Kreuz entzündet. Vom Czimborasso, von der fernen Wunderstadt Quito her kommt der erste erlösende kühle Gletscher- Hauch. Du warst tot den ganzen, langen Tag, solange diese entsetzliche Sonne ohne Erbarmen alles Leben tötete und nur settes Sumpfkraut und in Schlangeneiern ekles Giftgewürm brütete. Du warst tot und starr, wie dieser eherne Gluthimmel tot und starr ist. Und nun erst weckt dich der erste kühle Lufthauch. Horch, nun erwacht es auch da drüben. Im Sumpf brüllt der Bullock- frosch. Die Stadt, die wie ein aus der Lava befreiter Totenort dalag, beginnt sich zu regen. Das Restchen Dämmerung, das die Tropensonne dem müden Menschen gönnt, spielt über die endlosen Sümpfe und gibt ihnen etwas von den Farben der heimatlichen Ebene. Nun zieht es heran, Boot auf Boot. Uralte Weisen erklingen, wie sie hier erklungen sein mögen, lange, bevor Pizarro das Jnkareich in Blut ersäufte. Männer von unentwirrbarer Blutmischung, aber die braunen Körper von einer Schönheit, das Muskelspiel von einer Harmonie, wie ich es nie zuvor sah. Leichte, sorglose Naturkinder.- die bunte Decke, armselig und fadenscheinig, um¬ spielt den nackten Körper in Linien und Farben, die den Adel dieser Glieder zum Klassizismus steigern. Mädchen, fast nackt, blumenbekränzt. Das lacht und singt und lockt und jauchzt wie eine Bacchantinnenschar. Der kultiviertere Typ mit den strengen spanischen Zügen, in denen Sinnentaumel und mönchischer Fanatismus eine seltsame Hochzeit feiern. . . Das alles zieht an dir vorbei in weichen lässigen Bewegungen, in denen ein ewiges Verlangen nach dem Leben liegt. Bestrickender Blumenduft zieht schwer und süß herüber von den Gärten der Berge. . . „Des Westwinds Säuseln und des Baches Rieseln Stimmen jede Fiber zur Entzückung, Die Blumen duften auf den bunten Wiesen" ... '"jZOH. auch diese Nacht ist eine von jenen, die die Stirn mit Rosen kränzen! Es ist eine Sinnlichkeit in ihr, schwer und betäubend und verzehrend. Ver¬ zehrend und ködert. Wehre dich gegen diesen Zauber und du wirst ein Antlitz sehen, so grauenvoll und hart, daß du erbebst. Gehe einmal im nüchternen Lichte des Tages durch jene Stadt, deren goldviolette Lichter dir jetzt in lockenden Farbenton herüberwinken. Du wirst kein Paradies sehen, du wirst irre Todesschreie hören. Du wirst Leichenzug auf Leichenzug fehen, alle mit jenen entsetzlichen engen südländischen Särgen. Denn Pest und Gelbfieber rasen durch die Gassen und raffen täglich ein halb

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/137>, abgerufen am 28.04.2024.