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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Das Phänomen (Laruso
von Fritz Reck-Malleczewen

er von Künstlerruhm und Reklame so durch die Welt getragen
wird, wie dieser Italiener, leidet nicht nur unter der Last, die
immer der Ruhelose, Wandernde zu tragen hat. Ein anderes
noch ist ihm beschieden: daß wie bei anderen Erscheinungen
menschlichen Lebens die Sucht zu übertreiben, in Zungen zu
reden, in hysterischem Überschwang zu rühmen ihm die schließliche Anerkennung
schmälert. Caruso geht -- sicherlich ohne sein Zutun -- eine ekstatische Be¬
wunderung voraus, die täglich und stündlich durch tausend unverbürgte Anek¬
doten und durch Jmpresariotaten geschürt wird. Man erwartet ein Wunder¬
tier, will für die mit Gold und stundenlangen Warten errungene Karte ein
Monstrum, sehen und findet -- einen bescheidenen Künstler, den in der Größe
seiner Mittel und seiner Persönlichkeit zu ermessen andere Gaben erfordert, als
das Publikum solcher Starabende sie gemeinhin mitbringt. In Deutschland
aw allermeisten: wir erwarten, seit der "germanische Gesang", wie Felix
Model sagte, uns beschert ward, vor allem die Stimmgröße, die den Hörer
niederschmettert, suchen auch hier die Barietöleistung mehr als im engsten Sinne
die Kunst.

Gerade diese Erwartung nun enttäuscht Caruso. Und so sieht man das
alte Spiel: von der Bühne her spricht mancher Blick weniger berühmter
heimischer Sänger eine beredte Sprache: "Seht ihr nun, daß gar nicht soviel
ist an dem, den ihr durch Goldgaben und Ruhmreden so verhätschelt?" Und
im Nu fliegt die Kunde hinaus aus den Parkettreihen der Vielbeneideten, die
ihn hören durften: "Caruso soll seine Stimme verloren haben!" Auch dieses
Mal raunte man es sich zu, so laut, daß in Städten wie in München die
Earusospekulation arge Schlappen erlitt und die Parkettreihen nie gesehene
Lücken zeigten. Von allem ist keine Rede: diese Stimme ist schön, wie sie war.
Sie mag ein geringes kleiner geworden sein. Aber das ist sicher nur eine der
vielen Schwankungen, die kommen und gehen.

Wer diese Schönheit restlos genießen will, soll nicht seine Begriffe, seine
Maßstäbe auf diesem Gebiet am Ruhm fetter Heldentenöre Bavreuther Genres
bilden. Soll einmal den Gedanken an alle Siegfriedideale daheim lassen und




Das Phänomen (Laruso
von Fritz Reck-Malleczewen

er von Künstlerruhm und Reklame so durch die Welt getragen
wird, wie dieser Italiener, leidet nicht nur unter der Last, die
immer der Ruhelose, Wandernde zu tragen hat. Ein anderes
noch ist ihm beschieden: daß wie bei anderen Erscheinungen
menschlichen Lebens die Sucht zu übertreiben, in Zungen zu
reden, in hysterischem Überschwang zu rühmen ihm die schließliche Anerkennung
schmälert. Caruso geht — sicherlich ohne sein Zutun — eine ekstatische Be¬
wunderung voraus, die täglich und stündlich durch tausend unverbürgte Anek¬
doten und durch Jmpresariotaten geschürt wird. Man erwartet ein Wunder¬
tier, will für die mit Gold und stundenlangen Warten errungene Karte ein
Monstrum, sehen und findet — einen bescheidenen Künstler, den in der Größe
seiner Mittel und seiner Persönlichkeit zu ermessen andere Gaben erfordert, als
das Publikum solcher Starabende sie gemeinhin mitbringt. In Deutschland
aw allermeisten: wir erwarten, seit der „germanische Gesang", wie Felix
Model sagte, uns beschert ward, vor allem die Stimmgröße, die den Hörer
niederschmettert, suchen auch hier die Barietöleistung mehr als im engsten Sinne
die Kunst.

