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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Und ich sah die Abendsonne das Antlitz neu beleben, dachte an den Sieges¬
weg, den dieses duldende Lächeln gezogen ist. Und trat hinaus und sah die
trostlose Wüste, die spärlichen Zwergpalmen, die rohen Gesichter der Eingeborenen,
die uns begleiteten. Und dachte wieder an die blutende Liebe in den Zügen
des Marterbildes da drinnen. Und nie ward es mir so klar, daß einstweilen
Krieg ist zwischen unserer Welt und der hier. Daß einstweilen unsere Zivili¬
sation und Kultur und alles, was dahinter liegt, diesen Ländern aufsitzen wie
einem Vierkantschädel ein zu enger Hut, den der erste Windstoß fortbläst.
Entfernt die Neste reinen spanischen Blutes, nehmt die Europäer aus dem Lande,
stellt alle Missionsbestrebungen ab, kurz: subtrahiert Europa von dein Riesen¬
leib Südamerikas -- und diese stolz sich als Kulturmenschen gebärdenden Bürger
der Republiken Chile, Peru und Ekuador sitzen nach längstens sechzig Jahren
wieder als schwermütige Wilde auf Bäumen und fressen Bananen.

Ob hier ein Entwicklungsprozeß zu höheren Formen im Gange ist, oder
ob diese Welt ein für allemal der unseren verschieden sein wird, diese Ent¬
scheidung ist mir zu schwer. Einstweilen aber ist eine gähnende Kluft zwischen
uns und ihnen. Und wer hier lebt, muß trachten, der Herr zu sein, unter
allen Umstünden.

Und das Resultat ist dann der Europäergrößenwahn, den man sich draußen
mit einiger Sicherheit erwirbt . . .

Was tuts? . . .

Guayaquil, im Dezember.


8. Quarantäne

Ja, da war nichts zu ändern. Die Dankes sind bakterienfürchtige Leute
und sperrten uns, die von dem pese- und fieberverseuchten Ecuador kamen, in
Quarantäne ein. Auf einer der kleinen Inseln, die vor der Westmündung des
werdenden Panamakanals liegen. Gut sechzig Menschen auf einem Fleck von
200 Metern im Geviert. In einer Hundebude, die sich Hotel nannte. Drei
Mann in einem Zimmer, das weder Wascheinrichtungen hatte noch Klingeln.
Denn wie kann man es wagen, einen freien Amerikaner herbeizuklingeln?
Bedienung: schmierige, faule Nigger mit Ohrfeigengesichtern. Pensionspreis pro
Tag fünf Dollar. Wenn man wenigstens dafür in einem guten, ehrlichen
Heuboden gewohnt hätte. So aber war es dieses Hotel.

Die Gesellschaft? Du lieber Gott: ein deutscher Kaufmann aus
Guayaquil, auf dessen Koffern stolz der Name prangt: Carlos... und dann
folgt ein Familienname der Mießnickklasse. Aber natürlich Carlos. Denn es
ist sicher schon drei Jahre her, daß der Mann in Ecuador lebt. Also
Carlos. . .

Herr Carlos ist leider nicht ohne ebenbürtige Genossen. Was die Herren
tun? Sie tun das, was den Deutschen im Auslande so ungemein beliebt
macht: man spielt bis 12 Uhr nachts Skat, grölt mit Zotenlachen in dem


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Und ich sah die Abendsonne das Antlitz neu beleben, dachte an den Sieges¬
weg, den dieses duldende Lächeln gezogen ist. Und trat hinaus und sah die
trostlose Wüste, die spärlichen Zwergpalmen, die rohen Gesichter der Eingeborenen,
die uns begleiteten. Und dachte wieder an die blutende Liebe in den Zügen
des Marterbildes da drinnen. Und nie ward es mir so klar, daß einstweilen
Krieg ist zwischen unserer Welt und der hier. Daß einstweilen unsere Zivili¬
sation und Kultur und alles, was dahinter liegt, diesen Ländern aufsitzen wie
einem Vierkantschädel ein zu enger Hut, den der erste Windstoß fortbläst.
Entfernt die Neste reinen spanischen Blutes, nehmt die Europäer aus dem Lande,
stellt alle Missionsbestrebungen ab, kurz: subtrahiert Europa von dein Riesen¬
leib Südamerikas — und diese stolz sich als Kulturmenschen gebärdenden Bürger
der Republiken Chile, Peru und Ekuador sitzen nach längstens sechzig Jahren
wieder als schwermütige Wilde auf Bäumen und fressen Bananen.

Ob hier ein Entwicklungsprozeß zu höheren Formen im Gange ist, oder
ob diese Welt ein für allemal der unseren verschieden sein wird, diese Ent¬
scheidung ist mir zu schwer. Einstweilen aber ist eine gähnende Kluft zwischen
uns und ihnen. Und wer hier lebt, muß trachten, der Herr zu sein, unter
allen Umstünden.

Und das Resultat ist dann der Europäergrößenwahn, den man sich draußen
mit einiger Sicherheit erwirbt . . .

