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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Gin Streifzug
in die Volksetymologie und Volksmythologie
von Adolf Stölzel 2.')

Neben dem Ring finden wir bei der Darstellung der altheidnischen Gott¬
heiten als deren Attribut vielfach Hörner. Auch sie gaben Anlaß zu einer
plastischen Nachbildung im Gebäck. Wie wir heute die Bretze und den Ring
oder Kring nicht mehr als Gebäck in dieser Stammform, sondern nur in der
Deminutivform Kringel kennen, so steht es auch mit dem Horn. In Nord¬
deutschland sind heute Hörnchen, in Süddentschland Hörnle ein jedermann wohl¬
bekanntes Gebäck; von einem gebackenen "Horn" pflegt niemand zu reden. Wie
Bretzel ein Gebäck ist, das zwei ineinander gefügte verkleinerte Arme (orscLi)
vorstellt, so ist Hörnet ein Gebäck, das zwei (mit ihrer Basis) aneinander ge-
fügte kleine Hörner vorstellt. Ein Einzelhorn wird von der Bäckerei ebensowenig
nachgeahmt wie ein Einzelarm.

Das altgermanische Wort Korn, in dieser Form nicht bloß im Englischen,
sondern ebenso im Schwedischen und Dänischen, nachgebildet einst auch im alt¬
deutschen nor und sprachverwandt nicht bloß mit dem hebräischen Ker, sondern
auch mit dem zeltischen Kern wie dem gallischen eerr oder dem griechischen
Keras und in dem cornu der Römer, wie dem corn oder cor der Franzosen,
dem como der Italiener und dem cuerno der Spanier lautgesetzlich wieder¬
kehrend, hat in alter Zeit, ähnlich wie der Ring, eine viel weiter greifende
Bedeutung als in der Gegenwart. Jedenfalls zu den frühesten der jetzt, wie
sich zeigen wird, nur in einem kaum erkennbaren Ausläufer erhaltenen Be¬
deutungen von Horn gehört diejenige, welche darin ein Symbol der Kraft, des
Ansehens und der Stärke sah, so daß in Bildern heidnischer Götter das Horn
deren Haupt schmückt, und zwar wie beim Stier ein doppeltes Horn.

Den Beweis liefern zunächst mehrfache Ausgrabungen, die seit 1710 ver¬
schiedentlich in Frankreich Götterbilder gallisch-römischer Periode zutage förderten.
Unter der Haube des Chores von Notre-Dame entdeckte man Reste eines aus



") In Ur. 1 (Heft 45 der Grenzboten) ist auf S, 253, Zeile drei von unde", zu lesen:
..,Baldur" statt Wotan.


Gin Streifzug
in die Volksetymologie und Volksmythologie
von Adolf Stölzel 2.')

Neben dem Ring finden wir bei der Darstellung der altheidnischen Gott¬
heiten als deren Attribut vielfach Hörner. Auch sie gaben Anlaß zu einer
plastischen Nachbildung im Gebäck. Wie wir heute die Bretze und den Ring
oder Kring nicht mehr als Gebäck in dieser Stammform, sondern nur in der
Deminutivform Kringel kennen, so steht es auch mit dem Horn. In Nord¬
deutschland sind heute Hörnchen, in Süddentschland Hörnle ein jedermann wohl¬
bekanntes Gebäck; von einem gebackenen „Horn" pflegt niemand zu reden. Wie
Bretzel ein Gebäck ist, das zwei ineinander gefügte verkleinerte Arme (orscLi)
vorstellt, so ist Hörnet ein Gebäck, das zwei (mit ihrer Basis) aneinander ge-
fügte kleine Hörner vorstellt. Ein Einzelhorn wird von der Bäckerei ebensowenig
nachgeahmt wie ein Einzelarm.