Gerade diese Erwartung nun enttäuscht Caruso. Und so sieht man das
alte Spiel: von der Bühne her spricht mancher Blick weniger berühmter
heimischer Sänger eine beredte Sprache: „Seht ihr nun, daß gar nicht soviel
ist an dem, den ihr durch Goldgaben und Ruhmreden so verhätschelt?" Und
im Nu fliegt die Kunde hinaus aus den Parkettreihen der Vielbeneideten, die
ihn hören durften: „Caruso soll seine Stimme verloren haben!" Auch dieses
Mal raunte man es sich zu, so laut, daß in Städten wie in München die
Earusospekulation arge Schlappen erlitt und die Parkettreihen nie gesehene
Lücken zeigten. Von allem ist keine Rede: diese Stimme ist schön, wie sie war.
Sie mag ein geringes kleiner geworden sein. Aber das ist sicher nur eine der
vielen Schwankungen, die kommen und gehen.

Wer diese Schönheit restlos genießen will, soll nicht seine Begriffe, seine
Maßstäbe auf diesem Gebiet am Ruhm fetter Heldentenöre Bavreuther Genres
bilden. Soll einmal den Gedanken an alle Siegfriedideale daheim lassen und


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[0385] [Abbildung] Das Phänomen (Laruso von Fritz Reck-Malleczewen er von Künstlerruhm und Reklame so durch die Welt getragen wird, wie dieser Italiener, leidet nicht nur unter der Last, die immer der Ruhelose, Wandernde zu tragen hat. Ein anderes noch ist ihm beschieden: daß wie bei anderen Erscheinungen menschlichen Lebens die Sucht zu übertreiben, in Zungen zu reden, in hysterischem Überschwang zu rühmen ihm die schließliche Anerkennung schmälert. Caruso geht — sicherlich ohne sein Zutun — eine ekstatische Be¬ wunderung voraus, die täglich und stündlich durch tausend unverbürgte Anek¬ doten und durch Jmpresariotaten geschürt wird. Man erwartet ein Wunder¬ tier, will für die mit Gold und stundenlangen Warten errungene Karte ein Monstrum, sehen und findet — einen bescheidenen Künstler, den in der Größe seiner Mittel und seiner Persönlichkeit zu ermessen andere Gaben erfordert, als das Publikum solcher Starabende sie gemeinhin mitbringt. In Deutschland aw allermeisten: wir erwarten, seit der „germanische Gesang", wie Felix Model sagte, uns beschert ward, vor allem die Stimmgröße, die den Hörer niederschmettert, suchen auch hier die Barietöleistung mehr als im engsten Sinne die Kunst. Gerade diese Erwartung nun enttäuscht Caruso. Und so sieht man das alte Spiel: von der Bühne her spricht mancher Blick weniger berühmter heimischer Sänger eine beredte Sprache: „Seht ihr nun, daß gar nicht soviel ist an dem, den ihr durch Goldgaben und Ruhmreden so verhätschelt?" Und im Nu fliegt die Kunde hinaus aus den Parkettreihen der Vielbeneideten, die ihn hören durften: „Caruso soll seine Stimme verloren haben!" Auch dieses Mal raunte man es sich zu, so laut, daß in Städten wie in München die Earusospekulation arge Schlappen erlitt und die Parkettreihen nie gesehene Lücken zeigten. Von allem ist keine Rede: diese Stimme ist schön, wie sie war. Sie mag ein geringes kleiner geworden sein. Aber das ist sicher nur eine der vielen Schwankungen, die kommen und gehen. Wer diese Schönheit restlos genießen will, soll nicht seine Begriffe, seine Maßstäbe auf diesem Gebiet am Ruhm fetter Heldentenöre Bavreuther Genres bilden. Soll einmal den Gedanken an alle Siegfriedideale daheim lassen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/385>, abgerufen am 27.04.2024.