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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reichsspiegel
Die Nlelfenfrage

Recht unerquickliche Erörterungen sind es, mit denen jetzt wieder die poli¬
tische Welt anläßlich der braunschweigischen Frage beschäftigt ist. Endlich sind
nun aus Gmunden neue Erklärungen erfolgt und der Öffentlichkeit übermittelt,
die uns vor die Frage stellen, ob es daraufhin möglich sein wird, die Angelegen-
heit einem Ruhepunkt zuzuführen. Wie erwünscht das wäre, darüber wird wohl
nirgends eine Meinungsverschiedenheit herrschen.

Die Grundstimmung der öffentlichen Meinung scheint mir eine gewisse
Enttäuschung zu sein, daß die Sache einen solchen Ausgang genommen hat.
Man hatte wohl gedacht, es werde alles in eitel Wohlgefallen enden. Die Ent¬
täuschung äußert sich nun nach zwei Richtungen hin. Die einen wollen die
schroffsten Saiten aufziehen und den Weisen recht energisch die Folgenj ihrer
Hartnäckigkeit fühlbar machen. Die anderen wollen nach Möglichkeit beschwich¬
tigen und die Tatsache vertuschen, daß die Angelegenheit von vornherein wohl
zu leicht genommen worden ist. Welche Stellung soll man jetzt dazu nehmen?
Um den Ausgangspunkt der folgenden Betrachtung klarzustellen, muß ich sagen,
daß ich mich nicht zu den Enttäuschten rechnen darf. Ich habe seinerzeit die
vorbehaltlose Freude und Genugtuung, die bei Veröffentlichung der Verlobung
der Prinzessin Viktoria Luise fast in der gesamten bürgerlichen Presse geäußert
wurde, nicht begriffen. Man verstehe dies nicht falsch! Wohl bin ich zu sehr
Monarchist vom alten Schlage und zu sehr innerlich interessiert für das Wohl
und Wehe des Hauses Hohenzollern, um nicht mit menschlicher Teilnahme und
aufrichtigen Wünschen die an sich herzerfreuende Tatsache zu begrüßen, daß
unsere Kaisertochter ihrer Neigung folgen durfte und einem jungen Fürstensohn
die Hand reichen sollte, der ihrer in jeder Beziehung würdig ist und mensch¬
liche Sympathie verdient. Aber wie man dieses Ereignis auch als politisch
wünschenswert bezeichnen und daran die Hoffnung auf endgültige Lösung der
Welfenfrage knüpfen konnte, das war mir unverständlich.




Reichsspiegel
Die Nlelfenfrage

Recht unerquickliche Erörterungen sind es, mit denen jetzt wieder die poli¬
tische Welt anläßlich der braunschweigischen Frage beschäftigt ist. Endlich sind
nun aus Gmunden neue Erklärungen erfolgt und der Öffentlichkeit übermittelt,
die uns vor die Frage stellen, ob es daraufhin möglich sein wird, die Angelegen-
heit einem Ruhepunkt zuzuführen. Wie erwünscht das wäre, darüber wird wohl
nirgends eine Meinungsverschiedenheit herrschen.

Die Grundstimmung der öffentlichen Meinung scheint mir eine gewisse
Enttäuschung zu sein, daß die Sache einen solchen Ausgang genommen hat.
Man hatte wohl gedacht, es werde alles in eitel Wohlgefallen enden. Die Ent¬
täuschung äußert sich nun nach zwei Richtungen hin. Die einen wollen die
schroffsten Saiten aufziehen und den Weisen recht energisch die Folgenj ihrer
Hartnäckigkeit fühlbar machen. Die anderen wollen nach Möglichkeit beschwich¬
tigen und die Tatsache vertuschen, daß die Angelegenheit von vornherein wohl
zu leicht genommen worden ist. Welche Stellung soll man jetzt dazu nehmen?
Um den Ausgangspunkt der folgenden Betrachtung klarzustellen, muß ich sagen,
daß ich mich nicht zu den Enttäuschten rechnen darf. Ich habe seinerzeit die
vorbehaltlose Freude und Genugtuung, die bei Veröffentlichung der Verlobung
der Prinzessin Viktoria Luise fast in der gesamten bürgerlichen Presse geäußert
wurde, nicht begriffen. Man verstehe dies nicht falsch! Wohl bin ich zu sehr
Monarchist vom alten Schlage und zu sehr innerlich interessiert für das Wohl
und Wehe des Hauses Hohenzollern, um nicht mit menschlicher Teilnahme und
aufrichtigen Wünschen die an sich herzerfreuende Tatsache zu begrüßen, daß
unsere Kaisertochter ihrer Neigung folgen durfte und einem jungen Fürstensohn
die Hand reichen sollte, der ihrer in jeder Beziehung würdig ist und mensch¬
liche Sympathie verdient. Aber wie man dieses Ereignis auch als politisch
wünschenswert bezeichnen und daran die Hoffnung auf endgültige Lösung der
Welfenfrage knüpfen konnte, das war mir unverständlich.


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[0145] [Abbildung] Reichsspiegel Die Nlelfenfrage Recht unerquickliche Erörterungen sind es, mit denen jetzt wieder die poli¬ tische Welt anläßlich der braunschweigischen Frage beschäftigt ist. Endlich sind nun aus Gmunden neue Erklärungen erfolgt und der Öffentlichkeit übermittelt, die uns vor die Frage stellen, ob es daraufhin möglich sein wird, die Angelegen- heit einem Ruhepunkt zuzuführen. Wie erwünscht das wäre, darüber wird wohl nirgends eine Meinungsverschiedenheit herrschen. Die Grundstimmung der öffentlichen Meinung scheint mir eine gewisse Enttäuschung zu sein, daß die Sache einen solchen Ausgang genommen hat. Man hatte wohl gedacht, es werde alles in eitel Wohlgefallen enden. Die Ent¬ täuschung äußert sich nun nach zwei Richtungen hin. Die einen wollen die schroffsten Saiten aufziehen und den Weisen recht energisch die Folgenj ihrer Hartnäckigkeit fühlbar machen. Die anderen wollen nach Möglichkeit beschwich¬ tigen und die Tatsache vertuschen, daß die Angelegenheit von vornherein wohl zu leicht genommen worden ist. Welche Stellung soll man jetzt dazu nehmen? Um den Ausgangspunkt der folgenden Betrachtung klarzustellen, muß ich sagen, daß ich mich nicht zu den Enttäuschten rechnen darf. Ich habe seinerzeit die vorbehaltlose Freude und Genugtuung, die bei Veröffentlichung der Verlobung der Prinzessin Viktoria Luise fast in der gesamten bürgerlichen Presse geäußert wurde, nicht begriffen. Man verstehe dies nicht falsch! Wohl bin ich zu sehr Monarchist vom alten Schlage und zu sehr innerlich interessiert für das Wohl und Wehe des Hauses Hohenzollern, um nicht mit menschlicher Teilnahme und aufrichtigen Wünschen die an sich herzerfreuende Tatsache zu begrüßen, daß unsere Kaisertochter ihrer Neigung folgen durfte und einem jungen Fürstensohn die Hand reichen sollte, der ihrer in jeder Beziehung würdig ist und mensch¬ liche Sympathie verdient. Aber wie man dieses Ereignis auch als politisch wünschenswert bezeichnen und daran die Hoffnung auf endgültige Lösung der Welfenfrage knüpfen konnte, das war mir unverständlich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/145>, abgerufen am 28.04.2024.