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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Ein Htreifzug
in die Volksetymologie und Volksmythologie
von Adolf Stölzel 1.

le Sprache des Volkes entwickelt sich mannigfach ähnlich der
Sprache des Kindes. Mit den einfachsten Lautbildungen kürzester
Form beginnt man die nächstliegenden Dinge zu bezeichnen, wie
sie das äußere Leben in der Natur, aber auch das innere Leben
in der Gedankenwelt, in Religion und Sitte vor Augen führt.
Fortdauernd vermehrt sich dann der anfangs recht dürftige Wortschatz. Der
Vermehrung geht aber voraus, daß das ursprünglich nur eindeutige Wort ver¬
schiedene Bedeutungen annimmt, die zwar sehr auseinander zu liegen und wenig
mit der Urbedeutung in Zusammenhang zu stehen scheinen, indes mit ihr durch
eine Gedankenbrücke doch leicht in Verbindung gebracht werden können. Für
jede Sprache ist eines der wesentlichsten Mittel, ihren Wortschatz zu vermehren,
die Entlehnung aus fremder Sprache, ermöglicht durch die naturgemäße Mischung
der Völker. Hier hat die Sprachvergleichung gewisse normative Grundsätze
gefunden, nach denen sich die vom Bedürfnis als geboten erkannte Entlehnung
vollzieht, und durch die dem Sprachforscher der gangbare Weg gewiesen wird,
den Ursprung der Entlehnung zu erkennen. Dem Laien scheint sie oft nur ein
sonderbares Wundergebilde zu sein. Verspottet man doch solche Entlehnung
beispielsweise mit dem bekannten Scherze, das deutsche Wort "Fuchs" sei nichts
anderes als das griechische Wort alopex; die Wandlung des griechischen Wortes
in das neuere deutsche haben einfach die Stufen alopsx. lopex, opsx,
psx, pix, pox, pux> lux durchlaufen. Und gleichwohl ist die Identität zwischen
dem griechischen Koäous, Genitiv tioäonw3, und dem lateinischen am8, dem fran¬
zösischen aere, dem spanischen äients, dem englischen tootk oder äsntal und
dem deutschen Zahn wissenschaftlich erwiesen; diese Umbildung entspricht den
Gesetzen der Lautverschiebung; denn der "Genitivus". der "Zeugungsfall", ist es.
der die Neubildung aus dem Stammwort hervorbringt, dessen Anfangsbuchstabe
mannigfach auf Abstoßung oder Änderung gefaßt sein muß. Also wenngleich
die Verwandlung des griechischen Alopex in den deutschen Fuchs nichts ist als
ein unwissenschaftlicher Scherz, so stellt sich die Umwandlung des griechischen




Ein Htreifzug
in die Volksetymologie und Volksmythologie
von Adolf Stölzel 1.