Was tuts? . . .

Guayaquil, im Dezember.


8. Quarantäne

Ja, da war nichts zu ändern. Die Dankes sind bakterienfürchtige Leute
und sperrten uns, die von dem pese- und fieberverseuchten Ecuador kamen, in
Quarantäne ein. Auf einer der kleinen Inseln, die vor der Westmündung des
werdenden Panamakanals liegen. Gut sechzig Menschen auf einem Fleck von
200 Metern im Geviert. In einer Hundebude, die sich Hotel nannte. Drei
Mann in einem Zimmer, das weder Wascheinrichtungen hatte noch Klingeln.
Denn wie kann man es wagen, einen freien Amerikaner herbeizuklingeln?
Bedienung: schmierige, faule Nigger mit Ohrfeigengesichtern. Pensionspreis pro
Tag fünf Dollar. Wenn man wenigstens dafür in einem guten, ehrlichen
Heuboden gewohnt hätte. So aber war es dieses Hotel.

Die Gesellschaft? Du lieber Gott: ein deutscher Kaufmann aus
Guayaquil, auf dessen Koffern stolz der Name prangt: Carlos... und dann
folgt ein Familienname der Mießnickklasse. Aber natürlich Carlos. Denn es
ist sicher schon drei Jahre her, daß der Mann in Ecuador lebt. Also
Carlos. . .

Herr Carlos ist leider nicht ohne ebenbürtige Genossen. Was die Herren
tun? Sie tun das, was den Deutschen im Auslande so ungemein beliebt
macht: man spielt bis 12 Uhr nachts Skat, grölt mit Zotenlachen in dem


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[0139] RLisebnejv Und ich sah die Abendsonne das Antlitz neu beleben, dachte an den Sieges¬ weg, den dieses duldende Lächeln gezogen ist. Und trat hinaus und sah die trostlose Wüste, die spärlichen Zwergpalmen, die rohen Gesichter der Eingeborenen, die uns begleiteten. Und dachte wieder an die blutende Liebe in den Zügen des Marterbildes da drinnen. Und nie ward es mir so klar, daß einstweilen Krieg ist zwischen unserer Welt und der hier. Daß einstweilen unsere Zivili¬ sation und Kultur und alles, was dahinter liegt, diesen Ländern aufsitzen wie einem Vierkantschädel ein zu enger Hut, den der erste Windstoß fortbläst. Entfernt die Neste reinen spanischen Blutes, nehmt die Europäer aus dem Lande, stellt alle Missionsbestrebungen ab, kurz: subtrahiert Europa von dein Riesen¬ leib Südamerikas — und diese stolz sich als Kulturmenschen gebärdenden Bürger der Republiken Chile, Peru und Ekuador sitzen nach längstens sechzig Jahren wieder als schwermütige Wilde auf Bäumen und fressen Bananen. Ob hier ein Entwicklungsprozeß zu höheren Formen im Gange ist, oder ob diese Welt ein für allemal der unseren verschieden sein wird, diese Ent¬ scheidung ist mir zu schwer. Einstweilen aber ist eine gähnende Kluft zwischen uns und ihnen. Und wer hier lebt, muß trachten, der Herr zu sein, unter allen Umstünden. Und das Resultat ist dann der Europäergrößenwahn, den man sich draußen mit einiger Sicherheit erwirbt . . . Was tuts? . . . Guayaquil, im Dezember. 8. Quarantäne Ja, da war nichts zu ändern. Die Dankes sind bakterienfürchtige Leute und sperrten uns, die von dem pese- und fieberverseuchten Ecuador kamen, in Quarantäne ein. Auf einer der kleinen Inseln, die vor der Westmündung des werdenden Panamakanals liegen. Gut sechzig Menschen auf einem Fleck von 200 Metern im Geviert. In einer Hundebude, die sich Hotel nannte. Drei Mann in einem Zimmer, das weder Wascheinrichtungen hatte noch Klingeln. Denn wie kann man es wagen, einen freien Amerikaner herbeizuklingeln? Bedienung: schmierige, faule Nigger mit Ohrfeigengesichtern. Pensionspreis pro Tag fünf Dollar. Wenn man wenigstens dafür in einem guten, ehrlichen Heuboden gewohnt hätte. So aber war es dieses Hotel. Die Gesellschaft? Du lieber Gott: ein deutscher Kaufmann aus Guayaquil, auf dessen Koffern stolz der Name prangt: Carlos... und dann folgt ein Familienname der Mießnickklasse. Aber natürlich Carlos. Denn es ist sicher schon drei Jahre her, daß der Mann in Ecuador lebt. Also Carlos. . . Herr Carlos ist leider nicht ohne ebenbürtige Genossen. Was die Herren tun? Sie tun das, was den Deutschen im Auslande so ungemein beliebt macht: man spielt bis 12 Uhr nachts Skat, grölt mit Zotenlachen in dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/139>, abgerufen am 27.04.2024.