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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Traum vom Kloster, in dessen Mauern er
vor den Versuchungen und dem Schmutz der
Welt geschützt wäre, wo er vergessen und ver¬
gessen werden könne. Aber der Glaube fehlte,
und der Gehorsam . . , Diese Idee vom
Kloster hatte damals schon lange in der
Literatur gespukt. Man hatte in Berlin davon
gesprochen, ein bekenntnisloses Kloster für die
Intelligenten zu gründen. Die konnten sich
nämlich in einer Zeit, in der sich Industrie
und Wirtschaft in die erste Reihe vordrängten,
nicht in diesen Dunstkreis von Materialismus
finden, wenn sie sich auch selbst hatten ver¬
leiten lassen, den Materialismus zu predigen.
Und jetzt schrieb er (Strindberg) an seinen
reichen Freund in Paris über die Gründung
eines solchen Klosters; entwarf den Plan für
das Gebäude; verfaßte Regeln und gab
Einzelheiten über das Zusammenleben und
die Aufgaben der Brüder . . . Das Ziel
war die Erziehung von Übermenschen durch
Askese, Meditation, durch Übung von Wissen¬
schaft, Literatur und Kunst, Religion wurde
nicht genannt, da man nicht wußte, welche
Religion kommen werde, oder ob überhaupt
eine kommen werde" . . .

Man wird nicht umhin können, hier eine
Kongruenz der Idee zu konstatieren. Nur
daß Strindbergs Klosterglaube aus einer
andern Wurzel sprießt als der Ostwalds I Als
Strindberg dem Pariser Freunde sein Projekt
entwickelte, schrie seine Seele nach Erlösung
aus der giftigen Atmosphäre eines schlimmen,
ihn aufsaugenden Weibes. Das "Kloster der
Intellektuellen" stand vor ihm als Zuflucht
und Rettung . . . Als Zuflucht und Rettung
vor dem Toben einer von üblen Leidenschaften
erfüllten, hassenswerten Welt, hat der Dichter
es in dem Roman "Schwarze Fahnen", der
auf "Entzweit-Einsam" unmittelbar folgte,
ausgemalt. Da ist dies Kloster der Sammel¬
platz einiger weniger religiös und mystisch
veranlagter Naturen, die der Hatz und den,
Gestank des Lebens ekelerfüllt entflohen sind,
und man sieht, was die Klosteridee Strind¬
bergs ihrem seelischen Herkommen nach ist;
die t^ses ^lor^snÄ eines Verschmachtenden,
eine aus Erlösungsdrang und Leidensüber¬
maß geborene Sehnsucht. . . . Aber Geheim-
rat Ostwalds Monistenklöster sind freilich
anderen Ursprungs: von einen? ökonomischen

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Verstände ausgeklügelte Organisationen, wo
sich durch Kooperation und Mechanisierung
der Denkfortschritt vollzieht; Häuser und Boll¬
werke eines unbeirrbaren Glaubens, mitten
in die Welt hineingestellt, die Welt zu erobern;
Zwingburgen gegen die dunkeln Mächte und
das Unberechenbare des Lebens, das sie ehe¬
dem Schicksal nannten; kurzum Fortifikationen
des herrschenwollenden Intellekts, der bis in
die Sterne greift.. . .