Das altgermanische Wort Korn, in dieser Form nicht bloß im Englischen,
sondern ebenso im Schwedischen und Dänischen, nachgebildet einst auch im alt¬
deutschen nor und sprachverwandt nicht bloß mit dem hebräischen Ker, sondern
auch mit dem zeltischen Kern wie dem gallischen eerr oder dem griechischen
Keras und in dem cornu der Römer, wie dem corn oder cor der Franzosen,
dem como der Italiener und dem cuerno der Spanier lautgesetzlich wieder¬
kehrend, hat in alter Zeit, ähnlich wie der Ring, eine viel weiter greifende
Bedeutung als in der Gegenwart. Jedenfalls zu den frühesten der jetzt, wie
sich zeigen wird, nur in einem kaum erkennbaren Ausläufer erhaltenen Be¬
deutungen von Horn gehört diejenige, welche darin ein Symbol der Kraft, des
Ansehens und der Stärke sah, so daß in Bildern heidnischer Götter das Horn
deren Haupt schmückt, und zwar wie beim Stier ein doppeltes Horn.

Den Beweis liefern zunächst mehrfache Ausgrabungen, die seit 1710 ver¬
schiedentlich in Frankreich Götterbilder gallisch-römischer Periode zutage förderten.
Unter der Haube des Chores von Notre-Dame entdeckte man Reste eines aus



") In Ur. 1 (Heft 45 der Grenzboten) ist auf S, 253, Zeile drei von unde», zu lesen:
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[0362] [Abbildung] Gin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie von Adolf Stölzel 2.') Neben dem Ring finden wir bei der Darstellung der altheidnischen Gott¬ heiten als deren Attribut vielfach Hörner. Auch sie gaben Anlaß zu einer plastischen Nachbildung im Gebäck. Wie wir heute die Bretze und den Ring oder Kring nicht mehr als Gebäck in dieser Stammform, sondern nur in der Deminutivform Kringel kennen, so steht es auch mit dem Horn. In Nord¬ deutschland sind heute Hörnchen, in Süddentschland Hörnle ein jedermann wohl¬ bekanntes Gebäck; von einem gebackenen „Horn" pflegt niemand zu reden. Wie Bretzel ein Gebäck ist, das zwei ineinander gefügte verkleinerte Arme (orscLi) vorstellt, so ist Hörnet ein Gebäck, das zwei (mit ihrer Basis) aneinander ge- fügte kleine Hörner vorstellt. Ein Einzelhorn wird von der Bäckerei ebensowenig nachgeahmt wie ein Einzelarm. Das altgermanische Wort Korn, in dieser Form nicht bloß im Englischen, sondern ebenso im Schwedischen und Dänischen, nachgebildet einst auch im alt¬ deutschen nor und sprachverwandt nicht bloß mit dem hebräischen Ker, sondern auch mit dem zeltischen Kern wie dem gallischen eerr oder dem griechischen Keras und in dem cornu der Römer, wie dem corn oder cor der Franzosen, dem como der Italiener und dem cuerno der Spanier lautgesetzlich wieder¬ kehrend, hat in alter Zeit, ähnlich wie der Ring, eine viel weiter greifende Bedeutung als in der Gegenwart. Jedenfalls zu den frühesten der jetzt, wie sich zeigen wird, nur in einem kaum erkennbaren Ausläufer erhaltenen Be¬ deutungen von Horn gehört diejenige, welche darin ein Symbol der Kraft, des Ansehens und der Stärke sah, so daß in Bildern heidnischer Götter das Horn deren Haupt schmückt, und zwar wie beim Stier ein doppeltes Horn. Den Beweis liefern zunächst mehrfache Ausgrabungen, die seit 1710 ver¬ schiedentlich in Frankreich Götterbilder gallisch-römischer Periode zutage förderten. Unter der Haube des Chores von Notre-Dame entdeckte man Reste eines aus ") In Ur. 1 (Heft 45 der Grenzboten) ist auf S, 253, Zeile drei von unde», zu lesen: ..,Baldur" statt Wotan.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/362>, abgerufen am 28.04.2024.