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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

waren die Konservativen Badens, als die nationalliberale Partei, die 1870 von
dreiundsechzig Plätzen in der Kammer fünfundfünfzig und 1887 noch zwei¬
undfünfzig innehatte, als die nationalliberale Partei im Jahre 1903 schon drei¬
undzwanzig Sitze an das Zentrum abgeben mußte?

Erst in den letzten Jahren, eben nach Proklamierung der Großblockidee
sind die Konservativen Badens selbständig hervorgetreten, haben sich gesammelt
und organisiert. Zu spät, um den Ansturm des Zentrums aufhalten zu können
-- was übrigens nach Lage der Dinge auch gar nicht mehr ihre Aufgabe sein
konnte --, vielleicht noch rechtzeitig genug, um die Alleinherrschaft des Zentrums
zu verhindern. Ehe wir an diese Hoffnung weitere Folgerungen knüpfen, wollen
wir den Ausfall der Stichwahlen, die am 30. Oktober stattfinden sollen, ab¬
warten. Sollen die großen nationalen Ziele in Baden, die mehr durch das
Zentrum, als durch die Sozialdemokratie bedroht sind, sicher gestellt bleiben --
früher ist die nationalliberale Partei ihr starker Hüter gewesen --, so muß es
über alle persönlichen Gegensätze hinaus zu einer Verständigung zwischen den
Konservativen und den Nationalliberalen auch wegen der Stichwahlen kommen.
Eine von beiden Parteien muß das Zünglein an der Wage der Abstimmungen
in der Kammer werden. Leider ist dafür gar keine Aussicht vorhanden und
so müssen die Nationalliberalen Badens auf dem einmal betretenen Wege
G. <n. weiterschreiten.


Wider die Verunglimpfung der Jugendpflege

Es scheint, daß es die Jugendpflege den Aufrechten im Lande angetan
hat. Wenigstens tauchen in letzter Zeit da und dort in der bürgerlichen Presse
angriffswütige Artikel auf, die wider den "Militarismus in der Jugendpflege"
und die "Berpreußung des Sports" eifern. Das ist ja nun an sich wohl
für die Freunde der Sache ein ebenso erfreuliches Zeichen, wie die giftigen
Bemerkungen der Genossen. Aber man soll grundsätzlich zu so etwas nicht
schweigen; im Zeitalter der öffentlichen Meinung ist Schweigen nicht Gold.
So gestatte man mir ein Wort gegen einen Aufsatz von Julius Bab in der
Gegenwart vom 4. Oktober, der als einer für viele stehen möge.

Julius Bab "fürchtet die Danaer immer, besonders aber, wenn sie Ge¬
schenke bringen." Ernsthafte Gegnerschaft gegen den Sport gebe es überhaupt
kaum noch; das Neue, was die "obrigkeitliche" Jugendpflege zu bringen sich
mühe, sei "jene Gesinnung, die man in Preußen die staatserhaltende nennt."
Der staatlich "konservative Wanderverein" lehre Drill statt Selbständigkeit und
trage Parteipolitik in die Körperpflege hinein. Dahingegen ist Julius Bab des
Lobes voll für die Wandervögel.

Nun ist auch sonst schon richtig betont worden, daß die Pfadfinder im
Gegensatz zu den Wandervögeln sich den handarbeitenden Schichten des Volkes
anpassen. Der tatsächliche Mitgliederbestand beweist das. Das umfangreiche
Tourenwandern kann auch einfach der Zeit wegen von der Arbeiterjugend


Reichsspiegel

waren die Konservativen Badens, als die nationalliberale Partei, die 1870 von
dreiundsechzig Plätzen in der Kammer fünfundfünfzig und 1887 noch zwei¬
undfünfzig innehatte, als die nationalliberale Partei im Jahre 1903 schon drei¬
undzwanzig Sitze an das Zentrum abgeben mußte?

Erst in den letzten Jahren, eben nach Proklamierung der Großblockidee
sind die Konservativen Badens selbständig hervorgetreten, haben sich gesammelt
und organisiert. Zu spät, um den Ansturm des Zentrums aufhalten zu können
— was übrigens nach Lage der Dinge auch gar nicht mehr ihre Aufgabe sein
konnte —, vielleicht noch rechtzeitig genug, um die Alleinherrschaft des Zentrums
zu verhindern. Ehe wir an diese Hoffnung weitere Folgerungen knüpfen, wollen
wir den Ausfall der Stichwahlen, die am 30. Oktober stattfinden sollen, ab¬
warten. Sollen die großen nationalen Ziele in Baden, die mehr durch das
Zentrum, als durch die Sozialdemokratie bedroht sind, sicher gestellt bleiben —
früher ist die nationalliberale Partei ihr starker Hüter gewesen —, so muß es
über alle persönlichen Gegensätze hinaus zu einer Verständigung zwischen den
Konservativen und den Nationalliberalen auch wegen der Stichwahlen kommen.
Eine von beiden Parteien muß das Zünglein an der Wage der Abstimmungen
in der Kammer werden. Leider ist dafür gar keine Aussicht vorhanden und
so müssen die Nationalliberalen Badens auf dem einmal betretenen Wege
G. <n. weiterschreiten.


