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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Radowitz

Radowitz
von l)s. Max L^ein

LNM^>^s^?.^^j uf einen deutschen Bundesstaat unter Preußens Führung und ein
enges Bündnis dieses Staates mit Österreich ging Radowitz
Streben in den kurzen Jahren seiner politischen Wirksamkeit.
Einen Vorläufer Bismarcks kann man ihn trotzdem nicht nennen;
dieser gelangte wohl zu dem gleichen Ziel, das Radowitz sich von
Anfang an wenigstens in den Grundzügen gesteckt hatte, aber auf einem so
anderen Wege, daß er in keiner Beziehung an ihn anknüpfen konnte. So ver¬
schieden wie die Wege, die sie wählten, waren die Männer selbst und ihre
Schicksale.

Bismarck der Sohn einer Familie, die in der Mark schon eingewurzelt
war, als die Hohenzollern sie erwarben, durch seinen Stand, Beruf und Glauben
mit den materiellen und geistigen Interessen einer mächtigen preußischen Partei
verwachsen, mit sicherem Gefühl für die Realitäten des politischen Lebens, mit
genauer Kenntnis der öffentlichen Zustände seiner Heimat, trat in seine politische
Tätigkeit mit dem Entschluß ein, die Machtmittel, die dieser Militär- und
Beamtenstaat seinem Lenker in die Hand gab, auszunutzen, wenn es sein mußte,
rücksichtslos auszunutzen, zur Kräftigung eben dieses Staates und seiner Dynastie-
Radowitz war ungarischer Herkunft; sein Großvater, der bei Hohenfriedberg
gefangen wurde, siedelte sich in Deutschland an. Er selbst trat als erster seines
Geschlechts in preußischen Heerdienst, nachdem er unter König Jeromes Fahnen
bei Leipzig gegen die Verbündeten gefochten, dann in der kurhessischen Armee
gestanden hatte, bis ein schwerer Konflikt mit dem despotischen Kurfürsten ihn
nach Preußen führte (1823). Bei seiner hervorragenden militärischen Begabung
wurde er rasch befördert, 1830 zum Chef des Generalstabes der Artillerie,
1836 zum Militärbevollmächtigten beim Bundestag in Frankfurt am Main-
Enger noch als die Dienstpflicht verknüpfte ihn mit der neuen Heimat seine
Ehe mit einer Gräfin Voß und vor allem eine innige Freundschaft mit deM
gleichgestimmten romantischen Kronprinzen. So konnte er wohl mit Recht sagen!
"mit diesem Staate will ich stehen und fallen." Und doch mußte er bekennen,
daß er an Preußen nicht mit dem natürlichen Gefühl hänge wie das Kind "n
der Mutter. Der eine Grund hierfür liegt in dem Mißtrauen, das den ha^
landfremden Katholiken im Berlin Friedrich Wilhelms des Dritten empfing.
keinem Stande, keiner Partei war er aufgewachsen, mit keinem wie selbst¬
verständlich verbündet. Dazu kam sein Hang, seine Überlegenheit fühlen
lassen, sich den Anschein einer unergründlichen Geistestiefe zu geben, Neigungen-
die sich aus der Unsicherheit seiner Stellung erklären und die zugleich das ilM
von vornherein entgegengebrachte Mißtrauen wachhielten und verstärkten; be-
zeichnend genug ist, daß Bismarck noch in den "Gedanken und Erinnerungen" mit der
Möglichkeit rechnet, Radowitz wäre ein katholisierender Gegner Preußens gewesen-


Radowitz

Radowitz
von l)s. Max L^ein

LNM^>^s^?.^^j uf einen deutschen Bundesstaat unter Preußens Führung und ein
enges Bündnis dieses Staates mit Österreich ging Radowitz
Streben in den kurzen Jahren seiner politischen Wirksamkeit.
Einen Vorläufer Bismarcks kann man ihn trotzdem nicht nennen;
dieser gelangte wohl zu dem gleichen Ziel, das Radowitz sich von
Anfang an wenigstens in den Grundzügen gesteckt hatte, aber auf einem so
anderen Wege, daß er in keiner Beziehung an ihn anknüpfen konnte. So ver¬
schieden wie die Wege, die sie wählten, waren die Männer selbst und ihre
Schicksale.

