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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Aus der Länge des Interregnums schon ganz allein wird man folgern
dürfen, daß es nicht ganz leicht war. den Mann zu bestimmen, der sich den
Forderungen der mächtigen Gegner des Siedlungswerkes unterwerfen würde.
Wenn Herr Geheimrat Gänse sich nun entschlossen hat, das verantwortungs¬
volle Amt zu übernehmen, so wird es somit ohne ein Kompromiß zwischen
ihm und den maßgebenden Faktoren nicht abgegangen sein. Ob das Kom¬
promiß einen Sieg derjenigen Kreise bedeutet, die die Tätigkeit des bisherigen
Präsidenten zu hemmen wußten, entzieht sich noch unserer Kenntnis; das verdienst¬
volle Eintreten Ganses für eine stetig fortschreitende Ansiedlung, wie er es
bisher in seinen verschiedenen Stellungen betätigt hat, könnte ebenso wie die
große praktische Erfahrung und der weite Überblick, den er zu gewinnen ver¬
mochte, manchen Zweifel beseitigen. Jedenfalls beglückwünschen wir Herrn
Geheimrat Gänse zu seinem Entschluß, den Kampf um die Ostmark aufzu¬
nehmen; er wird uns immer an seiner Seite finden, wenn es gilt, das ihm
anvertraute Werk zu verteidigen.


Die Wahlen in Baden

Zum zweiten Male in diesem Jahre bringen es die Verhältnisse mit sich,
daß die konservativen Organisationen berufen scheinen, nationale Aufgaben zu
übernehmen, die bisher von der nationalliberalen Partei vertreten wurden. Auf
die Veränderung in den Verhältnissen in Hannover wurde vor vierzehn Tagen
hingewiesen; heute ist es der Ausfall der Wahlen in Baden, der zu unserer
Bemerkung Veranlassung gibt.

Die diesmaligen Wahlen zur Zweiten Badischen Kammer finden im ganzen
Reich besonders deshalb Interesse, weil sie die Bedeutung des Großblock¬
gedankens für die bürgerlichen Parteien dartun sollten. Das Ergebnis ist für
die liberalen Parteien niederschmetternd: die Rechte und das Zentrum, gegen
die der Großblock seinerzeit gebildet wurde, zählte schon nach dem ersten Wahl¬
gänge zweiunddreißig gewonnene Mandate, gegen dreiundzwanzig bei der Haupt¬
wahl von 1909. Gegenwärtig stehen noch einundzwanzig Entscheidungen durch
Stichwahlen aus und an ihnen sind nicht weniger als acht Kandidaten des
Zentrums und sieben der Konservativen beteiligt, während der vereinigten Rechten
zur absoluten Mehrheit in der Kammer nur vier Mandate fehlen; dem Zentrum
fehlen zur alleinigen absoluten Mehrheit acht Mandate.

Die Schuldfrage? Es ist richtig, daß die Nationalliberalen eine Angst"
politik getrieben haben, als sie sich der Sozialdemokratie näherten. Aber sie
haben doch wenigstens versucht, etwas gegen die mächtig herandrängende Gefahr
der Zentrumsherrschaft zu tun. Auch unter den Konservativen fanden sich
Männer, die die Gefahr erkannten, aber die wenigen unter ihnen kamen nicht
auf, weil die Einflußreichsten mit dem neuen Machthaber, dem Zentrum,
rechnen begannen und den Liberalismus als den größeren Feind proklamierten.
Sie legten jahrelang die Hände in den Schoß und sahen abwartend zu. Wo


Reichsspiegel

Aus der Länge des Interregnums schon ganz allein wird man folgern
dürfen, daß es nicht ganz leicht war. den Mann zu bestimmen, der sich den
Forderungen der mächtigen Gegner des Siedlungswerkes unterwerfen würde.
Wenn Herr Geheimrat Gänse sich nun entschlossen hat, das verantwortungs¬
volle Amt zu übernehmen, so wird es somit ohne ein Kompromiß zwischen
ihm und den maßgebenden Faktoren nicht abgegangen sein. Ob das Kom¬
promiß einen Sieg derjenigen Kreise bedeutet, die die Tätigkeit des bisherigen
Präsidenten zu hemmen wußten, entzieht sich noch unserer Kenntnis; das verdienst¬
volle Eintreten Ganses für eine stetig fortschreitende Ansiedlung, wie er es
bisher in seinen verschiedenen Stellungen betätigt hat, könnte ebenso wie die
große praktische Erfahrung und der weite Überblick, den er zu gewinnen ver¬
mochte, manchen Zweifel beseitigen. Jedenfalls beglückwünschen wir Herrn
Geheimrat Gänse zu seinem Entschluß, den Kampf um die Ostmark aufzu¬
nehmen; er wird uns immer an seiner Seite finden, wenn es gilt, das ihm
anvertraute Werk zu verteidigen.


Die Wahlen in Baden

Zum zweiten Male in diesem Jahre bringen es die Verhältnisse mit sich,
daß die konservativen Organisationen berufen scheinen, nationale Aufgaben zu
übernehmen, die bisher von der nationalliberalen Partei vertreten wurden. Auf
die Veränderung in den Verhältnissen in Hannover wurde vor vierzehn Tagen
hingewiesen; heute ist es der Ausfall der Wahlen in Baden, der zu unserer
Bemerkung Veranlassung gibt.

Die diesmaligen Wahlen zur Zweiten Badischen Kammer finden im ganzen
Reich besonders deshalb Interesse, weil sie die Bedeutung des Großblock¬
gedankens für die bürgerlichen Parteien dartun sollten. Das Ergebnis ist für
die liberalen Parteien niederschmetternd: die Rechte und das Zentrum, gegen
die der Großblock seinerzeit gebildet wurde, zählte schon nach dem ersten Wahl¬
gänge zweiunddreißig gewonnene Mandate, gegen dreiundzwanzig bei der Haupt¬
wahl von 1909. Gegenwärtig stehen noch einundzwanzig Entscheidungen durch
Stichwahlen aus und an ihnen sind nicht weniger als acht Kandidaten des
Zentrums und sieben der Konservativen beteiligt, während der vereinigten Rechten
zur absoluten Mehrheit in der Kammer nur vier Mandate fehlen; dem Zentrum
fehlen zur alleinigen absoluten Mehrheit acht Mandate.

Die Schuldfrage? Es ist richtig, daß die Nationalliberalen eine Angst"
politik getrieben haben, als sie sich der Sozialdemokratie näherten. Aber sie
haben doch wenigstens versucht, etwas gegen die mächtig herandrängende Gefahr
der Zentrumsherrschaft zu tun. Auch unter den Konservativen fanden sich
Männer, die die Gefahr erkannten, aber die wenigen unter ihnen kamen nicht
auf, weil die Einflußreichsten mit dem neuen Machthaber, dem Zentrum,
rechnen begannen und den Liberalismus als den größeren Feind proklamierten.
Sie legten jahrelang die Hände in den Schoß und sahen abwartend zu. Wo


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/240>, abgerufen am 27.04.2024.