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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Maßgeblich.'? und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

einer hohen Lebensauffassung emporgerungen
hat. Während er die harten Arbeiten der
kleinen Bauernwirtschaft selbst verrichten und
für den Unterhalt seiner Lieben sorgen mußte,
schuf er jene Werke, durch die er die Auf¬
merksamkeit der ganzen literarischen Welt auf
sich lenkte. Wenn auch die spannende Ver¬
schlingung der Handlung bei den größeren
Werken etwas zu wünschen übrig läßt, so ist
und bleibt Felder ein gewandter Erzähler
und Darsteller, der leider noch nicht dreißig
Jahre alt starb, bevor sein hohes Talent voll¬
kommen ausreifen konnte. Um so mehr Be¬
wunderung und Anerkennung verdient das
große Lebenswerk, das er seiner Nachwelt
hinterließ. Möge daher der im Leben viel
verfolgte Bauer, Dichter und Volksmann durch
die erste Volksausgabe nach seinem Tode im
ganzen deutschen Volke, vor allem aber in
seinem eigenen Heimatlands Vorarlberg eine
siegreiche Auferstehung feiern.

Hugo Hänsle
Aulturgeschichte

"Das Biedermeier im Spiegel seiner
Zeit." Briefe, Tagebücher, Memoiren, Volks¬

[Spaltenumbruch]

szenen und ähnliche Dokumente, gesammelt
von Georg Hermann. Deutsches Verlags¬
haus Borg u. Co., 1913. (2 Mark, geb.
3 Mark.)

Auch in der kulturgeschichtlichen Betrach¬
tung gilt das Sprichwort "sage mir, mit wem du
umgehst, und ich werde dir sagen, wer du
bist". Denn wenn wir den Geist einer Epoche
kennen lernen wollen, so werden wir nicht
nur den Spuren folgen, die sie in schriftlichen
und sonstigen Denkmalen hinterließ, sondern
wir werden uns auch fragen: was war ihr Ideal,
wohin verlegte sie am liebsten ihre Träume,
welcher vergangenen Periode fühlte sie sich
am meisten verwandt, zu welcher am meisten
hingezogen? So war für die Renaissance,
für die deutsche Klassik das Altertum das
große Vorbild, so das Mittelalter für die
Romantik. Denn eine Zeit vermag Wohl zu
fühlen, was ihr fehlt, und wieder und wieder
richtet sie die Blicke aus ein Ideal, das in
der Vergangenheit liegt, das sie oft nach den
eigenen Wünschen und Bedürfnissen umbildet,
und so gibt sie selber dem späteren Betrachter
die Möglichkeit, ihr innerstes Streben, ihre
geheimste Sehnsucht zu erkennen.

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Maßgeblich.'? und Unmaßgebliches

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einer hohen Lebensauffassung emporgerungen
hat. Während er die harten Arbeiten der
kleinen Bauernwirtschaft selbst verrichten und
für den Unterhalt seiner Lieben sorgen mußte,
schuf er jene Werke, durch die er die Auf¬
merksamkeit der ganzen literarischen Welt auf
sich lenkte. Wenn auch die spannende Ver¬
schlingung der Handlung bei den größeren
Werken etwas zu wünschen übrig läßt, so ist
und bleibt Felder ein gewandter Erzähler
und Darsteller, der leider noch nicht dreißig
Jahre alt starb, bevor sein hohes Talent voll¬
kommen ausreifen konnte. Um so mehr Be¬
wunderung und Anerkennung verdient das
große Lebenswerk, das er seiner Nachwelt
hinterließ. Möge daher der im Leben viel
verfolgte Bauer, Dichter und Volksmann durch
die erste Volksausgabe nach seinem Tode im
ganzen deutschen Volke, vor allem aber in
seinem eigenen Heimatlands Vorarlberg eine
siegreiche Auferstehung feiern.

Hugo Hänsle
Aulturgeschichte

„Das Biedermeier im Spiegel seiner
Zeit." Briefe, Tagebücher, Memoiren, Volks¬

[Spaltenumbruch]

szenen und ähnliche Dokumente, gesammelt
von Georg Hermann. Deutsches Verlags¬
haus Borg u. Co., 1913. (2 Mark, geb.
3 Mark.)

Auch in der kulturgeschichtlichen Betrach¬
tung gilt das Sprichwort „sage mir, mit wem du
umgehst, und ich werde dir sagen, wer du
bist". Denn wenn wir den Geist einer Epoche
kennen lernen wollen, so werden wir nicht
nur den Spuren folgen, die sie in schriftlichen
und sonstigen Denkmalen hinterließ, sondern
wir werden uns auch fragen: was war ihr Ideal,
wohin verlegte sie am liebsten ihre Träume,
welcher vergangenen Periode fühlte sie sich
am meisten verwandt, zu welcher am meisten
hingezogen? So war für die Renaissance,
für die deutsche Klassik das Altertum das
große Vorbild, so das Mittelalter für die
Romantik. Denn eine Zeit vermag Wohl zu
fühlen, was ihr fehlt, und wieder und wieder
richtet sie die Blicke aus ein Ideal, das in
der Vergangenheit liegt, das sie oft nach den
eigenen Wünschen und Bedürfnissen umbildet,
und so gibt sie selber dem späteren Betrachter
die Möglichkeit, ihr innerstes Streben, ihre
geheimste Sehnsucht zu erkennen.

[Ende Spaltensatz]


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/154>, abgerufen am 28.04.2024.