Bismarck der Sohn einer Familie, die in der Mark schon eingewurzelt
war, als die Hohenzollern sie erwarben, durch seinen Stand, Beruf und Glauben
mit den materiellen und geistigen Interessen einer mächtigen preußischen Partei
verwachsen, mit sicherem Gefühl für die Realitäten des politischen Lebens, mit
genauer Kenntnis der öffentlichen Zustände seiner Heimat, trat in seine politische
Tätigkeit mit dem Entschluß ein, die Machtmittel, die dieser Militär- und
Beamtenstaat seinem Lenker in die Hand gab, auszunutzen, wenn es sein mußte,
rücksichtslos auszunutzen, zur Kräftigung eben dieses Staates und seiner Dynastie-
Radowitz war ungarischer Herkunft; sein Großvater, der bei Hohenfriedberg
gefangen wurde, siedelte sich in Deutschland an. Er selbst trat als erster seines
Geschlechts in preußischen Heerdienst, nachdem er unter König Jeromes Fahnen
bei Leipzig gegen die Verbündeten gefochten, dann in der kurhessischen Armee
gestanden hatte, bis ein schwerer Konflikt mit dem despotischen Kurfürsten ihn
nach Preußen führte (1823). Bei seiner hervorragenden militärischen Begabung
wurde er rasch befördert, 1830 zum Chef des Generalstabes der Artillerie,
1836 zum Militärbevollmächtigten beim Bundestag in Frankfurt am Main-
Enger noch als die Dienstpflicht verknüpfte ihn mit der neuen Heimat seine
Ehe mit einer Gräfin Voß und vor allem eine innige Freundschaft mit deM
gleichgestimmten romantischen Kronprinzen. So konnte er wohl mit Recht sagen!
„mit diesem Staate will ich stehen und fallen." Und doch mußte er bekennen,
daß er an Preußen nicht mit dem natürlichen Gefühl hänge wie das Kind «n
der Mutter. Der eine Grund hierfür liegt in dem Mißtrauen, das den ha^
landfremden Katholiken im Berlin Friedrich Wilhelms des Dritten empfing.
keinem Stande, keiner Partei war er aufgewachsen, mit keinem wie selbst¬
verständlich verbündet. Dazu kam sein Hang, seine Überlegenheit fühlen
lassen, sich den Anschein einer unergründlichen Geistestiefe zu geben, Neigungen-
die sich aus der Unsicherheit seiner Stellung erklären und die zugleich das ilM
von vornherein entgegengebrachte Mißtrauen wachhielten und verstärkten; be-
zeichnend genug ist, daß Bismarck noch in den „Gedanken und Erinnerungen" mit der
Möglichkeit rechnet, Radowitz wäre ein katholisierender Gegner Preußens gewesen-


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[0288] Radowitz Radowitz von l)s. Max L^ein LNM^>^s^?.^^j uf einen deutschen Bundesstaat unter Preußens Führung und ein enges Bündnis dieses Staates mit Österreich ging Radowitz Streben in den kurzen Jahren seiner politischen Wirksamkeit. Einen Vorläufer Bismarcks kann man ihn trotzdem nicht nennen; dieser gelangte wohl zu dem gleichen Ziel, das Radowitz sich von Anfang an wenigstens in den Grundzügen gesteckt hatte, aber auf einem so anderen Wege, daß er in keiner Beziehung an ihn anknüpfen konnte. So ver¬ schieden wie die Wege, die sie wählten, waren die Männer selbst und ihre Schicksale. Bismarck der Sohn einer Familie, die in der Mark schon eingewurzelt war, als die Hohenzollern sie erwarben, durch seinen Stand, Beruf und Glauben mit den materiellen und geistigen Interessen einer mächtigen preußischen Partei verwachsen, mit sicherem Gefühl für die Realitäten des politischen Lebens, mit genauer Kenntnis der öffentlichen Zustände seiner Heimat, trat in seine politische Tätigkeit mit dem Entschluß ein, die Machtmittel, die dieser Militär- und Beamtenstaat seinem Lenker in die Hand gab, auszunutzen, wenn es sein mußte, rücksichtslos auszunutzen, zur Kräftigung eben dieses Staates und seiner Dynastie- Radowitz war ungarischer Herkunft; sein Großvater, der bei Hohenfriedberg gefangen wurde, siedelte sich in Deutschland an. Er selbst trat als erster seines Geschlechts in preußischen Heerdienst, nachdem er unter König Jeromes Fahnen bei Leipzig gegen die Verbündeten gefochten, dann in der kurhessischen Armee gestanden hatte, bis ein schwerer Konflikt mit dem despotischen Kurfürsten ihn nach Preußen führte (1823). Bei seiner hervorragenden militärischen Begabung wurde er rasch befördert, 1830 zum Chef des Generalstabes der Artillerie, 1836 zum Militärbevollmächtigten beim Bundestag in Frankfurt am Main- Enger noch als die Dienstpflicht verknüpfte ihn mit der neuen Heimat seine Ehe mit einer Gräfin Voß und vor allem eine innige Freundschaft mit deM gleichgestimmten romantischen Kronprinzen. So konnte er wohl mit Recht sagen! „mit diesem Staate will ich stehen und fallen." Und doch mußte er bekennen, daß er an Preußen nicht mit dem natürlichen Gefühl hänge wie das Kind «n der Mutter. Der eine Grund hierfür liegt in dem Mißtrauen, das den ha^ landfremden Katholiken im Berlin Friedrich Wilhelms des Dritten empfing. keinem Stande, keiner Partei war er aufgewachsen, mit keinem wie selbst¬ verständlich verbündet. Dazu kam sein Hang, seine Überlegenheit fühlen lassen, sich den Anschein einer unergründlichen Geistestiefe zu geben, Neigungen- die sich aus der Unsicherheit seiner Stellung erklären und die zugleich das ilM von vornherein entgegengebrachte Mißtrauen wachhielten und verstärkten; be- zeichnend genug ist, daß Bismarck noch in den „Gedanken und Erinnerungen" mit der Möglichkeit rechnet, Radowitz wäre ein katholisierender Gegner Preußens gewesen-

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/288>, abgerufen am 27.04.2024.