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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

des MotivenkomPlereS in der Zecjretten tria
"eis stammt von Caspar Klipisch, und es ist
merkwürdig, daß sich auch in dieser kunst¬
armen Dichtung die Ratschläge noch vorfinden,
freilich in ganz verschwommenen Unirissen
und nur lose mit der Erzählung verknüpft:

Ein alter Voller gab zu Ehren
Seinem Sohn letzlich drey lehren..
Darnach solt er Untugend fliehen
böser geselschafft sich entziehen
andrer lente trauren
soll er sich lasen dauren

Und mit den frölichen der Zeit geniesen.
Die Dreizahl der Räte ist verloren, der
Zusammenhang gelöst, und es ist nur ein
Rudiment, wenn es später heißt, der fromme
Knecht sei in die Kirche gegangen, "nach seines
Vatters lehr zu beten." Immerhin scheint der
Schluß erlaubt, dnsz die drei Ratschläge zum
ursprünglichen Sagenbestande gehörten.
Andere Motive, z. B, die Verleumdung
wegen der Buhlschaft mit der Königin
(Gräfin), die ja in der altnordischen
Überlieferung fehlt, rücken Meister Klipisch
näher an Schiller. Hier findet sich auch noch,
wie in den meisten Bearbeitungen, ein "kalck-
Pfül", ein Kalkofen, in dem der Unglückliche
verbrannt wird; im Nordischen ist es ein
Scheiterhaufen, später tritt dann der Eisen¬
hammer an diese Stelle.

Erst Schillers Dichtung hat die Erzählung
wahrhaft volkstümlich gemacht. Sie ist in
alle Sprachen übersetzt, der Stoss ist in alle
poetischen Formen gegossen worden. Es gibt
z. B. nicht wenige deutsche Dramen, die diesen
Vorwurf behandeln; sie sind freilich längst
verschollen, und selbst eine große romantische
Oper von Reil aus dem Jahre 1833 ist ver¬
gessen, wenngleich kein Geringerer als Korr.
Kreutzer sie in Musik gesetzt hatte.

Dr. Karl Polheini
Jean Pauls "Titan", gekürzt heraus¬
gegeben von Hermann Hesse, Insel-Verlag,
Leipzig, 2 Bände (Bibliothek der Romane).

Dichterwerke in Bearbeitungen zu lesen, hat
ja immer etwas Mißliches; und wer einen
Schriftsteller erst einmal liebgewonnen hat,
wird sicher nicht wollen, daß sich ein Dritter
zwischen Autor und Leser stelle. Und doch
gibt es Fälle, in denen man wünschen muß,

[Spaltenumbruch]

daß ein vorsichtiger Kenner den verwachsenen
Weg zu einer großen Persönlichkeit zunächst
einmal wieder öffne. Unter zwei Bedin¬
gungen sind dann Bearbeitungen zu loben
und zu wünschen: wenn es dem Vermitteln¬
den wirklich nur darauf ankommt, den
eigentlichen Poetischen Kern eines Werkes
durch Forträumen von Anhängseln deutlicher
erkennbar zu machen, und wenn er sich
darauf beschränkt, zu dem Dichter, den er
einem größeren Leserkreise empfehlen will,
hinzuführen -- nicht aber sich einbildet, durch
seine Bearbeitung ein besseres Werk zu schaffen,
als es der Urdichter hervorzubringen ver¬
mochte.

Es gibt kaum Dichterwerke, denen man
-- allen Bedenken zum Trotz gute Be¬
arbeitungen so sehr wünschen möchte, wie den
großen Romanen Jean Pauls. Und Her¬
mann Hesse zeigt die erforderliche liebevolle
Bescheidenheit Jean Paul gegenüber, wenn
er im Nachwort seiner "Titan"-Bearbeitung
sagt: "Der ungekürzte "Titan" steht jeder¬
mann zur Verfügung; ich bin mehr als zu¬
frieden, wenn meine Kürzung für viele Leser
nur einen Weg zum Original bedeutet. Daß
mein "Titan" irgend besser sei als der alte,
habe ich keinen Augenblick geglaubt. Daß er
sehr vielen heutigen Lesern zugänglicher sein
wird, und daß viele ihn nun lesen werden,
die es sonst nicht getan hätten, das hoffe ich
bestimmt."