Auch Gedanken und Entwürfe sind Ent¬
schleierungen der Seele. Strindberg und
Ostwald, das ist: himmelstürmender Erobe¬
rungswille und resignierender Daseinsüber¬
druß, jubelnder Fortschrittsenthusiasmus und
quälendes Erleiden der Lebenstragik, Blick
für Oberfläche und hellseherischer Tiefsinn,
Trieb und Drang ins Technische des Lebens
und Flucht ins mystische Halbdunkel des Ein¬
reiches der Seele. . . . Strindberg und Ost¬
wald, das ist, anders gesehen: zwei Tiere in
einem Käfig. Das eine führt darin eine
emsig bastelnde und bauende Existenz, um
seine Verrichtungen zu erleichtern; das andere
schlägt sich die Pranken blutig an den Gitter¬
stäben seines Gefängnisses, bis es resigniert
in eine Ecke kriecht, abgewandt und das Auge
nach innen gerichtet. Da kauert es und
spinnt sich in eine Welt, in der es frei und
herrschend ist. Dies Tier ist wissend um seine
Unfreiheit und ist doch frei. Das andere ist
nichtwissend um seine Unfreiheit und darum
gefangen. Bis es sehend wird, sich die
Pranken blutig schlägt, in eine Ecke kriecht,
resigniert, jene andere Welt entdeckt und neue
Freiheit atmet.

Adolf Teutenberg
Geschichte

Liselotte und Ludwig der Vierzehnte von
Dr. Michael Strich. (Historische Bibliothek
Band 26) München und Berlin. Verlag von
R. Oldenbourg. 1912.

Bei seinen Forschungen über die Dauphins
Maria Anna Christine von Bayern (16S0
bis 1S90) fand der Verfasser des vorliegenden
Werkes einen unbekannten Brief der Herzogin
Elisabeth Charlotte von Orlöcms im Pariser
Archiv des Ministeriums der auswärtigen An¬
gelegenheiten, den einzigen unter den zahl-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Traum vom Kloster, in dessen Mauern er
vor den Versuchungen und dem Schmutz der
Welt geschützt wäre, wo er vergessen und ver¬
gessen werden könne. Aber der Glaube fehlte,
und der Gehorsam . . , Diese Idee vom
Kloster hatte damals schon lange in der
Literatur gespukt. Man hatte in Berlin davon
gesprochen, ein bekenntnisloses Kloster für die
Intelligenten zu gründen. Die konnten sich
nämlich in einer Zeit, in der sich Industrie
und Wirtschaft in die erste Reihe vordrängten,
nicht in diesen Dunstkreis von Materialismus
finden, wenn sie sich auch selbst hatten ver¬
leiten lassen, den Materialismus zu predigen.
Und jetzt schrieb er (Strindberg) an seinen
reichen Freund in Paris über die Gründung
eines solchen Klosters; entwarf den Plan für
das Gebäude; verfaßte Regeln und gab
Einzelheiten über das Zusammenleben und
die Aufgaben der Brüder . . . Das Ziel
war die Erziehung von Übermenschen durch
Askese, Meditation, durch Übung von Wissen¬
schaft, Literatur und Kunst, Religion wurde
nicht genannt, da man nicht wußte, welche
Religion kommen werde, oder ob überhaupt
eine kommen werde" . . .

Man wird nicht umhin können, hier eine
Kongruenz der Idee zu konstatieren. Nur
daß Strindbergs Klosterglaube aus einer
andern Wurzel sprießt als der Ostwalds I Als
Strindberg dem Pariser Freunde sein Projekt
entwickelte, schrie seine Seele nach Erlösung
aus der giftigen Atmosphäre eines schlimmen,
ihn aufsaugenden Weibes. Das „Kloster der
Intellektuellen" stand vor ihm als Zuflucht
und Rettung . . . Als Zuflucht und Rettung
vor dem Toben einer von üblen Leidenschaften
erfüllten, hassenswerten Welt, hat der Dichter
es in dem Roman „Schwarze Fahnen", der
auf „Entzweit-Einsam" unmittelbar folgte,
ausgemalt. Da ist dies Kloster der Sammel¬
platz einiger weniger religiös und mystisch
veranlagter Naturen, die der Hatz und den,
Gestank des Lebens ekelerfüllt entflohen sind,
und man sieht, was die Klosteridee Strind¬
bergs ihrem seelischen Herkommen nach ist;
die t^ses ^lor^snÄ eines Verschmachtenden,
eine aus Erlösungsdrang und Leidensüber¬
maß geborene Sehnsucht. . . . Aber Geheim-
rat Ostwalds Monistenklöster sind freilich
anderen Ursprungs: von einen? ökonomischen