Wider die Verunglimpfung der Jugendpflege

Es scheint, daß es die Jugendpflege den Aufrechten im Lande angetan
hat. Wenigstens tauchen in letzter Zeit da und dort in der bürgerlichen Presse
angriffswütige Artikel auf, die wider den „Militarismus in der Jugendpflege"
und die „Berpreußung des Sports" eifern. Das ist ja nun an sich wohl
für die Freunde der Sache ein ebenso erfreuliches Zeichen, wie die giftigen
Bemerkungen der Genossen. Aber man soll grundsätzlich zu so etwas nicht
schweigen; im Zeitalter der öffentlichen Meinung ist Schweigen nicht Gold.
So gestatte man mir ein Wort gegen einen Aufsatz von Julius Bab in der
Gegenwart vom 4. Oktober, der als einer für viele stehen möge.

Julius Bab „fürchtet die Danaer immer, besonders aber, wenn sie Ge¬
schenke bringen." Ernsthafte Gegnerschaft gegen den Sport gebe es überhaupt
kaum noch; das Neue, was die „obrigkeitliche" Jugendpflege zu bringen sich
mühe, sei „jene Gesinnung, die man in Preußen die staatserhaltende nennt."
Der staatlich „konservative Wanderverein" lehre Drill statt Selbständigkeit und
trage Parteipolitik in die Körperpflege hinein. Dahingegen ist Julius Bab des
Lobes voll für die Wandervögel.

Nun ist auch sonst schon richtig betont worden, daß die Pfadfinder im
Gegensatz zu den Wandervögeln sich den handarbeitenden Schichten des Volkes
anpassen. Der tatsächliche Mitgliederbestand beweist das. Das umfangreiche
Tourenwandern kann auch einfach der Zeit wegen von der Arbeiterjugend


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[0241] Reichsspiegel waren die Konservativen Badens, als die nationalliberale Partei, die 1870 von dreiundsechzig Plätzen in der Kammer fünfundfünfzig und 1887 noch zwei¬ undfünfzig innehatte, als die nationalliberale Partei im Jahre 1903 schon drei¬ undzwanzig Sitze an das Zentrum abgeben mußte? Erst in den letzten Jahren, eben nach Proklamierung der Großblockidee sind die Konservativen Badens selbständig hervorgetreten, haben sich gesammelt und organisiert. Zu spät, um den Ansturm des Zentrums aufhalten zu können — was übrigens nach Lage der Dinge auch gar nicht mehr ihre Aufgabe sein konnte —, vielleicht noch rechtzeitig genug, um die Alleinherrschaft des Zentrums zu verhindern. Ehe wir an diese Hoffnung weitere Folgerungen knüpfen, wollen wir den Ausfall der Stichwahlen, die am 30. Oktober stattfinden sollen, ab¬ warten. Sollen die großen nationalen Ziele in Baden, die mehr durch das Zentrum, als durch die Sozialdemokratie bedroht sind, sicher gestellt bleiben — früher ist die nationalliberale Partei ihr starker Hüter gewesen —, so muß es über alle persönlichen Gegensätze hinaus zu einer Verständigung zwischen den Konservativen und den Nationalliberalen auch wegen der Stichwahlen kommen. Eine von beiden Parteien muß das Zünglein an der Wage der Abstimmungen in der Kammer werden. Leider ist dafür gar keine Aussicht vorhanden und so müssen die Nationalliberalen Badens auf dem einmal betretenen Wege G. <n. weiterschreiten. Wider die Verunglimpfung der Jugendpflege Es scheint, daß es die Jugendpflege den Aufrechten im Lande angetan hat. Wenigstens tauchen in letzter Zeit da und dort in der bürgerlichen Presse angriffswütige Artikel auf, die wider den „Militarismus in der Jugendpflege" und die „Berpreußung des Sports" eifern. Das ist ja nun an sich wohl für die Freunde der Sache ein ebenso erfreuliches Zeichen, wie die giftigen Bemerkungen der Genossen. Aber man soll grundsätzlich zu so etwas nicht schweigen; im Zeitalter der öffentlichen Meinung ist Schweigen nicht Gold. So gestatte man mir ein Wort gegen einen Aufsatz von Julius Bab in der Gegenwart vom 4. Oktober, der als einer für viele stehen möge. Julius Bab „fürchtet die Danaer immer, besonders aber, wenn sie Ge¬ schenke bringen." Ernsthafte Gegnerschaft gegen den Sport gebe es überhaupt kaum noch; das Neue, was die „obrigkeitliche" Jugendpflege zu bringen sich mühe, sei „jene Gesinnung, die man in Preußen die staatserhaltende nennt." Der staatlich „konservative Wanderverein" lehre Drill statt Selbständigkeit und trage Parteipolitik in die Körperpflege hinein. Dahingegen ist Julius Bab des Lobes voll für die Wandervögel. Nun ist auch sonst schon richtig betont worden, daß die Pfadfinder im Gegensatz zu den Wandervögeln sich den handarbeitenden Schichten des Volkes anpassen. Der tatsächliche Mitgliederbestand beweist das. Das umfangreiche Tourenwandern kann auch einfach der Zeit wegen von der Arbeiterjugend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/241>, abgerufen am 27.04.2024.