Jeder Umsichtige wird eine Bearbeitung
des imposanten Jean Paulschen Romans, die
unter solchen Gesichtspunkten unternommen
ist, billigen und ihr weite Verbreitung
wünsche". "Blütenlesen" aus seinen Schriften
verdammte Jean Paul selbst, als unbefugte
Zerpflückungen organischer Gebilde*). Nicht
aber um eine Blutenlese handelt es sich bei
Hesses Arbeit, sondern es ist gerade die Her¬
aushebung des organischen Kernes aus dem
"Titan" durch Streichung etwa eines Viertels
angestrebt. Wir besitzen jetzt zwei derartige
Versuche für Jean Paul Leser zu werben:

[Ende Spaltensatz]
*) Begreiflich ist es ja gewiß, daß gerade
aus Jean Paul immer wieder Anthologien
gezogen werden. Jüngst erschienen: "Worte
Jean Pauls", herausgegeben von Waldemar
Imsen (Verlag von Bruns, Minden).
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

des MotivenkomPlereS in der Zecjretten tria
"eis stammt von Caspar Klipisch, und es ist
merkwürdig, daß sich auch in dieser kunst¬
armen Dichtung die Ratschläge noch vorfinden,
freilich in ganz verschwommenen Unirissen
und nur lose mit der Erzählung verknüpft:

Ein alter Voller gab zu Ehren
Seinem Sohn letzlich drey lehren..
Darnach solt er Untugend fliehen
böser geselschafft sich entziehen
andrer lente trauren
soll er sich lasen dauren

Und mit den frölichen der Zeit geniesen.
Die Dreizahl der Räte ist verloren, der
Zusammenhang gelöst, und es ist nur ein
Rudiment, wenn es später heißt, der fromme
Knecht sei in die Kirche gegangen, „nach seines
Vatters lehr zu beten." Immerhin scheint der
Schluß erlaubt, dnsz die drei Ratschläge zum
ursprünglichen Sagenbestande gehörten.
Andere Motive, z. B, die Verleumdung
wegen der Buhlschaft mit der Königin
(Gräfin), die ja in der altnordischen
Überlieferung fehlt, rücken Meister Klipisch
näher an Schiller. Hier findet sich auch noch,
wie in den meisten Bearbeitungen, ein „kalck-
Pfül", ein Kalkofen, in dem der Unglückliche
verbrannt wird; im Nordischen ist es ein
Scheiterhaufen, später tritt dann der Eisen¬
hammer an diese Stelle.

Erst Schillers Dichtung hat die Erzählung
wahrhaft volkstümlich gemacht. Sie ist in
alle Sprachen übersetzt, der Stoss ist in alle
poetischen Formen gegossen worden. Es gibt
z. B. nicht wenige deutsche Dramen, die diesen
Vorwurf behandeln; sie sind freilich längst
verschollen, und selbst eine große romantische
Oper von Reil aus dem Jahre 1833 ist ver¬
gessen, wenngleich kein Geringerer als Korr.
Kreutzer sie in Musik gesetzt hatte.

Dr. Karl Polheini
Jean Pauls „Titan", gekürzt heraus¬
gegeben von Hermann Hesse, Insel-Verlag,
Leipzig, 2 Bände (Bibliothek der Romane).