le Sprache des Volkes entwickelt sich mannigfach ähnlich der
Sprache des Kindes. Mit den einfachsten Lautbildungen kürzester
Form beginnt man die nächstliegenden Dinge zu bezeichnen, wie
sie das äußere Leben in der Natur, aber auch das innere Leben
in der Gedankenwelt, in Religion und Sitte vor Augen führt.
Fortdauernd vermehrt sich dann der anfangs recht dürftige Wortschatz. Der
Vermehrung geht aber voraus, daß das ursprünglich nur eindeutige Wort ver¬
schiedene Bedeutungen annimmt, die zwar sehr auseinander zu liegen und wenig
mit der Urbedeutung in Zusammenhang zu stehen scheinen, indes mit ihr durch
eine Gedankenbrücke doch leicht in Verbindung gebracht werden können. Für
jede Sprache ist eines der wesentlichsten Mittel, ihren Wortschatz zu vermehren,
die Entlehnung aus fremder Sprache, ermöglicht durch die naturgemäße Mischung
der Völker. Hier hat die Sprachvergleichung gewisse normative Grundsätze
gefunden, nach denen sich die vom Bedürfnis als geboten erkannte Entlehnung
vollzieht, und durch die dem Sprachforscher der gangbare Weg gewiesen wird,
den Ursprung der Entlehnung zu erkennen. Dem Laien scheint sie oft nur ein
sonderbares Wundergebilde zu sein. Verspottet man doch solche Entlehnung
beispielsweise mit dem bekannten Scherze, das deutsche Wort „Fuchs" sei nichts
anderes als das griechische Wort alopex; die Wandlung des griechischen Wortes
in das neuere deutsche haben einfach die Stufen alopsx. lopex, opsx,
psx, pix, pox, pux> lux durchlaufen. Und gleichwohl ist die Identität zwischen
dem griechischen Koäous, Genitiv tioäonw3, und dem lateinischen am8, dem fran¬
zösischen aere, dem spanischen äients, dem englischen tootk oder äsntal und
dem deutschen Zahn wissenschaftlich erwiesen; diese Umbildung entspricht den
Gesetzen der Lautverschiebung; denn der „Genitivus". der „Zeugungsfall", ist es.
der die Neubildung aus dem Stammwort hervorbringt, dessen Anfangsbuchstabe
mannigfach auf Abstoßung oder Änderung gefaßt sein muß. Also wenngleich
die Verwandlung des griechischen Alopex in den deutschen Fuchs nichts ist als
ein unwissenschaftlicher Scherz, so stellt sich die Umwandlung des griechischen


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[0261] [Abbildung] Ein Htreifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie von Adolf Stölzel 1. le Sprache des Volkes entwickelt sich mannigfach ähnlich der Sprache des Kindes. Mit den einfachsten Lautbildungen kürzester Form beginnt man die nächstliegenden Dinge zu bezeichnen, wie sie das äußere Leben in der Natur, aber auch das innere Leben in der Gedankenwelt, in Religion und Sitte vor Augen führt. Fortdauernd vermehrt sich dann der anfangs recht dürftige Wortschatz. Der Vermehrung geht aber voraus, daß das ursprünglich nur eindeutige Wort ver¬ schiedene Bedeutungen annimmt, die zwar sehr auseinander zu liegen und wenig mit der Urbedeutung in Zusammenhang zu stehen scheinen, indes mit ihr durch eine Gedankenbrücke doch leicht in Verbindung gebracht werden können. Für jede Sprache ist eines der wesentlichsten Mittel, ihren Wortschatz zu vermehren, die Entlehnung aus fremder Sprache, ermöglicht durch die naturgemäße Mischung der Völker. Hier hat die Sprachvergleichung gewisse normative Grundsätze gefunden, nach denen sich die vom Bedürfnis als geboten erkannte Entlehnung vollzieht, und durch die dem Sprachforscher der gangbare Weg gewiesen wird, den Ursprung der Entlehnung zu erkennen. Dem Laien scheint sie oft nur ein sonderbares Wundergebilde zu sein. Verspottet man doch solche Entlehnung beispielsweise mit dem bekannten Scherze, das deutsche Wort „Fuchs" sei nichts anderes als das griechische Wort alopex; die Wandlung des griechischen Wortes in das neuere deutsche haben einfach die Stufen alopsx. lopex, opsx, psx, pix, pox, pux> lux durchlaufen. Und gleichwohl ist die Identität zwischen dem griechischen Koäous, Genitiv tioäonw3, und dem lateinischen am8, dem fran¬ zösischen aere, dem spanischen äients, dem englischen tootk oder äsntal und dem deutschen Zahn wissenschaftlich erwiesen; diese Umbildung entspricht den Gesetzen der Lautverschiebung; denn der „Genitivus". der „Zeugungsfall", ist es. der die Neubildung aus dem Stammwort hervorbringt, dessen Anfangsbuchstabe mannigfach auf Abstoßung oder Änderung gefaßt sein muß. Also wenngleich die Verwandlung des griechischen Alopex in den deutschen Fuchs nichts ist als ein unwissenschaftlicher Scherz, so stellt sich die Umwandlung des griechischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/261>, abgerufen am 27.04.2024.