[Spaltenumbruch]

Verstände ausgeklügelte Organisationen, wo
sich durch Kooperation und Mechanisierung
der Denkfortschritt vollzieht; Häuser und Boll¬
werke eines unbeirrbaren Glaubens, mitten
in die Welt hineingestellt, die Welt zu erobern;
Zwingburgen gegen die dunkeln Mächte und
das Unberechenbare des Lebens, das sie ehe¬
dem Schicksal nannten; kurzum Fortifikationen
des herrschenwollenden Intellekts, der bis in
die Sterne greift.. . .

Auch Gedanken und Entwürfe sind Ent¬
schleierungen der Seele. Strindberg und
Ostwald, das ist: himmelstürmender Erobe¬
rungswille und resignierender Daseinsüber¬
druß, jubelnder Fortschrittsenthusiasmus und
quälendes Erleiden der Lebenstragik, Blick
für Oberfläche und hellseherischer Tiefsinn,
Trieb und Drang ins Technische des Lebens
und Flucht ins mystische Halbdunkel des Ein¬
reiches der Seele. . . . Strindberg und Ost¬
wald, das ist, anders gesehen: zwei Tiere in
einem Käfig. Das eine führt darin eine
emsig bastelnde und bauende Existenz, um
seine Verrichtungen zu erleichtern; das andere
schlägt sich die Pranken blutig an den Gitter¬
stäben seines Gefängnisses, bis es resigniert
in eine Ecke kriecht, abgewandt und das Auge
nach innen gerichtet. Da kauert es und
spinnt sich in eine Welt, in der es frei und
herrschend ist. Dies Tier ist wissend um seine
Unfreiheit und ist doch frei. Das andere ist
nichtwissend um seine Unfreiheit und darum
gefangen. Bis es sehend wird, sich die
Pranken blutig schlägt, in eine Ecke kriecht,
resigniert, jene andere Welt entdeckt und neue
Freiheit atmet.

Adolf Teutenberg
Geschichte

Liselotte und Ludwig der Vierzehnte von
Dr. Michael Strich. (Historische Bibliothek
Band 26) München und Berlin. Verlag von
R. Oldenbourg. 1912.

Bei seinen Forschungen über die Dauphins
Maria Anna Christine von Bayern (16S0
bis 1S90) fand der Verfasser des vorliegenden
Werkes einen unbekannten Brief der Herzogin
Elisabeth Charlotte von Orlöcms im Pariser
Archiv des Ministeriums der auswärtigen An¬
gelegenheiten, den einzigen unter den zahl-