Dichterwerke in Bearbeitungen zu lesen, hat
ja immer etwas Mißliches; und wer einen
Schriftsteller erst einmal liebgewonnen hat,
wird sicher nicht wollen, daß sich ein Dritter
zwischen Autor und Leser stelle. Und doch
gibt es Fälle, in denen man wünschen muß,

[Spaltenumbruch]

daß ein vorsichtiger Kenner den verwachsenen
Weg zu einer großen Persönlichkeit zunächst
einmal wieder öffne. Unter zwei Bedin¬
gungen sind dann Bearbeitungen zu loben
und zu wünschen: wenn es dem Vermitteln¬
den wirklich nur darauf ankommt, den
eigentlichen Poetischen Kern eines Werkes
durch Forträumen von Anhängseln deutlicher
erkennbar zu machen, und wenn er sich
darauf beschränkt, zu dem Dichter, den er
einem größeren Leserkreise empfehlen will,
hinzuführen — nicht aber sich einbildet, durch
seine Bearbeitung ein besseres Werk zu schaffen,
als es der Urdichter hervorzubringen ver¬
mochte.

Es gibt kaum Dichterwerke, denen man
— allen Bedenken zum Trotz gute Be¬
arbeitungen so sehr wünschen möchte, wie den
großen Romanen Jean Pauls. Und Her¬
mann Hesse zeigt die erforderliche liebevolle
Bescheidenheit Jean Paul gegenüber, wenn
er im Nachwort seiner „Titan"-Bearbeitung
sagt: „Der ungekürzte „Titan" steht jeder¬
mann zur Verfügung; ich bin mehr als zu¬
frieden, wenn meine Kürzung für viele Leser
nur einen Weg zum Original bedeutet. Daß
mein „Titan" irgend besser sei als der alte,
habe ich keinen Augenblick geglaubt. Daß er
sehr vielen heutigen Lesern zugänglicher sein
wird, und daß viele ihn nun lesen werden,
die es sonst nicht getan hätten, das hoffe ich
bestimmt."

Jeder Umsichtige wird eine Bearbeitung
des imposanten Jean Paulschen Romans, die
unter solchen Gesichtspunkten unternommen
ist, billigen und ihr weite Verbreitung
wünsche». „Blütenlesen" aus seinen Schriften
verdammte Jean Paul selbst, als unbefugte
Zerpflückungen organischer Gebilde*). Nicht
aber um eine Blutenlese handelt es sich bei
Hesses Arbeit, sondern es ist gerade die Her¬
aushebung des organischen Kernes aus dem
„Titan" durch Streichung etwa eines Viertels
angestrebt. Wir besitzen jetzt zwei derartige
Versuche für Jean Paul Leser zu werben:

[Ende Spaltensatz]
*) Begreiflich ist es ja gewiß, daß gerade
aus Jean Paul immer wieder Anthologien
gezogen werden. Jüngst erschienen: „Worte
Jean Pauls", herausgegeben von Waldemar
Imsen (Verlag von Bruns, Minden).
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[0295] Maßgebliches und Unmaßgebliches des MotivenkomPlereS in der Zecjretten tria "eis stammt von Caspar Klipisch, und es ist merkwürdig, daß sich auch in dieser kunst¬ armen Dichtung die Ratschläge noch vorfinden, freilich in ganz verschwommenen Unirissen und nur lose mit der Erzählung verknüpft: Ein alter Voller gab zu Ehren Seinem Sohn letzlich drey lehren.. Darnach solt er Untugend fliehen böser geselschafft sich entziehen andrer lente trauren soll er sich lasen dauren Und mit den frölichen der Zeit geniesen. Die Dreizahl der Räte ist verloren, der Zusammenhang gelöst, und es ist nur ein Rudiment, wenn es später heißt, der fromme Knecht sei in die Kirche gegangen, „nach seines Vatters lehr zu beten." Immerhin scheint der Schluß erlaubt, dnsz die drei Ratschläge zum ursprünglichen Sagenbestande gehörten. Andere Motive, z. B, die Verleumdung wegen der Buhlschaft mit der Königin (Gräfin), die ja in der altnordischen Überlieferung fehlt, rücken Meister Klipisch näher an Schiller. Hier findet sich auch noch, wie in den meisten Bearbeitungen, ein „kalck- Pfül", ein Kalkofen, in dem der Unglückliche verbrannt wird; im Nordischen ist es ein Scheiterhaufen, später tritt dann der Eisen¬ hammer an diese Stelle. Erst Schillers Dichtung hat die Erzählung wahrhaft volkstümlich gemacht. Sie ist in alle Sprachen übersetzt, der Stoss ist in alle poetischen Formen gegossen worden. Es gibt z. B. nicht wenige deutsche Dramen, die diesen Vorwurf behandeln; sie sind freilich längst verschollen, und selbst eine große romantische Oper von Reil aus dem Jahre 1833 ist ver¬ gessen, wenngleich kein Geringerer als Korr. Kreutzer sie in Musik gesetzt hatte. Dr. Karl Polheini Jean Pauls „Titan", gekürzt heraus¬ gegeben von Hermann Hesse, Insel-Verlag, Leipzig, 2 Bände (Bibliothek der Romane). Dichterwerke in Bearbeitungen zu lesen, hat ja immer etwas Mißliches; und wer einen Schriftsteller erst einmal liebgewonnen hat, wird sicher nicht wollen, daß sich ein Dritter zwischen Autor und Leser stelle. Und doch gibt es Fälle, in denen man wünschen muß, daß ein vorsichtiger Kenner den verwachsenen Weg zu einer großen Persönlichkeit zunächst einmal wieder öffne. Unter zwei Bedin¬ gungen sind dann Bearbeitungen zu loben und zu wünschen: wenn es dem Vermitteln¬ den wirklich nur darauf ankommt, den eigentlichen Poetischen Kern eines Werkes durch Forträumen von Anhängseln deutlicher erkennbar zu machen, und wenn er sich darauf beschränkt, zu dem Dichter, den er einem größeren Leserkreise empfehlen will, hinzuführen — nicht aber sich einbildet, durch seine Bearbeitung ein besseres Werk zu schaffen, als es der Urdichter hervorzubringen ver¬ mochte. Es gibt kaum Dichterwerke, denen man — allen Bedenken zum Trotz gute Be¬ arbeitungen so sehr wünschen möchte, wie den großen Romanen Jean Pauls. Und Her¬ mann Hesse zeigt die erforderliche liebevolle Bescheidenheit Jean Paul gegenüber, wenn er im Nachwort seiner „Titan"-Bearbeitung sagt: „Der ungekürzte „Titan" steht jeder¬ mann zur Verfügung; ich bin mehr als zu¬ frieden, wenn meine Kürzung für viele Leser nur einen Weg zum Original bedeutet. Daß mein „Titan" irgend besser sei als der alte, habe ich keinen Augenblick geglaubt. Daß er sehr vielen heutigen Lesern zugänglicher sein wird, und daß viele ihn nun lesen werden, die es sonst nicht getan hätten, das hoffe ich bestimmt." Jeder Umsichtige wird eine Bearbeitung des imposanten Jean Paulschen Romans, die unter solchen Gesichtspunkten unternommen ist, billigen und ihr weite Verbreitung wünsche». „Blütenlesen" aus seinen Schriften verdammte Jean Paul selbst, als unbefugte Zerpflückungen organischer Gebilde*). Nicht aber um eine Blutenlese handelt es sich bei Hesses Arbeit, sondern es ist gerade die Her¬ aushebung des organischen Kernes aus dem „Titan" durch Streichung etwa eines Viertels angestrebt. Wir besitzen jetzt zwei derartige Versuche für Jean Paul Leser zu werben: *) Begreiflich ist es ja gewiß, daß gerade aus Jean Paul immer wieder Anthologien gezogen werden. Jüngst erschienen: „Worte Jean Pauls", herausgegeben von Waldemar Imsen (Verlag von Bruns, Minden).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/295>, abgerufen am 28.04.2024.