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[0251] Maßgebliches und Unmaßgebliches Traum vom Kloster, in dessen Mauern er vor den Versuchungen und dem Schmutz der Welt geschützt wäre, wo er vergessen und ver¬ gessen werden könne. Aber der Glaube fehlte, und der Gehorsam . . , Diese Idee vom Kloster hatte damals schon lange in der Literatur gespukt. Man hatte in Berlin davon gesprochen, ein bekenntnisloses Kloster für die Intelligenten zu gründen. Die konnten sich nämlich in einer Zeit, in der sich Industrie und Wirtschaft in die erste Reihe vordrängten, nicht in diesen Dunstkreis von Materialismus finden, wenn sie sich auch selbst hatten ver¬ leiten lassen, den Materialismus zu predigen. Und jetzt schrieb er (Strindberg) an seinen reichen Freund in Paris über die Gründung eines solchen Klosters; entwarf den Plan für das Gebäude; verfaßte Regeln und gab Einzelheiten über das Zusammenleben und die Aufgaben der Brüder . . . Das Ziel war die Erziehung von Übermenschen durch Askese, Meditation, durch Übung von Wissen¬ schaft, Literatur und Kunst, Religion wurde nicht genannt, da man nicht wußte, welche Religion kommen werde, oder ob überhaupt eine kommen werde" . . . Man wird nicht umhin können, hier eine Kongruenz der Idee zu konstatieren. Nur daß Strindbergs Klosterglaube aus einer andern Wurzel sprießt als der Ostwalds I Als Strindberg dem Pariser Freunde sein Projekt entwickelte, schrie seine Seele nach Erlösung aus der giftigen Atmosphäre eines schlimmen, ihn aufsaugenden Weibes. Das „Kloster der Intellektuellen" stand vor ihm als Zuflucht und Rettung . . . Als Zuflucht und Rettung vor dem Toben einer von üblen Leidenschaften erfüllten, hassenswerten Welt, hat der Dichter es in dem Roman „Schwarze Fahnen", der auf „Entzweit-Einsam" unmittelbar folgte, ausgemalt. Da ist dies Kloster der Sammel¬ platz einiger weniger religiös und mystisch veranlagter Naturen, die der Hatz und den, Gestank des Lebens ekelerfüllt entflohen sind, und man sieht, was die Klosteridee Strind¬ bergs ihrem seelischen Herkommen nach ist; die t^ses ^lor^snÄ eines Verschmachtenden, eine aus Erlösungsdrang und Leidensüber¬ maß geborene Sehnsucht. . . . Aber Geheim- rat Ostwalds Monistenklöster sind freilich anderen Ursprungs: von einen? ökonomischen Verstände ausgeklügelte Organisationen, wo sich durch Kooperation und Mechanisierung der Denkfortschritt vollzieht; Häuser und Boll¬ werke eines unbeirrbaren Glaubens, mitten in die Welt hineingestellt, die Welt zu erobern; Zwingburgen gegen die dunkeln Mächte und das Unberechenbare des Lebens, das sie ehe¬ dem Schicksal nannten; kurzum Fortifikationen des herrschenwollenden Intellekts, der bis in die Sterne greift.. . . Auch Gedanken und Entwürfe sind Ent¬ schleierungen der Seele. Strindberg und Ostwald, das ist: himmelstürmender Erobe¬ rungswille und resignierender Daseinsüber¬ druß, jubelnder Fortschrittsenthusiasmus und quälendes Erleiden der Lebenstragik, Blick für Oberfläche und hellseherischer Tiefsinn, Trieb und Drang ins Technische des Lebens und Flucht ins mystische Halbdunkel des Ein¬ reiches der Seele. . . . Strindberg und Ost¬ wald, das ist, anders gesehen: zwei Tiere in einem Käfig. Das eine führt darin eine emsig bastelnde und bauende Existenz, um seine Verrichtungen zu erleichtern; das andere schlägt sich die Pranken blutig an den Gitter¬ stäben seines Gefängnisses, bis es resigniert in eine Ecke kriecht, abgewandt und das Auge nach innen gerichtet. Da kauert es und spinnt sich in eine Welt, in der es frei und herrschend ist. Dies Tier ist wissend um seine Unfreiheit und ist doch frei. Das andere ist nichtwissend um seine Unfreiheit und darum gefangen. Bis es sehend wird, sich die Pranken blutig schlägt, in eine Ecke kriecht, resigniert, jene andere Welt entdeckt und neue Freiheit atmet. Adolf Teutenberg Geschichte Liselotte und Ludwig der Vierzehnte von Dr. Michael Strich. (Historische Bibliothek Band 26) München und Berlin. Verlag von R. Oldenbourg. 1912. Bei seinen Forschungen über die Dauphins Maria Anna Christine von Bayern (16S0 bis 1S90) fand der Verfasser des vorliegenden Werkes einen unbekannten Brief der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orlöcms im Pariser Archiv des Ministeriums der auswärtigen An¬ gelegenheiten, den einzigen unter den zahl-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/251>, abgerufen am 27.04.2024.